Geht’s noch?

Die Interventionistische Linke meldet sich zur Einheitsfeier zu Wort

Unter dem Motto „Grenzen überwinden – 25 Jahre deutsche Einheit“ soll eine Million Menschen am kommenden Wochenende in Frankfurt am Main feiern. Was denn? Fragen wir uns.

 

Zum himmelschreienden Zynismus des Mottos müsste eigentlich nichts mehr gesagt werden, um alle, die noch bei Verstand sind, auf die Barrikaden zu bringen. Abschiebungen und Ausgrenzung, die immer weiter um sich greifende Zukunftsangst bei Jugendlichen, Arbeiter_innen, Migrant_innen, Armen und älteren Menschen in ganz Europa, die humanitären Katastrophe an den Grenzen und nicht zuletzt die zahlreichen rassistischen Übergriffe von extremen Rechten und deutschnationalen Bürger_innenmobs auf Geflüchtetenunterkünfte und Migrant_innen – ach ja, und die boomende Rüstungsbranche... Ach nein: die gehört ja auf die PRO-Seite: »Wir sind Exportweltmeister!« Kurzum: die Kälte und Brutalität der Verhältnisse sind Tatsachen, die in Deutschland Realität sind, für Deutschland und von Deutschland aus geschaffen, oder wenigstens befördert werden. Die Inszenierung als Willkommens- und Exportweltmeister, als Hort der Menschrechte und Demokratie, mit Buden und Blaulichtmeilen und großen Reden und Auftritte an diesem kommenden Wochenende verdeckt diese brutale Realität nur dürftig.


»Mit der Lösung der sogenannten „deutschen Frage“ und der Überwindung der europäischen Teilung verschwand ein Krisenherd aus der Weltpolitik« philosophiert Herfried Münkler auf Deutschland.de. Wir denken: Die Krise verschlimmert sich nicht von den Rändern, sondern vom Zentrum Europas her. Der Ausverkauf Ostdeutschlands und stetig sinkende Lohnquoten sind das wirkliche Gesicht der vermeintlichen deutschen Freiheit. Die Auswirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik haben aber vorerst möglichst andere zu tragen – die Menschen der süd- und osteuropäischen Länder, der globale Süden, die Refugees, die, die sich die Bratwurst auf der Einheitssause eh nicht leisten können…

 

Wir sagen mit ihnen allen: es gibt nichts zu feiern!

Die deutsche Politik hat in den vergangenen Monaten immer wieder ein gebieterisches und unschönes Gesicht gezeigt. Wir erinnern uns an einen demokratischen Aufbruch in Griechenland, der vom deutschen Europa ohne Wimpernzucken abgeschmettert wurde. Stattdessen hat sich die deutsche Politik der Austerität, des scheinbar nicht zu durchbrechenden Neoliberalismus wieder fest auf griechischem Boden verankert und zögert nicht an der Seite der Institutionen weiter Jugendarbeitslosigkeit, Privatisierungen und Sozialkürzungen voran zu treiben. Es zeigt sich, dass innerhalb Europas gerade einmal 24 Stunden benötigt werden, um Demokratie über Bord zu werfen, um Grenzen und Zäune aufzubauen, um humanitäre Katastrophen in Kauf zu nehmen und aus der gerade noch gelobten Willkommenskultur wieder die Kultur der Asylrechtsverschärfungen, der Abschiebungen und der Abschottung zu entwickeln. Aber, liebe Deutsche, macht auch Ihr Euch nichts vor: Das Motto der eisernen Kanzlerin und ihrer Entourage heißt Zuckerbrot und Peitsche – oder Streicheln und Verrecken lassen. Wer glaubt, durch die Teilnahme an diesem Fest der Selbstbeweihräucherung ein Teil des scharz-rot-goldenen Schulterschlusses zu werden und mit etwas Besserem als einem Händedruck, einem Senffleck auf der Jacke oder einem SPD-Kugelschreiber, mit dem man dann den nächsten Bescheid vom Amt beantworten darf), nachhause zu kommen, irrt.
Es gibt auch hier etwas anderes, das Teil eines anderen Europas und Teil einer anderen Welt ist. Aber dieses findet sich sicherlich nicht innerhalb der schwarz-rot-goldenen Partymeile. Einige haben es in den letzten Wochen bei den zahllosen Refugee-Hilfsaktionen gesehen, erleben es im Alltag, wenn sie selbst in Not Hilfe erfahren oder gemeinsam auf der Straße gegen Zwangsräumungen, Mieterhöhungen, Rassismus und Chauvinismus.

 

Tatsächlich Grenzen überwinden...

...ist das, was wir nur gemeinsam tun können. Nicht auf dem deutschen Volksfest, sondern alltäglich und konkret. Wie Grenzen überwunden werden zeigen zuerst all jene, die gerade die Festung Europa ins Wanken bringen, zeigen all jene die sich gegen die alltäglichen Zumutungen wehren, die sich organisieren um „Welcome“ zu sagen, die losfahren um aktive Fluchthilfe zu leisten, die sich an der Seite der Menschen ins Süd- und Osteuropa stellen und sich gegen die Schlinge der kapitalistischen Austerität wehren. Diejenigen, die Seite an Seite mit ihren alten und neuen Nachbarn Flagge gegen die Deutschlandrufe in Heidenau, Dresden, Neuruppin oder Niederau zeigen. Gemeinsam bauen wir die Grenzen ab und stellen unsere Solidarität gegen ihren Nationalismus. Wir werden weiter transnational Zäune niederreißen, praktische Solidarität leben und das Deutschland der Austerität und Abschottung angreifen. Wir rufen alle auf, sich dabei nicht vom „Markt der deutschen (UN-)Möglichkeiten“, Frontex und der Bundeswehr aufhalten zu lassen.