1. Gemeinsam Kämpfen

Der Kampf für eine solidarische Zukunft muss gemeinsam geführt werden, auf vielfältige Art und Weise. Nur im Zusammenspiel verschiedener linker Kräfte in einem gesellschaftlichen Block werden wir in der Lage sein, Kräfteverhältnisse zu verschieben und Machtfragen erfolgreich zu stellen. Davon sind wir weit entfernt. Um diesen Block zukünftig zu schaffen, sind wir in einer Vielzahl von Bewegungen und Kämpfen aktiv, oft in der Form von Bündnissen. In den letzten Jahren hat sich der Charakter dieser Bündnisse verändert. Aus klassischen Gipfelbündnissen oder Bündnissen gegen Rechts, die vor allem aus Delegierten von organisierten Akteur*innen bestanden, sind Mischformen mit vielen Einzelpersonen und wenigen Organisationen geworden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die teils ineinandergreifen und sich wechselseitig verstärken. Etablierte Akteur*innen der gesellschaftlichen Linken sind in weiten Teilen deutlich geschwächt. Dies trifft auf politische Subjekte, die sich eher kurzfristig und individuell engagieren statt langfristig und kollektiv. Auch als Reaktion darauf haben sich andere organisierte Zusammenhänge herausgebildet, die nur ein geringes Interesse am Aufbau breiter Bündnisse zeigen. Das fordert unsere Bündnispraxis heraus.
Diese Bündnispraxis hat sich in der Vergangenheit oft auf zuspitzende Kampagnen fokussiert. Uns ist es schwergefallen, darüber hinaus Strukturen und Orte der Solidarität zu schaffen, die kurzfristige Mobilisierungshochs überdauern. Langfristige Organisierung, die auch materielle Interessen stärker einbezieht, und die Schaffung tragfähiger (Infra-)Strukturen haben für uns im Aufbau von Gegenmacht an Bedeutung gewonnen. Um Kämpfe zusammenzuführen und zu beschleunigen, braucht es jedoch weiterhin Momente der Zuspitzung. Diese Momente können in vorbereiteten Kampagnen angelegt sein, sich aber auch in Gelegenheiten auftun, die mutige Interventionen verlangen. Diese spontane Handlungsfähigkeit zu stärken und sich gleichzeitig langfristig zu verankern, ist das Spannungsfeld, in dem wir uns dabei bewegen.

Strategische Bündnisorientierung

In den letzten zehn Jahren ist es uns auf lokaler und überregionaler Ebene immer wieder gelungen, breite Bündnisse aufzubauen oder Teil von ihnen zu sein. Unseren Anspruch, verschiedene Akteur*innen zusammenzubringen und Knotenpunkt eines breiten Spektrums linker Akteur*innen zu sein, konnten wir immer wieder umsetzen. So konnten wir im Zusammenspiel verschiedener linker Kräfte wirkungsvolle Interventionen wie Blockupy oder Unteilbar organisieren. Die strategische Bündnisorientierung wird aber durch gesellschaftliche Entwicklungen und die Neuordnung innerhalb der gesellschaftlichen Linken komplizierter und herausfordernder.

Selbstkritisch müssen wir feststellen, dass wir in Bündnissen aus etablierten Akteur*innen zu häufig eine Projektmanager*innen-Rolle eingenommen haben: Wir sind oft mehr damit beschäftigt, die Bündnisse am Laufen zu halten, anstatt sinnvoll politisch zu intervenieren und linksradikale Politik auf die Straße zu tragen. Immer häufiger sind wir in Bündnissen die einzige linksradikale Gruppe. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind während der multiplen Krisen weggebrochen. Andere Bündnispartner*innen haben sich zurückgezogen, wurden teils in das grüne Herrschaftsprojekt integriert oder verfolgen eine andere Bündnispolitik.

Neue Politisierungs- und Organisierungsangebote verfolgen häufig eine andere Bündnispolitik. So ist es für die erstarkenden „roten Gruppen“ wichtiger, Kämpfe anzuführen, als verschiedene Akteur*innen in ihrer Gesamtheit zu stärken. Sie konzentrieren sich auf die Selbstvergewisserung als radikale Kraft, indem sie sich von moderateren linken Kräften abgrenzen und sich vermeintlich zur Klasse hinwenden. Neben mangelnder Kompromissbereitschaft haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie Bündnisse vor allem dann eingehen, wenn sie diese dominieren können. Die andere Tendenz sind identitätspolitisch-machtkritische Kontexte, die zum Teil nicht willens oder in der Lage sind, politische Differenzen auszuhandeln. Andere politische Positionen werden nur als unreflektiert und moralisch problematisch wahrgenommen.

Diese Differenz zwischen den „roten Gruppen“ und den identitätspolitischen Zusammenhängen wurde rund um die Bemühungen zur Organisation des Feministischen Streiks sichtbar. Sie begleitet uns aber auch in anderen Kämpfen. Unter diesen veränderten Bedingungen erneuern wir das Versprechen unseres politischen Ansatzes: Wir treten für eine plurale Linke ein, die ihren Ausgangspunkt in der Lebendigkeit der Bewegungen als gesellschaftsverändernde Kraft hat. Sie findet in gemeinsamen Kämpfen zusammen, statt Bewegungen zu vereinnahmen und für das eigene Organisationsinteresse zu instrumentalisieren.

Unsere Bündnispraxis wird auch durch Verschiebungen innerhalb der Herrschenden verkompliziert. Grüne und (Umwelt-)NGOs haben sich weitgehend dem Projekt des modernisierten Festungskapitalismus verschrieben. Damit sind sie in einigen Praxisfeldern zum politischen Gegner geworden. Es gilt, wie beispielsweise in Lützerath, die Brüche innerhalb dieses Blocks zu vertiefen und seine soziale Basis nicht aufzugeben. Andere Organisationen wie die Gewerkschaften zeigen sich zwar offener für soziale Bewegungen, sind aber selbst tendenziell in den Verteilungskämpfen der ökonomischen Transformation gefangen und sehen ihre eigene Macht schwinden.

Auch in Zukunft wird Bündnisarbeit ein wesentlicher Teil unserer Praxis sein. Insbesondere im Osten und im ländlichen Raum ist linke Politik nicht ohne sie zu denken. Angesichts des Aufstiegs der Rechten wird es überlebensnotwendig sein, sich in strategischen Bündnissen zusammenzufinden. Hier müssen wir die Fähigkeit entwickeln, Erfolge gegen reaktionäre Angriffe abzusichern und darüber hinausgehende Verschlimmerungen zu verhindern. In Zukunft wollen wir jedoch genauer prüfen, welchen Nutzen die konkrete Bündnispraxis erfüllt und uns im Zweifel zurückziehen, bevor sie zum Selbstzweck wird. Gleichzeitig entstehen in den multiplen Krisen neue Betroffenheiten – ob von Armut, Dürre oder auf der Flucht vor Krieg. Klassische Bündnisse kommen hier an ihre Grenzen. Wir sind auf der Suche nach Bündnis- und Organisationsformen, die Betroffene und solidarische Menschen zusammenbringen und einbeziehen.

Kampagnenplattformen

In der Bündnisarbeit haben wir es immer weniger mit delegierten Gruppenvertreter*innen und immer mehr mit Einzelpersonen zu tun. Diese Entwicklung hat sich über die Jahre zu einer eigenständigen politischen Form entwickelt, die wir Kampagnenplattformen nennen. Wir haben zum Aufkommen von Plattformen wie Blockupy, Ende Gelände, dem Feministischen Streik und Deutsche Wohnen und Co. enteignen beigetragen. Unsere Politik besteht darin meist aus einer Mischung aus Organisierungs- und Bündnisarbeit. Diese politischen Räume werden oft für konkrete politische Projekte genutzt. Sie setzen keine Gruppenzugehörigkeit voraus und laden niedrigschwellig zur Mitarbeit ein. Für viele Menschen sind sie ein (erstes) Angebot, sich zu organisieren. Das ermöglicht wichtige emanzipatorische Erfahrungen, die über klassische Bündnistreffen weit hinausgehen. Auch viele unserer Genoss*innen haben sich in den letzten Jahren in diesen Kampagnenplattformen politisiert, sind dann zu uns gekommen oder haben an diesen Orten einen bedeutenden Teil ihrer politischen Arbeit geleistet. Durch diese Plattformen entsteht in unseren Kampagnen ein stärker organisierendes Moment. Das ist notwendig für den Aufbau von Gegenmacht und deshalb ein großer Gewinn. Mit und in den Kampagnenplattformen haben wir also einiges erreichen können.

Diese Plattformen fordern uns aber auch heraus. So sind zwischen Einzelpersonen, für die die Plattformen zur Erst- oder Primärorganisation werden, und Delegierten von Gruppen Konflikte angelegt. Denn das Diskutieren von Positionen, die außerhalb des Bündnisses festgelegt werden, wird eher zur Ausnahme und führt oft zu wahrgenommenen oder realen Hierarchien. Als eigenständige Organisierung werden sie auch für einige unserer Genoss*innen zum Ort, an dem strategisch diskutiert und entschieden wird. Positionen werden dann nicht mehr gemeinsam innerhalb unserer Organisation ausgearbeitet, sondern eher zur Kenntnis zurückgetragen. Dadurch verschiebt sich der Ort der politischen Bestimmung und Praxis zu den Plattformen. Dabei geht verloren, dass wir als organisierte Linksradikale nicht identisch mit den Bewegungen sind. Dieser Unterschied droht in der neuen Bündnisform zu verschwimmen.

Der offene Charakter ist Stärke und Tücke zugleich. Es ist schwierig, die vielen Aktiven, die teils unverbindlich mitarbeiten, langfristig zu halten und einzubinden. Denn die Projekte, ihre Praktiken und Strukturen haben sich anhand eines spezifischen Bewegungsmoments gebildet. Die entstandenen politischen Räume sind flüchtiger als klassische politische Organisationen. In ihnen entstehen nur teilweise belastbare und langfristige Beziehungen. Wir erkennen die Plattformen als Organisationsformen ihrer Zeit an. Sie fügen sich mit ihren geringen Ein- und Ausstiegshürden ein in größere gesellschaftliche Tendenzen. Gleichzeitig können sie die verbindliche Organisierung nicht ersetzen. Wir müssen darauf achten, dass wir über Plattformen nicht einfach unsere zukünftigen Bündnispartner*innen aufbauen und so über die Schwäche des Organisierungsgrades linker Bewegungen und die Krise der Linken hinwegtäuschen.

Darüber hinaus braucht es mehr politische Bezüge zwischen den meist monothematischen Plattformen. Notwendig sind eine übergreifende Deutung und strategische Orientierung, die sich über konkrete Verbindungen in gemeinsamen Kämpfen und Ereignissen manifestiert. Dieser Aufgabe sind wir zuletzt zu wenig gerecht geworden.

Organisierungsarbeit und Kampagnen

Um gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen, die revolutionäre Prozesse ermöglicht, müssen wir besser darin werden, langfristige linke Strukturen zu schaffen. Diese müssen unabhängig von Bewegungszyklen bestehen bleiben und unsere soziale Basis erweitern. Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir in den letzten Jahren eine Praxis ausgeweitet, die häufig unter den Begriffen Basisarbeit oder Organizing zusammengefasst wird. Bisher sind wir hauptsächlich in Stadtteilinitiativen, Mieter*innenorganisierungen sowie in Kämpfen im Gesundheitssektor aktiv.

Ausgangspunkt hierbei sind Kämpfe, die im Alltag der Menschen verankert sind und dabei an materiellen Interessen oder einem gemeinsamen Begehren ansetzen. Die Erfahrungen mit den multiplen Krisen unserer Zeit erzeugen Widersprüche. Diese entstehen in Konflikten um (Care-)Arbeit genauso wie in Ausei­nandersetzungen um Grundbedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit, Pflege und Energie oder im Kampf gegen Diskriminierung, für Selbstbestimmung und rechtliche Gleichstellung. Hier gilt es, die Bruchlinien zu Konfliktfeldern auszuweiten, in denen sich Menschen politisieren und organisieren. So kann über Selbstermächtigung und verbindliche solidarische Beziehungen gesellschaftliche Gegenmacht aufgebaut werden.

Immer mehr linksradikale Gruppen wenden sich diesem strategischen Ansatz zu. An vielen Orten sind Initiativen entstanden, die sich auf langfristige Organisierungsarbeit zum Beispiel im Stadtteil fokussieren und Kampagnenpolitik als bloße Reaktion auf Ereignisse ablehnen. Diese längerfristige Arbeit an der Basis ist als Transformationsstrategie wichtig. Sie erkämpft reale Erfolge, beweist die Umsetzbarkeit linker Ideen, schafft soziale Verankerung sowie solidarische Beziehungsweisen und zeigt eine alternative Zukunft auf. Gleichzeitig sehen wir die Gefahr, dass sozialarbeiterische Tendenzen die Oberhand gewinnen und solche Praktiken zu einer Art Schadensbegrenzung werden. Um Organisierungsprozessen Hoffnung, Perspektive und reale Durchsetzungskraft zu geben – um Brüche zu erzeugen – braucht es zuspitzende Kampagnen. Diese eröffnen Perspektiven über die Basisorganisierung hinaus und orientieren Organisierungsprozesse auf kollektiven Ungehorsam.

Ein gutes Beispiel für ein produktives Verhältnis von Kampagnen- und Organisierungsarbeit sehen wir in der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Der Volksentscheid basiert auf der jahrelangen Organisierung von Mieter*innen in Häusern großer Wohnungskonzerne und damit auf einer potenziell realen Durchsetzungskraft. Gleichzeitig ist die Kampagne ein gutes Beispiel für die Herausforderungen beim Aufbau von Gegenmacht. Von Beginn an wollte die Initiative gerade auch die Organisierung von Mieter*innen weiter vorantreiben. Die stadtpolitische Bewegung in Berlin sollte auch im Falle einer Wahlniederlage organisatorisch besser dastehen als vor der Kampagne. Ihre Sichtbarkeit verdankt sie aber gerade dem Agieren in Verfahren der etablierten Politik. Ihre Popularität wäre ohne die Durchsetzungsperspektive auf staatlichem Terrain nicht denkbar gewesen. Die Situation von Deutsche Wohnen und Co. enteignen beschreibt gut auch unsere strategische Suche: Wir müssen lernen, selbst Durchsetzungsmacht aufzubauen, um von Parteien und Parlamenten unabhängiger zu werden.

Orte der Solidarität

Widerständige Orte, die am Alltag und den Bedürfnissen der Menschen ansetzen und trotz aller Widrigkeiten Solidarität organisieren, spielen eine wichtige Rolle beim Aufbau von Gegenmacht. In Sozialen Zentren, Mieter*innenversammlungen, Stadtteilläden oder Polikliniken wird Solidarität erfahren, gestaltet und gelebt. Im Kontrast zur sonstigen Logik der Vereinzelung, Konkurrenz und Ausgrenzung entsteht eine Ahnung von dem, was sein könnte. Im Idealfall sind diese Orte das materielle Fundament für revolutionäre Subjektivitäten und die kommende postkapitalistische Infrastruktur.

Bislang ist unsere Praxis dazu stark unterbestimmt. Aber gerade in Zeiten sich verschärfender Krisen und extremer Vereinzelung geht es darum, Orte der Solidarität zu organisieren. Die Debatten um Soziale Zentren sind im Zuge der europäischen Finanzkrise und den gelebten Beispielen in Südeuropa kurz aufgeflammt. Jenseits einzelner Debattenbeiträge rund um Keimformen und Commoning gab es aber seither wenig kollektive Verständigung. Unsere eigene Rolle im Aufbau dieser Strukturen ist nicht geklärt, obwohl wir fast überall Orte der Solidarität mitgestalten, gründen und nutzen. Wir erleben zudem häufig, dass Genoss*innen den Aufbau dieser Orte, zum Beispiel ein Projekt des Mietshäusersyndikats oder eine Poliklinik, losgelöst von ihrer politischen Praxis in unserer Organisation und zum Teil in zeitlicher Konkurrenz betreiben. Das liegt auch daran, dass den Genoss*innen in diesen detaillierten Aufbauprozessen unsere Art der strategischen Verständigung wenig nützt.

Welche Rolle spielen Orte der Solidarität in unserer Strategie? Nach welchen Kriterien gewichten wir unsere Unterstützung und wie eignen wir uns die dafür nötigen Ressourcen an? Wie verhindern wir den Rückzug in Nischenprojekte und das bloße Abfedern von sozialstaatlichem Kahlschlag? Wie können solidarische Orte gegen mächtige Interessen durchgesetzt und vor Angriffen geschützt werden? Wie ist das Verhältnis von Solidarität und Protest an diesen Orten, welche Verbindungsmöglichkeiten gibt es, die die Solidaritätsfunktion nicht aushöhlen und den Bestand der Orte möglichst wenig gefährden? Diese Fragen gilt es in den kommenden Jahren zu klären. Angesichts einer Situation der Defensive und eskalierender Krisen sind sie für die radikale Linke Fragen des (Über-)Lebens.