Raus aus der Szene, rein ins Handgemenge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Mit diesem Anspruch ist die Interventionistische Linke (IL) vor fast 20 Jahren angetreten. Wir wollten eine gesellschaftliche radikale Linke werden, sichtbar und ansprechbar sein, um politische Hegemonie kämpfen und Gegenmacht organisieren.
Seitdem ist viel passiert. Die IL ist heute eine der großen linksradikalen Strukturen im deutschsprachigen Raum. Wir sind in über 20 Städten mit Ortsgruppen vertreten. Es ist uns gelungen, von einem losen Zusammenschluss lokaler Gruppen zu einer basisdemokratischen, überregionalen Organisation zu wachsen. Block G8, Ende Gelände, Blockupy, Feministischer Streik, Sommer der Migration, NoG20, Rheinmetall Entwaffnen, Deutsche Wohnen und Co. enteignen – das sind nur einige Beispiele für die vielen Kämpfe, in denen wir mitgemischt haben. Mit Blockaden, Besetzungen und direktem Eingreifen haben wir dazu beigetragen, massenhaften Ungehorsam als legitime Aktionsform zu etablieren.
Gleichzeitig blicken wir auf eine düstere Gegenwart. Die Linke ist weltweit in der Defensive. Das rechte Projekt der Abschottung, Spaltung und Leugnung der Klimakrise hat Konjunktur. Die Staaten werden nach innen autoritärer und nach außen kriegerischer, ob nun angeführt von vermeintlich progressiven Parteien oder rechten Antidemokrat*innen. Beide haben keine tragfähigen Antworten auf die multiplen Krisen. Gerade jetzt bräuchte es als Alternative eine Linke, die Hoffnung und Orientierung geben kann. Aber es ist uns nicht gelungen, die Bewegungserfolge des letzten Jahrzehnts in einem gemeinsamen, widerständigen Pol zu bündeln und grundlegende Veränderungen zu erkämpfen. Der Kapitalismus sitzt fest im Sattel.
Es ist also höchste Zeit, unsere Strategien und Praxen auf den Prüfstand zu stellen. Was bedeuten die politischen Entwicklungen der letzten Jahre? Welche Chancen und Aufgaben für die Veränderung der Welt sehen wir? Was sind die Strategien interventionistischer Politik in der aktuellen Lage? Über diese und andere Fragen haben wir uns den Kopf zerbrochen und oft auch gestritten. Bei manchen Überlegungen stehen wir noch am Anfang. Das Ergebnis unserer Diskussionen findet ihr in diesem Papier. Es schreibt unser Zwischenstandspapier „Die IL im Aufbruch“ von 2014 fort, aktualisiert und ergänzt es.
Einer der nächsten Schritte wird es sein, einen orientierenden Prozess in der radikalen Linken zu organisieren. Unsere Überlegungen sind daher vor allem ein Auftakt, ein Wunsch nach gemeinsamer Debatte mit all jenen, die wie wir von der Sehnsucht nach einer anderen, einer befreiten Welt angetrieben werden. Auch deshalb widmen wir der Analyse viel Raum. Wir halten einen Diskussionsstand fest, von dem wir hoffen, dass er Orientierung für die kommenden Auseinandersetzungen bietet. Die darauf folgenden Kapitel aktualisieren unsere Strategie und Praxis. Wir lernen aus unseren Fehlern, behalten bei, was funktioniert, verwerfen, was nicht funktioniert. Dies ist für uns ein wesentliches Merkmal undogmatischer Politik.
Wer in dem Papier einfache Antworten sucht, wird enttäuscht werden. Zu einfach, das ist der neue Reformismus, der angesichts von Rechtsruck und Klimakrise nur auf das unmittelbar Machbare in den gegebenen Institutionen schaut. Zu einfach, das ist eine phrasenhafte Rückbesinnung auf die Arbeiter*innenklasse, die allzu oft in Dogmatismus und eine autoritäre Form der Politik mündet. Zu einfach, das ist eine Form der Identitätspolitik, die Identitäten festschreibt, statt sie infrage zu stellen, und aus der wenig Ermutigung für den gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt hervorgeht. Demgegenüber wollen wir eine radikale Linke sein, die auch vor einem dunklen Horizont die Möglichkeit hochhält, dass es ganz anders sein könnte. Eine radikale Linke, die organisiert ist und im Alltag präsent, die Gelegenheiten erkennt und entschlossen ergreift. Die kleinen Brüche zu großen ausweitet und die Wette auf eine Revolution eingeht. An diesem Anspruch und diesem Versprechen halten wir fest.
Für dieses Ziel organisieren wir uns. Organisierung überwindet individuelle Ohnmacht und schafft Selbstermächtigung. Organisierung ermöglicht neue, kollektive Beziehungsweisen, die wir für eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Konkurrenz brauchen. Organisiert lassen wir das Chaos der Gegenwart hinter uns und erkämpfen eine bessere Zukunft.
Kommt mit!
Wir wollen eure Zweifel, euer Lob, euer Weiterdenken, eure Kritik hören. Unseren Call for Comments findet ihr auf unserem Debattenblog.
Unser zweites Zwischenstandspapier könnt ihr als PDF hier herunterladen.