Wir, die Queer_Feminismus AG der Interventionistischen Linken Berlin, rufen zum gemeinsamen und solidarischen Protest zum Internationalen Hurentag am 02.06. und 05.06. auf. Wir fordern: Die sofortige Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Sexarbeit, sowie ein Ende aller Polizeigewalt!
Am 02.06.1975 besetzten Sexarbeiter*innen in Lyon die Saint-Nizier Kirche, um ihre Situation sichtbar zu machen und gegen die zunehmende Kriminalisierung ihrer Arbeit zu protestieren. Dieser achttägige Streik ist ein historischer Wendepunkt für die europäische Hurenbewegung. Auch heute gibt es genügend Gründe für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, somit auch die freie Berufswahl, einzustehen und Arbeitsrechte zu verteidigen.
Die zunehmende Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeit, zusätzlich verstärkt durch Covid-19, führt zu verheerenden Arbeitsbedingungen. Die Politik hat gezeigt, dass sie keine Antworten außer Verbote hat und dabei fallen besonders illegalisierte, rassifizierte und trans Sexarbeiter* innen durch das Raster der staatlichen Corona-Hilfen. Dadurch erleben sie eine drastische berufliche Prekarisierung, die Wohnungslosigkeit und weitere existenzielle Sorgen massiv erhöht.
Das zwischenzeitliche Verbot von Sexarbeit im Kontext der Pandemie und die Studien zum „nordischen Modell“ belegen die Zunahme von Gewalt gegen Sexarbeiter*innen durch die Kriminalisierung ihrer Arbeit. Wir stellen uns entschieden gegen das nordische Modell, das den sogenannten „Sexkauf“ für Klienten¹ verbietet und so de facto Sexarbeit verbietet. Staatliche Verbote ziehen stärkere Polizeipräsenz und Repression nach sich und fördern staatliche Einmischung und Gewalt im Feld körperlicher Selbstbestimmung. Mehr Polizei kann nie eine Antwort für ein sichereres Zusammenleben, Arbeiten und Miteinander sein. Die Polizei setzt sich vor allem für die Sicherheitsinteressen privilegierter Personengruppen ein und bedeutet für arme, wohnungslose, rassifizierte, trans, queere, illegalisierte, linke und be_hinderte Menschen, sowie Sexarbeiter*innen, als besonders polizierte Berufsgruppe, keine Sicherheit!Durch das Verbot nach dem Vorbild des nordischen Modells werden nicht nur Unterstützungsangebote und Gesundheitsversorgung erschwert, es lässt sich auch eine drastische Zunahme von Gewalt und sozioökonomischer Abwertung feststellen. In Irland beispielsweise ist die Gewalt gegen Sexarbeitende nach Einführung des nordischen Modells 2017 um 92% gestiegen. Es muss das Ziel sein, dass Sexarbeit, wie jede andere Arbeit auch, so sicher wie möglich auszuführen ist. Je schlechter die Arbeitsbedingungen durch Gesetze und gesellschaftliches Klima, desto höher die Zahl (undokumentierter) Gewalt gegen Sexarbeiter* innen. Die Ausgangslage für die Verhandlungen über sexuelle Dienstleistungen für Sexarbeitende verschlechtert sich dadurch, sodass Klienten z.B. den Sexarbeiter* innen gegenüber anonym bleiben und diese sich somit nicht gegen als übergriffig bekannte Klienten wehren können.
Für den 02.06. selbst haben sich SWERFs³ ankündigt ihren Zuspruch zum nordischen Modell auf dem Alexanderplatz kundzutun - What The Fuck!
Diese Vereinnahmung des internationalen Hurentags werden wir nicht unkommentiert stehen lassen. Solidarisch mit den Kämpfen von Sexarbeiter*innen zu sein ist nur konsequent, denn es heißt für eine progressive Gesellschaft zu kämpfen, die die herkömmlichen patriarchalen Rollenzuschreibungen feminisierter Arbeit abbaut! Es heißt auch die längst überholte Idee, dass Sex nur innerhalb einer monogamen, hetero Beziehung stattfindet endgültig über Bord zu werfen!
Wir sehen diesen Kampf als gemeinsamen feministischen Kampf und wir solidarisieren uns mit den Kämpfen von Sexarbeiter*innen am internationalen Hurentag.
Zusammen auf die Straße: erst zum lauten Gegenprotest am 02.06. und am 05.06. zur kraftvollen Demo
Mehr Infos:
¹ Wir gendern Klienten nicht, da wir vor allem auf die cis männliche Gewalt an Sexarbeiter* innen aufmerksam machen wollen. Wir sind uns bewusst, dass Sexarbeit unabhängig von Gender in Anspruch genommen wird.
² Sexarbeit ist jegliche Form von sexueller Dienstleistung, dazu gehören auch Escort, Pornos, Telefonsex, Internetchats, Entspannungsmassage, etc.
³ Sex Worker Exclusionary Radical Feminists/ radikaler Feminismus oder auch 2.Welle-Feminismus, der Sexarbeiter* innen ausschließt. SWERFs als Befürworter* innen des nordischen Modells geben an, mit dem nordischen Modell Zwangsprostitution bekämpfen zu wollen. Zwangsprostitution wird durch Unterdrückungsverhältnisse, wie Illegalisierung migrantischer Personen und patriarchale Gewalt, möglich. Sexarbeit und Zwangsprostitution sind keineswegs gleichzusetzen. Sexarbeit beruht auf Freiwilligkeit und Freiwilligkeit in dem Sinne, wie im Kapitalismus die Wahl der Lohnarbeit eben freiwillig ist, eher weniger… Aber das betrifft alle Berufsfelder und nicht nur Sexarbeit. Weiterhin schließen SWERFs per se aus, dass es so etwas wie freiwillige Sexarbeit überhaupt geben kann und delegitimieren die Stimmen von Sexarbeiter* innen und machen so eigentlich alles zur Zwangsprostitution, was die reale Bekämpfung dessen erschwert. SWERFs bekommen eine Vielzahl staatlicher finanzieller Unterstützung, verzeichnen bisher allerdings keine Erfolge in der Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Effektive Maßnahmen gegen Zwangsprostitution sind Entkriminalisierung von Flucht und Migration, sowie die Entkriminalisierung von Sexarbeit und gute/selbstbestimmte Arbeitsbedingungen.