Was uns eint

7. Unsere Selbstbezeichnung als »interventionistisch« ist ein bewusstes Statement, das sich gegen zwei Tendenzen in der Linken abgrenzt: Erstens gegen eine zynische Kritik des Bestehenden, die nur kritisiert, ohne Handlungsperspektiven zu öffnen, und die alle realen Kämpfe und linken Interventionen denunziert, weil sie den Ansprüchen der vorgeblich richtigen Kritik nicht genügen. Meist ist diese Haltung gepaart mit einem universitären Dünkel und einem tiefen Misstrauen gegenüber der Bevölkerung.

Wir wollen hingegen linksradikale Politik in der Gesellschaft machen, wir wollen sichtbare und handlungsfähige Akteurin werden. Damit markieren wir zweitens eine Differenz zu einer Form von Szenepolitik, die von einem starken Selbstbezug gekennzeichnet ist und kaum mit der Gesellschaft um die Szene(n) herum kommuniziert.

Am konkreten Beispiel der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, die anschließend zur Blaupause für viele Kampagnen und Aktionen geworden ist: Damals stand die radikale Linke vor einer neuen Herausforderung. 
Nach den tödlichen Schüssen von Genua 2001 und dem brutalen Vorgehen hochgerüsteter Polizeitruppen bei mehreren anderen Gipfelprotesten war die Bewegung an einen Punkt gekommen, an dem eine einfache Fortführung und Wiederholung des Szenarios eines »Sturms« auf die weiträumig für die Staatschefs und ihre Delegationen gesperrten Sicherheitsbereiche, die sogenannten Roten Zonen, nicht mehr möglich schien.

Gleichzeitig hatte die Erfahrung des G8-Gipfels in Gleneagles 2005 deutlich gemacht, wie Nichtregierungsorganisationen und moderate Linke bis hin zur regierenden Labour Party den Protest gegen die herrschende Weltordnung in einen harmlosen Appell für mehr Gerechtigkeit verwandelt hatten, während die Bewegungen und die radikale Linke politisch nicht handlungsfähig und trotz der Tausenden vor Ort nahezu unsichtbar waren.

Ziel war es also, trotz massiver Polizeipräsenz mobilisierungs- und aktionsfähig zu werden. Der neue strategische Punkt war dabei die Kampagne Block G8, die das Konzept der gut vorbereiteten Massenblockaden mit einer transparenten Aktionsvereinbarung von Friedens- und Anti-Castor-Aktionen auf die Situation von Gipfelprotesten übertrug und dabei gleichzeitig radikalisierte.

Die Auseinandersetzung auf der Demo in Rostock und das Zusammenspiel mit anderen Blockadekonzepten rund um den Tagungsort waren zentrale Erfahrungen für unseren Konstituierungsprozess und wie wir uns im Zusammenspiel verschiedener Aktionsformen denken und organisieren.
Ein weiteres Ziel war es, sprechfähig und wahrnehmbar zu werden – sowohl gegenüber Bündnispartner_innen als auch gegenüber der Öffentlichkeit. Die Voraussetzung hierfür waren erste Schritte der Organisierung, nämlich zunächst intern eine so tragfähige strategische Vereinbarung zu treffen, dass hieraus das Vertrauen für Delegierte entstand, die Absprachen in Bündnissen mit anderen bundesweiten Akteur_innen treffen konnten. Zusätzlich haben wir erste Erfahrungen mit einer offensiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gesammelt.

Heute, 2014, erscheint das wie ein alter Hut: In den bundesweiten Bündnissen und Kampagnen nehmen wir eine gleichberechtigte, oft auch eine vorantreibende und orientierende Rolle ein. Diese Entwicklung hatte sich zwar in lokalen und regionalen Mobilisierungen seit den 1990er Jahren angedeutet und vorbereitet, aber erst Heiligendamm hat die Aktionskultur und die Bündnislandschaft in Deutschland so maßgeblich verändert, dass Gruppen aus der radikalen Linken auch bundesweit wieder zunehmend erkennbar und ansprechbar wurden.

8. Die Politik der IL orientiert sich am langfristigen strategischen Ziel einer radikalen Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die Unterdrückung ebenso beendet wie Hunger und Elend, Krieg oder Folter. Es geht um die Schaffung der Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle – nicht nur hier, nicht nur in Europa, sondern weltweit.

Notwendiger Bestandteil einer solchen radikalen Transformation ist der revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen. Um den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen die ökonomische Macht basiert, und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung.

Die gesellschaftlichen Widersprüche können allerdings nicht auf das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit reduziert werden: Eine materialistische Analyse muss auch die Sphäre der Reproduktion sowie die Auseinandersetzung mit der gesamten kulturellen, ökonomischen und ideologischen Verfasstheit in den Blick nehmen. Dabei müssen die verschiedenen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse und ihre Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. Wir führen und verfolgen Diskussionen zu Genderpolitik, globalen sozialen Rechten, Antisemitismus, Rassismus und Grenzregimen oder zur weltweiten Klassenneuzusammensetzung. Die Erkenntnis der Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Machtverhältnisse ist uns ebenso wichtig wie die kritische Reflexion der jeweils eigenen Position (z. B. als Weiße, als Männer, als Akademiker_innen …) und der sich daraus ergebenden Interessen und Handlungsoptionen.

9. Weil wir auf den Bruch orientieren, ist unsere Politik außerparlamentarisch und grundsätzlich antagonistisch zum Staat. Wir wollen kein Teil der bürgerlichen Staatsapparate werden, wir streben keine Funktionen und Mandate an. Wir glauben nicht daran, dass parlamentarische Mehrheiten in der Lage sind, die Gesellschaft grundsätzlich und in einem emanzipatorischen Sinn zu verändern. Das bedeutet nicht, dass parlamentarische Mehrheiten bedeutungslos wären und es falsch ist, wenn es in den Parlamenten starke linke Parteien gibt. Aber ihre Strukturen und ihre Politik müssen sich notwendig von denen einer außerparlamentarischen Linken unterscheiden, die auf die Selbstermächtigung der Ausgebeuteten und Unterdrückten zielt und die in ihren Aktionen das staatliche Gewaltmonopol bestreitet, weil sie nicht nach der Legalität, sondern der Legitimität der eigenen Politik fragt.
Die strategische Orientierung auf den Bruch darf auch nicht damit verwechselt werden, dass wir uns nur für eine ferne Revolution interessieren, aber in den aktuellen Kämpfen abseitsstünden. Im Gegenteil: Wir wissen, dass eine linke gesellschaftliche Hegemonie nur im Kampf für Teil- und Zwischenziele, in der schrittweisen Verschiebung des Kräfteverhältnisses und dem geduldigen Aufbau von Gegenmacht von unten erreicht werden kann. Dazu gehört für uns auch, möglichst viele Bereiche der kapitalistischen Verwertungslogik bereits jetzt zu entziehen und alternative Vergesellschaftungsformen voranzutreiben.

Zugleich wissen wir, dass Revolutionen und Aufstände nicht planbar sind, dass sie die unbedingt notwendigen Momente der Spontanität, der Unvorhersehbarkeit haben, sodass oft genug in der Geschichte gerade die organisierten Linken von der Geschwindigkeit der Entwicklung überrascht wurden.

Deshalb wollen wir in vielen sozialen Kämpfen präsent sein. Als radikale Linke wollen wir alltägliche Kämpfe an den offensichtlichen, aber auch an den unvermuteten Orten aufspüren, sie unterstützen und Teil von ihnen werden: Kämpfe als Lohnabhängige in den Betrieben, als Erwerbslose in den Jobcentern, als Anwohner_innen in den Stadtteilen, als Studierende an den Universitäten, als Schüler_innen in den Schulen usw.

Zu unserer strategischen Orientierung auf den Bruch gehört unsere grundsätzliche Haltung, an der Seite all derer zu stehen, die sich empören, die sich wehren und die den Aufstand wagen, und als radikale Linke selbst Teil dieses Aufbegehrens zu sein und zu werden. Dies gilt natürlich nur solange und insoweit, als in dieser Empörung das emanzipatorische Moment tragend ist, sie also von der Solidarität der Entrechteten gegen die Zumutungen der herrschenden Zustände und gegen staatliche oder gesellschaftliche Repression geprägt ist. Insbesondere in den Kämpfen, an denen wir direkt beteiligt sind, versuchen wir Orientierungen auf Emanzipation und Solidarität aktiv zu erstreiten. Es ist Teil dieser grundsätzlichen Haltung, dass wir uns niemals mit der bürgerlichen oder imperialistischen Macht gemeinmachen und uns stets gegen Polizei- oder Militäreinsätze positionieren werden.

10. Die Interventionistische Linke will ein organisierter Zusammenschluss von Aktivist_innen in Bewegung sein, die bei uns einen Ort zur kollektiven, inhaltlichen und strategischen Bestimmung ihrer Politik finden. Neben der Erhöhung der direkten Handlungsfähigkeit ist dies der entscheidende Vorteil einer Organisation: Erfahrungen können festgehalten werden, sodass sie Kontinuität und Strategie ermöglichen und verschiedene Bewegungen und Bewegungszyklen miteinander verbinden können.

Gleichzeitig sind wir als organisierte Linksradikale nicht identisch mit den Bewegungen. Diese sind Orte des spontanen, dynamischen Zusammenkommens von Aktivist_innen unterschiedlicher politischer Strömungen und Hintergründe. Die spezifische Dynamik und Lebendigkeit von Bewegungen ist für ihre gesellschaftsverändernde Kraft unverzichtbar und kann nicht durch Organisationen ersetzt werden. Wenn linke Organisationen versuchen, Bewegungen zu vereinnahmen oder für das eigene Organisationsinteresse zu instrumentalisieren, um auf Kosten der Bewegungen stärker zu werden, schwächt das die Kraft für emanzipatorische Veränderungen insgesamt.

11. Die IL betreibt eine Politik der strategischen Bündnisorientierung. Da das Konzept der einen Partei oder Organisation, in der sich alle Revolutionär_innen sammeln, endgültig in die politische Mottenkiste gehört, gehen wir dauerhaft von einer Vielfalt linker Strömungen, Gruppen und Organisationen aus. Dass diese sich nicht gegenseitig bekämpfen und die Existenzberechtigung absprechen sollten, liegt auf der Hand.

Wir gehen davon aus, dass nur gesellschaftliche Blöcke, also strategische Bündnisse, zu denen revolutionäre und moderate Linke gehören, in der Lage sein werden, Kräfteverhältnisse zu verschieben und Basis dafür zu schaffen, erfolgreich Machtfragen stellen zu können.
Wir wollen ein Teil einer solchen pluralen Linken mit unterschiedlichen Strömungen sein, weil wir wissen, dass wir nur gemeinsam stärker werden können – und nicht die eine Strömung auf Kosten der anderen.

In diesen strategischen Bündnissen treten wir ein für eine Politik des Bruchs mit dem Kapitalismus und der radikalisierenden Selbstermächtigung in der Aktion. Wir versuchen dabei, Verantwortung nicht nur für unsere eigene Politik zu übernehmen, sondern immer auch das Bündnis als Ganzes im Blick zu haben. Auf dieser Grundlage machen wir Aktionsvorschläge und vertreten Positionen, weil wir sie für die richtigen und voranbringenden halten. Dabei sind wir uns gleichzeitig bewusst, dass wir nicht immer richtig liegen und dass strategische Zusammenarbeit auf Anerkennung der Verschiedenheit und der Eigenlogik der Beteiligten, auf gegenseitigem Respekt und auf Verlässlichkeit in den Absprachen basiert.

Von diesen strategischen Bündnissen noch einmal zu unterscheiden sind Aktionsbündnisse wie etwa gegen Naziaufmärsche, die manchmal weit ins bürgerliche Lager hineinreichen können. Hier ist nicht im gleichen Maße von einem grundsätzlichen Vertrauen und einer langfristigen Partnerschaft auszugehen. Dennoch gelten für uns auch hier die selbstverständlichen Grundregeln von Transparenz, Respekt und Verlässlichkeit.

12. Die Praxis der IL wird hauptsächlich mit Blockaden und anderen ungehorsamen Massenaktionen identifiziert. Aus unserer Sicht gibt es in der gegenwärtigen politischen Situation tatsächlich gute Gründe, häufig auf diese Aktionsformen zu setzen. Wir wollen mit möglichst vielen Menschen Aktionen machen, die radikalisieren und ermutigen. Dazu ist es notwendig, für widerständige und grenzüberschreitende Aktionen Legitimität nach außen und Transparenz nach innen herzustellen. Die Aktionsvereinbarungen, die beschreiben, wie wir gemeinsam handeln und auf Eskalationsversuche der Staatsmacht reagieren wollen, dienen der Transparenz für die Aktivist_innen und der Ermutigung zum Widerstand.

Gleichzeitig vertreten wir politisch und praktisch die Legitimität und die Notwendigkeit von Gegenwehr und offensivem Widerstand. In Bewegungen und Bündnissen gibt es immer wieder Differenzen über Aktionsformen und Aktionsverläufe. Wir treten dafür ein, diese nicht distanzierend, sondern offen und solidarisch zu führen.

Die Überwindung des Kapitalismus ist letztlich eine Machtfrage und wir wissen, dass die Gegenseite ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen wird. Zugespitzte gesellschaftliche Bedingungen werden daher auch veränderte Aktions- und Kampfformen benötigen. Wir bewegen uns dabei in dem Widerspruch, dass unsere Politik einerseits darauf gerichtet ist, die Gewalt und die gewalttätigen gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden, und wir andererseits um den Charakter und die Schärfe des weltweiten Kampfes gegen die herrschende Ordnung wissen.

Unsere Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen, so wie wir sie verantworten können, und entlang unserer grundsätzlichen Ziele und der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die wir vorfinden und verändern. Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen.

13. Zu einer gesellschaftlichen radikalen Linken gehört auch, mehr und vielfältiger zu werden – kulturell, generationsübergreifend, nicht nur in den großen Städten, sondern auch jenseits der urbanen Zentren.
Organisierte politische Tätigkeit bedingt immer eine persönliche Entscheidung, sich auf die Mühen und die Risiken des politischen Kampfes und auf die Verbindlichkeiten eines kollektiven Prozesses einzulassen. Wir wollen eine IL, in der sich Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Lebensumstände und unabhängig von ihrem Bildungshintergrund oder ihrer Herkunft organisieren können.

Es ist eine kollektive Aufgabe, Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen die Arbeit am gemeinsam politischen Projekt zu ermöglichen und zu erleichtern – dabei können organisatorische Verabredungen hilfreich sein wie z. B. ein anderer Rhythmus der Treffen für Genoss_innen mit geringerem Zeitkontingent oder die kollektive Organisation einer Kinderbetreuung. Wir diskutieren zudem, wie wir Schnittstellen für Aktivist_innen schaffen, die aus geografischen oder persönlichen Gründen nicht Teil einer lokalen IL-Gruppe werden können.

14. Wir wollen eine Interventionistische Linke, in der offene und kontroverse Debatten geführt werden, in der wir gemeinsam über unsere Politik und unser Verständnis der Welt streiten, in der wir Widersprüche klären, aber auch aushalten können und Gemeinsamkeiten festhalten. Dafür arbeiten wir an einer Organisationskultur, die auf Vertrauen und Respekt basiert und in der die notwendigen Arbeitsteilungen von aktivem Mitdenken und solidarischer Kritik begleitet werden. Wichtiger Teil dieser Kultur ist auch, Aufgabenverteilung und Redeanteile zu reflektieren und zu verändern.