Resilienzkapitalismus

Unsicherheit – das neue Narrativ

Der Begriff der Resilienz hält zunehmend Einzug in die offiziellen Verlautbarungen der G20. Resilienz meint „Widerstandsfähigkeit“ und sagt: In Krisenzeiten müssen wir widerstandsfähig sein. Doch geht es dabei um emanzipatorische Rebellion?

Wer kennt Lars Hendrik Röller? Lars Hendrik Röller ist der Sherpa der Bundeskanzlerin.  „Sherpa“ ist die offizielle Bezeichnung der Manager hinter den Regierungschef*innen, die die G20-Gipfel vorbereiten und im Hintergrund koordinieren. Am 1. Dezember 2016 tritt Röller vor die T20-Vertreter*innen, einem Netzwerk von Thinktanks der G20-Staaten, und damit eigentlich auch vor die Weltöffentlichkeit, um die Agenda der Bundesregierung vorzustellen.

Wer sich sich das Video anschaut – was kaum jemand tut – sieht dort in einem eleganten Setting einen im besten American-English parlierenden Managertypen, weltoffen und redegewandt und eigentlich sagt er lange nichts. Nach spätestens zehn Minuten werden die meisten das Video ausgemacht haben. Aber in Minute 14 wird es interessant. Röller stellt das neue Narrativ der G20 vor. 
Was ist dieses Narrativ? Anstatt eine Geschichte zu erzählen, werden daraus zwei sich ergänzende Begriffe: Unsicherheit und Resilienz.

 „Resilient“ statt „nachhaltig“
 „Wir haben uns gedacht der Geschichte noch einen anderen Gesichtspunkt hinzuzufügen und das ist das Konzept der Resilienz, Unsicherheit, das Risiko. Die Menschen sind besorgt darüber, ob es da nicht eine Art Unsicherheit/Ungewissheit als Kehrseitenrisiko angesichts ihres ökonomischen Auskommens gibt. Und wir nehmen das Thema und wir bauen darauf Resilienz als Teil einer Erfüllungsgeschichte … da gibt es auch etwas über Umgehen mit den Gefühlen von Unsicherheit. Ist die Welt vorbereitet dafür, mit den globalen Herausforderungen umzugehen, wenn sie auftauchen? Und da gibt es zwei Teile. Ein Teil ist Prävention, der andere ist, wenn die Herausforderungen da sind, mit ihnen umzugehen.“ Was passiert da? Worauf läuft das hinaus? In den letzten Jahren ist das Konzept der Resilienz mehr und mehr in die unterschiedlichsten Forschungsbereiche und die öffentlichen Diskussionen vorgedrungen. Stadtplanung zum Beispiel fragt zukünftig nicht mehr nach einer „nachhaltigen“ Stadt, sondern nach einer resilienten. Die Risiken (so die des Klimawandels) werden nicht mehr abzuwenden sein. Es wird darauf ankommen, sie zu bestehen. Die Kinder in der Schule brauchen kein solidarisches Miteinander, um auf das spätere Leben vorbereitet zu werden. Vielmehr müssen sie resilient werden: das aushalten, was geschieht und im Idealfall an sich abprallen lassen.

Nach der Krise 2007 hält der Begriff der Resilienz zunehmend Einzug in offizielle Verlautbarungen, vor allem in Bezug auf die Finanzarchitektur. Diese soll resilient werden. Die Frage nach den Ursachen kommt in dieser Erzählung noch weniger vor. Im beiläufigen Smalltalk-Ton macht der Sherpa der Bundeskanzlerin der Welt klar: Macht euch auf etwas gefasst! – Und niemand hört zu.

Was für die Finanzarchitektur gilt, wird auch für die Menschen gelten, für die hier die Basisbedingungen ihres Lebens festgezurrt werden. Die resiliente Finanzarchitektur braucht auch den resilienten Menschen, den Politikwissenschaftler Marc Neocleus die „Bereitschaftsmaschine“ nennt.

Was das im politischen Alltag bedeutet, hat Volker Kauder – möglicherweise unfreiwillig – als grausame Konsequenz dieser individualisierenden neoliberalen Perspektive präzise formuliert, als er nach einem Besuch im Bürgerkriegsland Irak im Sommer 2014 eine Hilfestellung in Aussicht stellt, die an die vorab zu erbringende individuelle Überlebensleistung gekoppelt ist und damit das entkernt, was einmal mit dem Begriff Solidarität verbunden war: „Ich finde, dass wir weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen, wenn sie es bis zu uns schaffen.“

»Wir sind dabei, Bereitschaftsmaschinen zu werden. Eine Bereitschaftsmaschine zu sein, macht uns in den Augen des Staates zu einem guten Bürger. Jederzeit in Bereitschaft versetzt, verlieren wir die Fähigkeit, uns eine andere Zukunft als die des plötzlichen Angriffs vorzustellen, auf den wir uns vorzubereiten haben. Die Resilienz ist der Mechanismus, der unsere politische Einbildungskraft überwacht und zu kolonisieren versucht. Deshalb wird unsere Subjektivität zum Resilienztraining verpflichtet, als einer Technologie des Selbst, die den ultimativen Traum der Polizei verwirklicht, jede mögliche Alternative auszuschließen.
Unsere Verunsicherung als Subjekte, als Arbeiter, als Bürger wird damit einer Struktur der permanenten Selbstüberwachung unterstellt. Wir dürfen die Bereitschaftsmaschinerie nicht in Frage stellen. So recycelt unsere Resilienz das vom Kapital verursachte Leiden zugunsten des Kapitals: Wir sollen uns die Zukunft als Katastrophe vorstellen, um für das gerüstet zu sein, was das Kapital uns abverlangt.«

– Marc Neocleous –

aus: Zeitung der Interventionistischen Linken

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