Migration managen

Zwischen Abschottung und ökonomischer Verwertbarkeit

Trumps Migrationspolitik ist in aller Munde und sorgt weltweit für Protest: Der propagandistisch ausgeschlachtete Mauerbau, der Versuch Einreiseverbote durchzusetzen, seine fortwährenden verbalen Ausfälle gegen Migrant*innen und die drohenden Massendeportationen von illegalisierten Menschen aus Lateinamerika, die teilweise jahrzehntelang in den USA leben, stoßen überall auf Empörung.

Auch andere G20-Staaten gehen deshalb verbal deutlich auf Distanz zu Trump: „Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen“, so Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung. Sie bezieht sich aber dabei keineswegs auf die Migrations-, sondern auf die Handelspolitik. Hier nämlich tut sich im Moment der größte Dissens zwischen der US-amerikanischen Politik von Donald Trump und der EU auf: Setzt man auf globalen Freihandel, wie die EU es möchte, oder auf nationalen Protektionismus?  Wer sich für freien Verkehr der Waren einsetzt, muss deshalb nicht notwendigerweise auch auf Bewegungsfreiheit von Menschen setzen. So geht das Sterben im Mittelmeer weiter wie bisher. Allein 2017 überquerten 22000 Menschen das Mittelmeer, 580 starben bei dem Versuch. Unter den EU-Politiker*innen ist die Frage von sicheren und legalen Fluchtwegen in die EU kaum ein Thema. Dafür wird Kritik an den vielen freiwilligen Helfer*innen laut, die im Mittelmeer unterwegs sind und versuchen Menschen zu retten: Sie ermutigten Geflüchtete zur Überfahrt und belebten das Geschäft der Schlepper.

Einen entschiedenen Anti-Trump-Kurs fahren aber auch andere G20-Staaten eher auf der diskursiven Ebene als in der Realität. So ließ der kanadische Premierminister Trudeau zwar nach Trumps verbalen Ausfällen durchaus verlauten, dass Kanada beim Refugees-Welcome-Kurs bleiben wolle. Als bekannt wurde, dass immer mehr Migrant*innen aus den USA versuchen, die Grenze nach Kanada zu überqueren und dafür auch beschwerliche und gefährliche Wege bei winterlichen Temperaturen auf sich nehmen, kündigte er dennoch an, den Grenzschutz ausbauen zu wollen.

Man mag sich hier und da also über das genaue Ausmaß der Abschottung auch hinsichtlich der Migrationspolitik uneinig sein, man kann sich des Eindrucks aber kaum erwehren, dass es sich hier eher um Detailfragen und diskursive Unterschiede handelt.

Krisen managen statt lösen
Auf der internationalen-politischen Ebene, auf der die G20-Staaten in Hamburg verhandeln werden, ist Migrationspolitk vor allem eins: eine Aufgabe des Herrschens und Regierens durch das Management. Das Ziel dieses Managements ist es dabei nicht, das, was als weltweite Flüchtlingskrise bezeichnet wird, einer dauerhaften und endgültigen Lösung zuzuführen, die ja nur darin liegen könnte, die Bedingungen, die Menschen massenhaft zur Flucht oder Migration bewegen, radikal zu ändern: die wirtschaftliche Ungleichheit, Armut, Perspektivlosigkeit, Verwüstung weiter Landstriche, Landgrabbing, Klimawandel, die alle mit dem neoliberalen Kapitalismus zusammenhängen. Da an dieser Grundstruktur gerade nicht gerüttelt werden soll, geht es also darum, Migration zu managen und dadurch regierbar zu machen und eine Form der Integration zu finden, die dem Wirtschaftswachstum und der politischen Stabilität dienlich ist.

Ökonomische Nachhaltigkeit
Nachdem der Sommer 2015 in der EU einen Moment lang die Regierbarkeit infrage gestellt hatte, indem Menschen Zäune und Grenzen überquerten und damit die Mauern der Festung Europa zum Einsturz zu bringen schienen, wird diese bereits seit dem Herbst 2015 durch massive Maßnahmen wiederhergestellt. Seitdem erleben wir die vermehrte Bemühung, das Management zu optimieren und die Spielräume darin enger zu stricken. Deshalb wurde, mangels besserer Alternativen, das Dublin-System schnell wieder hergestellt und der Erdoğan-Merkel-Deal ausgehandelt, der die Türkei zur Türsteherin der EU macht. Und weitere Deals sind in Planung: Migrationsmanagement soll damit immer weiter vor die Tore der EU ausgelagert werden, nach Ägypten, Libyen, Mali, Niger.

Von den wenigen, die es dann noch schaffen, an ihr Ziel zu gelangen, werden noch weniger bleiben können. Das Kriterium dafür ist innenpolitisch gesehen ihre ökonomische Nützlichkeit: wer bereit und fähig ist, sich den ökonomischen Erfordernissen soweit es geht anzupassen und damit seinen oder ihren Teil zum Wirtschaftswachstum beizutragen, wird vielleicht bleiben können. Einen Rechtsanspruch darauf wird er oder sie immer weniger einklagen können. So wird auch die Migrationspolitik zunehmend zu einem Feld, auf dem an den Schwächsten der Gesellschaft vorexerziert wird, was das Menschenbild des neoliberalen Kapitalismus für alle bereithält: den permanenten Zwang zur Bewährung und eine damit einhergehende permanente Verunsicherung.

Ansprüche und Rechte eines Menschen werden hier nämlich nicht an die individuelle Bedürftigkeit gebunden, sondern an die ökonomische Verwertbarkeit. Wenn wir also gegen die G20 protestieren und deren Politik des zynischen Kapitalismus anklagen, dann werden wir vielleicht auch erkennen, dass die hier vorherrschende Migrationspolitik nicht nur die Rechte der Geflüchteten mit Füßen tritt, sondern in ihrer Logik auch eine Bedrohung für die Rechte der Menschen in den G20-Staaten darstellt.

aus: Zeitung der Interventionistischen Linken

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