Dritte Phase – Organisierung und Organisation

15. Dieses Papier markiert einen Zwischenstand einer laufenden Diskussion über Organisierung in der IL. Vieles von dem, was eher vage oder nur als prinzipielle Aussage formuliert ist, müssen wir noch in konkrete und transparente Verabredungen fassen. Vieles muss in der Praxis erprobt und einiges sicher auch wieder über den Haufen geworfen werden. Die Debatte über die inhaltlichen und strategischen Grundlagen unserer politischen Arbeit und der dafür notwendigen Strukturen muss weiter gehen. Da wir natürlich nicht die Einzigen sind, die sich solche Fragen stellen, hoffen wir auf einen produktiven und kontroversen Erfahrungsaustausch auch mit anderen linken und linksradikalen Strömungen darüber, in welcher gesellschaftlichen Lage wir uns befinden und welche Formen des Widerstands und der Organisierung notwendig sind, um handlungsfähig(er) zu werden. Wir wollen dazu im nächsten Jahr zu einem großen Kongress zur Organisierungsfrage einladen.

Für den Moment wollen wir festhalten: Wir haben uns auf den Weg gemacht und sind nach der Phase des Beratungstreffens und der Phase der verstärkten Einbindung von Gruppen nun gemeinsam entschlossen, in eine dritte Phase der IL als lokal verankerte, überregionale1 Organisierung und Organisation einzutreten.

Dabei denken wir Organisation und Organisierung nicht als Widerspruch, sondern sehen die Fixierung gemeinsamer Verabredungen und die Fortführung eines offenen Prozesses der Entwicklung unserer Strukturen als zwei Bestandteile derselben Sache, deren Verhältnis kontinuierlich auszuhandeln ist.

16. In der IL gibt es Aktivist_innen mit unterschiedlichsten Organisationserfahrungen, die in vielen Fällen Erfahrungen von Niederlagen und Scheitern, aber auch dem Lernen daraus sind. Wir wissen daher um die Gefahren und Fallstricke sowohl der formalisierten Strukturen, die zu Bürokratismus und Erstarrung neigen, wie der informellen Hierarchien, die aus der Abwesenheit von transparenten und kontrollierbaren Strukturen resultieren. Und wir haben sowohl in unseren einzelnen Gruppen als auch in der bisherigen Zusammenarbeit in der IL bereits mit neuen Modellen von Organisierung experimentiert.

Die Notwendigkeit von Organisierung und Organisation ergibt sich aus unserer selbst gestellten Aufgabe, in gesellschaftliche Kämpfe zu intervenieren, die Kräfteverhältnisse zu verschieben und auf einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus und allen anderen Unterdrückungsverhältnissen zu orientieren. Das meiste, was die IL bislang an Wirkungsmächtigkeit entwickelt hat, basiert auf einer Vorwegnahme einer internen Organisiertheit, die wir erst noch herstellen müssen.

Bleibt also die Aufgabe, Vertrauen, Delegation und Rückkoppelung in der IL so auszutarieren, dass zugleich verbindliche, belastbare und kontinuierliche wie offene, partizipative, dynamische und demokratische Strukturen entstehen, die nicht erstarren, sondern entsprechend den Erfahrungen und Bedürfnissen veränderbar sind.

17. Wir wollen Strukturen, die Verantwortlichkeiten klären, Ansprechbarkeit realisieren, Transparenz schaffen, Beteiligung ermöglichen und Entscheidungen treffen können. Die Bedingung jeder überregionalen organisierten Struktur ist eine thematische und funktionelle Aufgabenteilung. Dazu gehört die bewusste Delegation und Rotation von Aufgaben und die Schaffung von koordinierenden und organisierenden Gremien – und natürlich deren Begleitung durch solidarische Kritik und demokratische Kontrolle durch (möglichst) alle Genoss_innen.

Dieses Prinzip gilt zunächst für die bereits bestehenden IL-weiten Strukturen: Das Gesamttreffen, die überregionalen AGs und Kommissionen sowie für das Koordinierende Gremium (KoGre). Diese Strukturen wollen wir handlungs- und strategiefähiger machen, stärker mit der lokalen Ebene verzahnen und gleichzeitig dadurch entlasten, dass alle unsere Strukturen – also auch Basiseinheiten, ILLokalorganisationen, lokale AGs, Regionaltreffen usw. – Orte sind, an denen Einschätzungen geklärt, Theorie produziert, Entscheidungen getroffen und Handlungsfähigkeit hergestellt werden.

Je mehr Menschen sich gemeinsam organisieren, desto mehr dieser Orte wird es geben, womit gleichzeitig die Anforderung an die Koordination und Kommunikation wächst, damit wir tatsächlich von einer gemeinsamen strategischen Bestimmung der Grundlinien der IL-Politik sprechen können.

Selbstorganisierungsprozesse entlang gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse sind auch innerhalb der IL notwendig und wichtig. Da wir uns bewusst genderübergreifend organisieren, sind Treffen und die Selbstorganisation von Frauen und/oder trans*Menschen ein wichtiger Bestandteil unserer Strukturen und (Gesamt-)Treffen.

18. Organisation entsteht, wo die unterschiedlichen Ebenen unserer Politik – sowohl geografisch (lokal/regional/überregional) als auch thematisch (Krise/Gender/Antifa/Klima/Antimilitarismus/Soziales/Recht auf Stadt …) – nicht mehr unverbunden nebeneinanderstehen, sondern erkennbarer Teil eines Prozesses, einer gemeinsamen Strategie sind.

Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Strategie brauchen die lokalen und thematischen Strukturen aber eine weitgehende Autonomie, um eigenverantwortlich über Aktionen und Schwerpunktsetzungen zu entscheiden. Wir wollen keinen schwerfälligen Apparat, in dem immer alles mit allen rückgesprochen werden muss, sondern stattdessen eine Kultur des Vertrauens, in der Differenzen ausgehalten und auch Fehler gemacht werden können.

Vertrauen und Autonomie geraten in der Praxis immer wieder in Widerspruch mit den ebenfalls zentralen Prinzipien von Partizipation und Transparenz. Wir ringen darum, Strukturen zu schaffen, die eine Verbindung dieser Gegensätze ermöglichen.

19. Sichtbares Zeichen für den Fortschritt unseres Organisierungsprozesses wird es sein, dass sich immer mehr lokale Gruppen in die IL hinein aufheben werden, also auch vor Ort nicht mehr mit ihren alten Gruppennamen und Gruppenidentitäten auftreten, sondern als lokale Basiseinheiten der Interventionistischen Linken. Damit werden die »alten« Gruppen übrigens einen Schritt nachvollziehen, den viele »neue« Gruppen bereits gegangen sind, die sich von vornherein z. B. als IL Frankfurt, Köln oder Wien gegründet haben.

Diese Umbenennung ist mehr als nur eine Formalie, denn sie dokumentiert die Aufhebung der bisherigen Gruppenidentitäten in dem Sinn, dass sich künftig alle Strömungen und Tendenzen der IL in allen lokalen Basiseinheiten wiederfinden können. Das wiederum bedingt eine Öffnung vieler Gruppen über ihren bisherigen subkulturellen oder habituellen Background hinaus, ebenso wie eine schrittweise Angleichung der Aufnahmekriterien.

Schon heute ist es für Genoss_innen, die ihren Wohnort wechseln, relativ einfach und zunehmend selbstverständlich, am neuen Ort wieder Anschluss an die dortige IL-Gruppe zu finden. Dies wollen wir weiter ausbauen, nicht nur um Genoss_innen in unseren Zusammenhängen zu halten, sondern auch um den Austausch und die Vermischung unter den lokalen Basiseinheiten zu fördern.

Die meisten IL-Basiseinheiten sind lokale Gruppen, sie sind für die IL-Genoss_innen der primäre Ort der politischen Reflexion und Bestimmung. Dadurch bilden sie das organisatorische Rückgrat der IL. Weil unsere Lebenssituationen und biografischen Erfahrungen mit politischer Organisierung unterschiedlich sind und wir diese Heterogenität erhalten wollen, kann und soll es aber auch Basisgruppen geben, die nicht lokal organisiert sind, sondern anhand von anderen Lebens- und Arbeitszusammenhängen wie Betrieben, Projekten oder sozialen Lagen. In diesen Fällen können die Gruppentreffen z. B. auch virtuell organisiert werden. Da wir insgesamt eine Öffnung der IL anstreben, sind viele Formen der Beteiligung denkbar. Wichtig ist nur, dass die nicht ortsgebundenen Basisgruppen sowohl für die Gesamt-IL wie für ihre Mitglieder die gleichen Funktionen wahrnehmen wie die lokalen Gruppen.

20. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es an einem Ort mehrere IL-Basiseinheiten geben. Diese bilden dann eine gemeinsame IL-Lokalorganisation, in der sie ihre lokale Politik koordinieren und die Teilnahme an den überregionalen Strukturen organisieren.

Dies kann z. B. sinnvoll sein, wenn es in größeren Orten so viele ILAktivist_innen gibt, dass es schwierig ist, sie in einer Basiseinheit zusammenzufassen. Ebenso kann dieses Modell eine – auch längerfristige – Zwischenetappe für diejenigen Orte sein, an denen es zurzeit mehrere IL-Gruppen gibt. Grundsätzlich sind wir uns dabei einig über das Ziel, dass die Verschiedenheit von politischen Hintergründen, Lebenssituationen und Kampffeldern in der IL erhöht werden soll und diese Unterschiede sich immer weniger in verschiedenen Gruppen organisieren sollen, die sich dann identitär gegenüberstehen, sondern sich zunehmend innerhalb der Basiseinheiten und Arbeitszusammenhänge der IL widerspiegeln.

Insbesondere Berlin und Hannover sind zurzeit Städte, in denen der Prozess der lokalen Integration der verschiedenen IL-Gruppen in vollem Gange ist, in denen Probleme und Widersprüche deutlich werden und Lösungen entwickelt werden.

21. Gegenwärtig gehören zur IL und ihren Gruppen mehrere Hundert Menschen, die als IL vor allem in zentralen bundesweiten Kampagnen sichtbar werden. Mit unserem Schritt in die dritte Phase von Organisation und Organisierung wollen wir die Möglichkeiten zur aktiven politischen Teilnahme an der IL deutlich erhöhen, indem wir mehr Andockstellen bieten, auf mehr Ebenen als IL ansprechbar werden.

Bereits heute betreiben viel mehr Aktivist_innen an verschiedenen Orten, in verschiedenen Bewegungen oder Strukturen eine interventionistische Politik als tatsächlich in der IL und ihren Gruppen organisiert sind. Wir sind fest davon überzeugt, dass es viele Aktivist_innen gibt, die auf der Suche nach einem Ort für die kollektive, strategische Bestimmung ihrer Politik sind und die mit uns das Projekt teilen, linksradikale Politik gesellschaftlich handlungsfähig zu machen.

In der IL schließen sich linksradikale Aktivist_innen zusammen, die in dem Sinne Militante sind, dass für sie ihr politischer Aktivismus ein fester Bestandteil ihres Lebens ist, sie mit Lust und Ernsthaftigkeit kämpfen und die Bereitschaft haben, die eigene Praxis in einen kollektiven Zusammenhang zu stellen und gemeinsam strategisch zu bestimmen.

Eine Mitgliedschaft in anderen Organisationen steht dazu dann nicht in Konkurrenz, wenn die IL der primäre Ort dieser kollektiven Diskussion und Bestimmung der eigenen Politik bleibt. Alle Menschen, die sich von den Gedanken und Vorschlägen in diesem Papier angesprochen fühlen, ebenso wie diejenigen, die Anmerkungen oder Kritik beizutragen haben, möchten wir ermuntern, Kontakt mit uns aufzunehmen, in Diskussion zu kommen und – im besten Fall – Aktivist_in der Interventionistischen Linken zu werden.

22. Alle Gruppen und alle einzelnen Aktivist_innen der Interventionistischen Linken werden sich in dem laufenden Organisierungsprozess verändern, eingefahrene Strukturen hinterfragen, politische Handlungsweisen überprüfen und neu entwickeln. Nichts wird bleiben, wie es ist. Wir freuen uns darauf.

Interventionistische Linke, 11. Oktober 2014