Ende Gelände war nach Monaten des erbitterten Widerstands gegen die Abholzung des Hambacher Waldes ein großer Erfolg. 6.500 Menschen beteiligten sich am Wochenende vom 26.-29. Oktober 2018 an der bisher größten Aktion zivilen Ungehorsams gegen Braunkohleabbau. Mehrere Tausend Aktivist*innen besetzten für über 24 Stunden die Gleise der Hambach-Bahn und blockierten damit die Belieferung der umliegenden Kraftwerke mit Braunkohle. Einige Aktivist*innen ketteten sich an den Schienen an und setzten damit die Besetzung fort. Eine kleine Gruppe besetzte in den frühen Morgenstunden des Samstags einen Kohlebagger, der für mehrere Stunden stillstand. Einer andere Gruppe konnte nur durch stundenlanges großes Polizeiaufgebot davon abgehalten werden, gleichzeitig auch in den Tagebau Inden einzudringen. Als Interventionistische Linke sind wir von Anfang an bei Ende Gelände dabei und waren auch dieses Jahr in den verschiedenen Arbeitsgruppen des Bündnisses und in den Fingern der Aktion beteiligt.
So viele wie nie zuvor: Die mobilisierungsstärkste Ende Gelände-Aktion!
Aus der Auseinandersetzung um den Hambacher Wald in den vergangenen Wochen und Monaten konnten wir einiges an Rückenwind für die Aktion Ende Oktober mitnehmen: Als einer der letzten Urwälder Mitteleuropas ist er auf Grund seiner ökologischen Diversität, aber vor allem auch durch den jahrelangen hartnäckigen und kreativen Widerstand der Waldbesetzer*innen, an den sich später Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmenden anschlossen, zum Symbol für den Kampf gegen den Braunkohleabbau geworden. Denn, dass der Verlust des uralten Waldes verhindert werden muss, fand breiten gesellschaftlichen Rückhalt, doch darüber hinaus stieß eben auch auf Zustimmung, dass sich die Auseinandersetzung nicht allein um einen Wald dreht, sondern um Kohle als zentrales Element des deutschen fossilen Kapitalismus und um die Kohlevorhaben im Rheinischen Revier als größte CO2-Quelle Europas - damit geht es um unseren gesamten Planeten und um die globale Klimaungerechtigkeit. In den letzten Monaten hat RWE bereits viel an Glaubwürdigkeit und politischer Legitimation eingebüßt; zudem verhängte das OVG Münster Anfang Oktober einen vorläufigen Rodungsstopp, der weitere Rodungen voraussichtlich bis mindestens Oktober 2020 verhindert. Der Hambacher Forst steht, und er steht für eine Absage an eine zerstörerische Lebensweise und Profitlogik.
Im Zuge der breiten Aufmerksamkeit rund um den Hambacher Wald, den IPCC-Sonderbericht Anfang Oktober im Kontrast zum politischen Versagen der gesamten Parteienlandschaft, auf Klima- und Umweltkrisen zu reagieren, stießen Aktionsformen des zivilen Ungehormsams grundsätzlich zunehmend auf Beliebtheit und Akzeptanz. So fand während oder nach den sonntäglichen, recht bürgerlichen Waldspaziergängen regelmäßig zivilier Ungehorsam duch Blockaden und Barrikadenbau statt. Auch kam es im Anschluss der von NGOs organisierten Solidemo parallel zu Ende Gelände zu Spaziergängen direkt zur Abbruchkante, die wiederum die Bagger zum Stillstand zwangen. Gegebene Verhältnisse durch zivilen Ungehorsam praktisch in Frage zu stellen, ist in diesem Herbst für bedeutend mehr Menschen zur Option oder sogar zur Realität geworden. Daher war mit vielen Aktivist*innen bei Ende Gelände zu rechnen.
Die Größe der Aktion hat aber nicht nur mit aktueller Tagespolitik zu tun, sondern vor allem auch damit, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung im deutschsprachigen Raum mittlerweile eine Bewegung mit organisierter Basis von rund 30 Ende-Gelände-/Klimagerechtigkeitsgruppen ist. Gerade diese selbstständigen und ansprechbaren Lokalgruppen von nebenan hatten in vergangenen Wochen starken Zulauf. Sie ermöglichten vielen Menschen, sich auf die Aktionen vorzubereiten und gemeinsam anzureisen. Darüber hinaus bleibt Ende Gelände bekanntlich auch für den europäischen Kontext einer der wichtigsten Bezugspunkte der Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Bewegung kommt hier zusammen, macht gemeinsame Erfahrungen, knüpft Kontakte und Vertrauen, inspiriert sich und kämpft gemeinsam.
Der Sonderzug
Mit dem Sonderzug reisten rund 1.000 Menschen aus Prag, Leipzig, Berlin und Hannover in die Aktion. Während der Sonderzug als Event eine stark einladende Wirkung hatte und komplett ausverkauft war, wurde er auch Ziel einer völlig unverhältnismäßigen Polizeimaßnahme, die alle Zugreisenden für rund 8 Stunden am Bahnhof Düren festsetzte und zur Abgabe von Personalien zwang. Das Eilverfahren gegen diese Maßnahme wurde negativ beschieden und hat damit einen höchst problematischen Präzedenzfall geschaffen: Mit dem Argument der Gefahrenabwehr könnte diese Art von Maßnahmen systematisch vor Ende-Gelände-Aktionen eingesetzt werden. Der Kessel am Bahnhof hat nicht nur die anreisenden Menschen frustriert, sondern auch wichtige Zeit zur Aktionsvorbereitung genommen. Auch wenn die Fahrt mit dem Sonderzug ein positives Erlebnis war, wurde wieder deutlich: Die Aktion beginnt bereits mit der Anreise.
Viel Repression und größere Erfolge
Nicht nur die Erfolge, die im Hambacher Wald erstritten wurden, sondern auch das brachiale und grundrechtsverletzende Vorgehen der Polizei und Regierung bei der Räumung und im begleitenden Diskurs wirkten sich auf uns aus. Die im Vergleich zu den vergangenen Jahren härtere Gangart begann nicht erst mit der Gängelung der Sonderzuganreisenden am Dürener Bahnhof: Unser Camp wurde letztlich nicht genehmigt, obwohl seit Monaten über geeignete Flächen verhandelt worden war. Das Camp, das am Mittwoch nach den gescheiterten Verhandlungen besetzt wurde, wurde noch am selben Abend von der Polizei geräumt. Andere mögliche Campflächen wurden von RWE zerstört. Am Aktionstag versuchte die Polizei, uns mit kurzfristiger Änderungen der Demoroute und Auflagen immer wieder Steine in den Weg zu legen. Mehrere Menschen wurden in der Aktion Opfer von rechtswidriger oder massiver Polizeigewalt, strukturell oder verübt durch einzelne Polizist*innen. Wir als interventionistische Linke beobachen die Kriminalisierung von Protesten und das Einschränken von Grundrechten wie der Versammlungs- oder Pressefreiheit oder das Verbot, festgehaltene Personen zu misshandeln, mit großer Sorge. Wir sehen sie eingebettet in einen gefährlichen Trend der Autoritarisierung, zu dem beispielsweise auch die Versuche gehören, in NRW und vielen anderen Bundesländern neue Polizeigesetze einzuführen.
Umso erfolgreicher waren vor dem Hintergrund dieser deutlich repressiveren Polizeistrategie das in Rekordzeit aufgebaute neue Camp auf dem Privatgrundstück eines Landwirts und die Schienenblockade von mehreren Tausend Menschen über 24 Stunden, der die Polizei wenig entgegenzusetzen hatte und nicht einmal versuchte zu räumen. Der Großteil der Blockade wurde am Sonntagmittag, zum vorher angekündigten Zeitpunkt des Aktionsendes, selbstbestimmt von uns aufgelöst und konnte ohne weitere Repression zum Camp zurückkehren. Auch wenn durch die Blockade letztlich auf Grund der Vorbereitungen von RWE kein Kraftwerk gedrosselt werden musste, haben wir deutlich gemacht, dass die Kohle-Infrastruktur durch Massenaktionen weiterhin angreifbar ist. Und all die sinnlosen, teuren und hilflosen Repressionsmaßnahmen haben uns am Ende vor allem gezeigt, wie stark wir als Klimabewegung bereits sind! Darauf sind wir stolz!
Ende Gelände, die iL und der Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz NRW war sich dagegen nicht zu schade, die iL als "Hintermänner der Gewalt" darzustellen, "die nur der Systemwandel, nicht der Klimawandel interessiert".
Wir sind uns sicher, dass Wachstum und Kapitalismus mit Klimaschutz, globaler Gerechtigkeit und einer lebenswerten Zukunft nicht zu vereinbaren sind, sondern im Gegenteil ein tiefgreifender Systemwandel dringend nötig ist, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Ziviler Ungehorsam ist dafür richtig und notwendig. Deshalb beteiligen wir uns bei Ende Gelände, wo diese Auffassung geteilt, diskutiert und gemeinsam umgesetzt wird. Die Anzahl der Menschen, die organisieren, teilnehmen, sympathisieren und die Kämpfe für Klimagerechtigkeit unterstützen, die NGOs, die zur Teilnahme an den Aktionen aufrufen, die Erfolge der Lokalgruppen sowie die Erfahrung von grenzenüberwindenden Aktionen in Tschechien und den Niederlanden im vergangenen Jahr zeigen uns und allen, dass wir damit nicht alleine sind, sondern viele. Und wir brauchen als Klimagerechtigkeitsbewegung keine Hintermänner und -frauen*, weil wir keine wollen, weil wir einander vertrauen, weil wir Erfahrung in basisdemokratischer Organisierung sammeln und aus gemeinsamen Aktionen wie auch im Oktober wissen, dass wir gut zusammenwirken. Deshalb wird es auch nicht funktionieren, uns durch absurde Verschwörungstheorien zu spalten oder einzuschüchtern!
We are unstoppable!
Abschließend beschäftigt uns die Spaltung zwischen Klimagerechtigkeitsbewegung und Arbeiter*innen in fossiler Industrie und Gewerkschaften. Wir werden auch weiterhin das Gespräch suchen, wir fordern Abfindungen für Arbeiter*innen statt Profite für RWE! Denn die Dringlichkeit unseres Anliegens wird auch nach der erfolgreichen Aktion nicht weniger. Im Gegenteil: Die Zeit, die wir noch haben, bis der fossile Kapitalismus unser aller Lebensgrundlage zerstört, läuft. Der erwähnte IPCC Sonderbericht zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gibt uns 12 Jahre, um unser System radikal nachhaltig zu verändern und so die Klimakatastrophe aufzuhalten. Deshalb machen wir weiter, weil wir es müssen und weil wir es können. Diese Aktion hat uns einmal mehr gezeigt, dass wir handlungsfähig sind, wo die Parteien versagen, und dass wir in unserem jahrelangen Prozess so viel voneinander und übereinander gelernt haben, dass wir darauf aufbauen können! Another world is possible!