1. Eine Welt der Krisen

Kriege, Pandemie und Klimakrise, gleichzeitig Armut und wachsende soziale Ungleichheit, dazu noch Rechtsruck und Krisen der sozialen Reproduktion: Wir befinden uns in einem Zeitalter permanenter Krisen.

Die Klimakrise bedroht die Lebensgrundlagen aller menschlichen Gesellschaften. Hitzewellen, Überflutungen und Versteppung sind im Globalen Süden längst bittere Realität. Inzwischen sind auch im Globalen Norden die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise unübersehbar. In der Folge wachsen ökologische Instabilität sowie soziale Ungleichheit und damit zugleich Gewalt, Ausgrenzung und Abschottung. Das ändert die Bedingungen für linke und linksradikale Politik grundlegend. Auch wenn die Klimakrise nicht mehr aufzuhalten ist, bedeutet jedes Zehntelgrad globaler Erwärmung für Millionen von Menschen den Unterschied zwischen Leben und Tod. Dabei gibt es keine Abkürzung und das Grundsätzliche ist dringender denn je: Die Abschaffung des Kapitalismus ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Im 21. Jahrhundert ist keine Perspektive der Befreiung oder der Überwindung von Ausbeutung ohne diese Voraussetzung denkbar.

Gleichzeitig bedrohen Kriege, wie die russische Aggression gegen die Ukraine oder der Gazakrieg, das ­Leben von Millionen Menschen. Im geostrategischen Konflikt zwischen den USA und China, der gegenwärtig nur als Wirtschaftskrieg ausgetragen wird, liegt das Potenzial für eine weltweite Eskalation. Die falsche Hoffnung auf ein Zeitalter des Friedens ist geplatzt. Längst ringen wieder Machtblöcke um globalen Einfluss. Die EU und Deutschland mischen dabei zunehmend mit, auch wenn sie sich gern hinter Phrasen von Demokratie und Menschenrechten verstecken.

Im Rahmen dieser Machtpolitik und vor dem Hintergrund der massiven Krisen erhalten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft wieder mehr Bedeutung. Hierzu gehören in Deutschland die „Sondervermögen“, mit denen mehrfach riesige Summen mobilisiert wurden, teils zur Krisenabfederung wie bei der Corona-Pandemie, teils zur Finanzierung der Aufrüstung wie bei den 100 Milliarden für die Bundeswehr.

In kriegführenden Staaten sehen wir die Einführung von Kriegsregimen, also das Regieren per Dekret, den Abbau des Sozialstaats und eine allgemeine Zunahme autoritärer Maßnahmen. So verstärken sich auch kriegerisch-autoritäre Männlichkeit und traditionell-patriarchale Strukturen in den Gesellschaften. Die Bevölkerung wird gedrängt oder gezwungen, sich klar patriotisch zu positionieren. Stimmen, die sich für einen gerechten Frieden und internationale Solidarität aussprechen, werden marginalisiert oder unterdrückt.

Kriegslogik, Militarisierung der Gesellschaft und Freund-Feind-Denken bleiben nicht auf die unmittelbar kriegsbeteiligten Staaten beschränkt. Die „Zeitenwende“ hat ganz Europa erfasst: In Deutschland bestimmen Aufrüstung, Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete, Nationalismus und eine auch militärisch gedachte Geopolitik den öffentlichen Diskurs.

Der klassische Kapitalismus funktioniert immer weniger: Große Teile des Kapitals können nicht mehr als Investitionen in Produktionsmittel verwertet werden. Riesige Vermögen suchen daher auf den Kapitalmärkten nach rentablen Anlagefeldern, ohne dass sich bisher ein tragfähiges neues Akkumulationsregime herausgebildet hätte. Kapital fließt vor allem in die Privatisierung von Land oder Ressourcen, in die Finanzialisierung von Lebensbereichen wie Wohnen, Gesundheit, Alterssicherung und digitale Kommunikation. Dadurch verlieren immer mehr Menschen den Zugang zu Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und selbst Nahrung, sodass Verelendung, Hunger und Fluchtbewegungen global zunehmen.

Die Anpassungsstrategien der herrschenden Klasse an die globale Vielfachkrise erscheinen chaotisch und gespalten. Sie bewegen sich zwischen einer vermeintlich progressiven grün-kapitalistischen Modernisierung mit Bezugnahme auf bürgerliche Freiheitsrechte einerseits und offen autoritären, rechtskonservativen bis faschistischen Konzepten andererseits. So widersprüchlich diese Varianten auch erscheinen mögen: Im Ergebnis schottet sich in beiden Fällen eine kleine Minderheit mit ihrem explodierenden Reichtum ab, während eine Mehrheit die Folgen der Krisen zu tragen hat. An dem grundsätzlichen Problem, dass der globale Kapitalismus in direktem Widerspruch zu den Lebens- und Überlebensinteressen der Menschheit steht, ändern sie nichts.

Hoffnung kann nicht von oben kommen, sondern allein aus den Revolten, Kämpfen und Bewegungen von unten. Black Lives Matter, #niunamenos oder Fridays for Future sind globale Bewegungen gegen die Unerträglichkeit der Verhältnisse. Ihren Protesten haben sich im vergangenen Jahrzehnt mehr Menschen denn je angeschlossen. Hinzu kommen zahlreiche Kämpfe, die zwar den nationalen Rahmen nicht überschreiten, aber in Form und Inhalten ähnlich sind.

Im globalen Bewegungszyklus Anfang der 2010er Jahre konnten wir einen gemeinsamen Rahmen erkennen: Die Aufstände und Bewegungen des Arabischen Frühlings, der spanischen Indignados, von Occupy oder Gezi bezogen sich in ihren Forderungen nach wirklicher Demokratie, ihrer Praxis der Platzbesetzungen und ständigen Versammlungen aufeinander. In Deutschland haben wir das bei den Blockupy-Aktionen gegen die europäische Sparpolitik so formuliert: „Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie – Wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!“

Auch die aktuellen Bewegungen haben einen gemeinsamen Nenner, auch wenn dieser vielleicht schwieriger auszumachen ist: Überall­­ geht es um Fragen des Lebens und Überlebens. Bewegungen gegen Feminizide, gegen rassistische Morde, gegen die Untätigkeit angesichts der Klimakrise treffen sich darin, dass das Überleben selbst im Mittelpunkt der Forderungen steht. Zunächst ist das nur ein trotziges Nein gegen den mörderischen Status quo, aber auch hierin ist der utopische Horizont einer besseren Welt bereits angelegt. Trotz der ungleichen Bedingungen und Widersprüche sind unsere Kämpfe hier, „im Herzen der Bestie“, Teil des globalen Bewegungszyklus: In der Klimagerechtigkeitsbewegung, in der (queer-)feministischen Bewegung, in der Antikriegsbewegung oder im Antirassismus: Stets geht es darum, den nationalen Rahmen zu sprengen und eine transnationale Perspektive globaler Solidarität und Befreiung einzunehmen.