Dokumentiert aus der Maiausgabe 2006 der ak - analyse & kritik:
Auf der Aktionskonferenz am 25./26. April in Rostock gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm wurden erneut wichtige Grundsteine für eine spektrenübergreifende Zusammenarbeit gelegt. Bereits im Vorfeld des Sozialforums in Erfurt hatte die Interventionistische Linke für eine solche Zusammenarbeit vier Punkte als Grundlage vorgeschlagen: die Delegitimierung der G8, Akzeptanz unterschiedlicher Widerstandsformen, verbindliche und solidarische Zusammenarbeit und die klare Abgrenzung gegen rechts. Allerdings gab es nach Rostock auch Stimmen, die grundsätzlich eine breite bündnispolitische Zusammenarbeit in Frage stellten.
Auf Grund der Erfahrungen bei den Gipfelprotesten in Gleneagles 2005 warnen VertreterInnen dieser Position vor einer Zusammenarbeit mit großen NGOs. Sie befürchten, die Gipfelproteste 2007 könnten dadurch zu einer großen Legitimierungsparty werden. Doch was nützt es, auf Geldof und einzelne NGOs mit dem Finger zu zeigen? Die eigentliche Frage müsste doch lauten: Warum ließ es die Linke in Schottland zu, dass sich Geldof&Co so in Szene setzen konnten, während das Dissent!-Netzwerk isoliert blieb.
Linke Strömung statt Legitimierungsparty
Dass Bob Geldof 2007 am Brandenburger Tor auftreten wird, werden wir ehrlicher Weise ebenso wenig verhindern können, wie die Tatsache, dass Ereignisse in den Medien präsent sein werden, die mit linksradikalen Positionen wenig gemein haben. Die Erfahrungen aus Gleneagles zeigen aber, dass ohne breites Bündnis und ohne Bejahung der Pluralität der Protestbewegungen die Marginalisierung linksradikaler Ansätze weiter fortschreiten kann. Galt es für die italienische Linke im Genua Social Forum immer wieder, Kompromisse zu schließen und eigene Konzepte der Militanz und linksradikaler Inhalte neu zu diskutieren, so standen linke Strömungen in Gleneagles trotz erfolgreicher Aktionen wie Info-Tour, Clowns-Army und Aktions-Camp isoliert. Forderungen nach Bewegungsfreiheit, Teilhabe für alle und Abschaffung der herrschenden Verhältnisse konnten lediglich an sich selber, nicht aber nach Außen vermittelt werden. Das aber müsste Ziel einer "interventionistischen" Praxis sein, die für linke Ideen und Aktionen gewinnen will."Ihr 8 - wir 8 Milliarden" und "G8 illegitim" lauteten die Slogans der Anti-G8-Mobilisierung in Genua und Evian. Allerdings ist seitdem die Delegitimierung der G8 durch den Funktions- und Darstellungswandel der Gipfeltreffen immer schwerer geworden. Im Laufe der Jahre änderten sich nicht nur die G8-Themen - Armutsbekämpfung, Wasserversorgung oder Klimawandel wurden mit auf die Agenda gesetzt -, sondern die Gruppe der Acht band auch zunehmend große NGOs mit ein.
Die Spaltung in gute und dialogbereite KritikerInnen auf der einen und gewaltbereite Spinner, Außenseiter und Chaoten auf der anderen Seite ist nichts anderes als eine Strategie zur Stärkung des neoliberalen Projektes. Insofern macht die Vereinnahmungs- und Spaltungstaktik seitens der G8 eine möglichst breite Delegitimierung umso notwendiger, aber auch schwerer. Deshalb gilt es in den kommenden Monaten zu zeigen, dass es nicht entweder linksradikalen Protest auf der einen oder Hegemonie-stützende Massenaktionen auf der anderen Seite gibt. Wir sind gut beraten, die uns zugeschriebene Rolle der Marginalisierten nicht anzunehmen, und stattdessen dafür zu kämpfen, dass sich im Protest ein Profil herausbildet, das keine große NGO-Allianz, keine Linkspartei, keine Regierung und schon gar nicht die G8 vereinnahmen können oder wollen.Mit der Konferenz Ende März in Rostock wurde ein erster Versuch unternommen, über die Phase der spektrenbezogenen Planungen hinaus Ideen zusammen zu führen. Denn: Wenn der Gipfelprotest einen nachhaltigen Niederschlag haben soll, setzt das einen Prozess im Vorfeld und die Kommunikation der verschiedenen Protestspektren voraus. Ganz in diesem Sinne wurde bisher kein Bündnistreffen im klassischen Sinne initiiert, vielmehr einigten sich die an der Ausrichtung der Konferenz beteiligten AkteurInnen auf die Form einer Aktionskonferenz. Die Idee der offenen Aktionskonferenz baut auf die Erfahrungen der sozialpolitischen Proteste auf: Die Organisierung des G8-Protests soll nicht, wie oft in der Vergangenheit, am Grünen Tisch zwischen RepräsentantInnen großer Verbände hergestellt werden. Die Teilhabe an Entscheidungen und die Möglichkeit der Partizipation für Akteure jeglicher Couleur und Größe ist die Voraussetzung dafür, dass die Bewegung die angestrebte Vielfalt und Schlagkraft entwickeln kann.
Nach der Rostocker Konferenz herrschte jedoch bei vielen AktivistInnen Unklarheit über die Form der weiteren Zusammenarbeit. Die auf der Konferenz gebildeten Arbeitsgruppen (Blockade, Groß-Demo, Kultur, Gegengipfel, Camp, Repression und Migration) haben sich zu weiteren Treffen verabredet und auch der Wunsch nach weiteren Aktionskonferenzen wurden geäußert. Gleichzeitig wurden aber auch Stimmen laut, die ein spektrenübergreifenden Bündnis über die Absprache in Arbeitsgruppen und auf Aktionskonferenzen hinaus grundsätzlich in Frage stellen. Bedarf es aber nicht in den kommenden Monaten gerade auf Grund der unterschiedlichen Formationen und entsprechend verschiedenen Organisationsprinzipien der beteiligten Akteure (NGOs, Verbände, Netzwerke, Initiativen, lokale Zusammenschlüsse) der Herausbildung eines zentralen, aber offenen Ortes der Koordinierung? Nur hier können Einzelaktivitäten und Arbeitsgruppen-Ergebnisse sowie quer liegende Fragen wie die nach einer gesamtgesellschaftlichen Delegitimierung der G8 oder der Abgrenzung gegen Rechts koordiniert, diskutiert und transparent gemacht werden. Nur hier können Absprachen über einen solidarischen Umgang untereinander gemeinsam diskutiert und festgelegt, aber auch eingeklagt werden.
Linke Strömung heißt Zuspitzung, Aktion und Kultur
Inzwischen haben diejenigen Gruppen und Einzelpersonen, die die Konferenz in Rostock vorbereiteten, für ein offenes Nachbereitungstreffen in Hannover eingeladen. Jetzt geht es darum, auszuprobieren, wie der häufig postulierte Wunsch nach Kooperation gefüllt werden kann, inwiefern politische Debatten Raum haben und welche Bereitschaft es gibt, sich auf die (ehrlicherweise) gegenseitige Beeinflussung der eigenen Praxis einzulassen, um gemeinsame Stärke entwickeln zu können.
Inhaltliche Profilierung, eigene kulturelle Akzentsetzung sowie Aktivierung und Radikalisierung durch Aktion - das sind die drei Stichworte, anhand derer zur Zeit einige sich in der Interventionistischen Linken zusammengefundene Gruppen und Personen diskutieren.Inhaltliches Profil in den Protesten herauszubilden, geht über den Versuch der Delegitimierung der G8 hinaus und müsste heißen, das Eintreten für globale soziale Rechte konkret anhand von Forderungen beispielsweise nach globaler Bewegungsfreiheit, einem bedingungslosen Existenzgeld für alle und der Aufhebung patriarchaler Differenzierungen zuzuspitzen oder die Frage nach Schulden des globalen Südens in die Frage nach Reparationszahlungen von Nord nach Süd umzukehren.
Das wird aber auch bedeuten, eigene Publikationen herauszugeben und mit eigens entwickelten Bildungsmaterialien Veranstaltungen zu organisieren, um so die Funktionsweise und Interessen der G8 allgemein verständlich zu machen und sich somit Raum für grundsätzliche Kritik an bestehenden Herrschaftsmechanismen und -strukturen zu erschließen. Als Orte für diesen Ansatz kristallisieren sich neben den Aktionskonferenzen und Bündnistreffen der Gegengipfel, Protestcamps, aber auch Seminare und Groß-Veranstaltungen der Bündnispartner heraus. Des weiteren sollte eine interventionistische Linke zwischen Sozialprotesten und der Politik der G8 Zusammenhänge herausstellen; dies passiert bei der 3.-Juni-Demo, kann aber auch bei antirassistischen oder Anti-Atom-Aktionen passieren.Aktivierung und Radikalisierung drückt sich jedoch nicht nur in inhaltlicher Profilierung aus, sondern bedeutet auch Zuspitzungen in der Aktion. Wie kann der Protest sich radikalisieren und zum Widerstand werden? Als Aktionsperspektive bietet sich hier an, Konzepte vergangener Gipfelproteste, wie beispielsweise in Genua, zum Ausgangspunkt zu nehmen und als Ziel für 2007 zu formulieren, den Gipfel blockieren zu wollen. Diese Blockaden können und müssen, wenn wir für eine breite Konstellation werben wollen, unterschiedlich aussehen: Sitz-, Steh-, Materialblockaden; und auch die unterschiedliche Konfrontations- und Risikobereitschaft der AktivistInnen ist zu berücksichtigen.
Gibt es jetzt ein Bündnis oder gibt es keins?
Entscheidend für den Erfolg von Blockadeaktionen wird sein, dass sich viele Menschen aus unterschiedlichen Spektren beteiligen und sich solidarisch zueinander verhalten. Die Breite könnte auch helfen, der Repression entgegen zu wirken und hier neue Spielräume zu eröffnen. Doch was sind die Voraussetzungen dafür? Es müsste kalkulierbare, niedrigschwellige Angebote für Massenblockaden geben. Nicht bundesweit, sondern lokal könnten sich in den kommenden Wochen und Monaten Aktionsbündnisse gegen G8 bilden.Um zu verhindern, dass die öffentliche Wahrnehmung der Gipfelproteste 2007 ähnlich wie 2005 in Schottland von inhaltsleeren Events wie den Live8-Konzerten dominiert wird, ist es jetzt an der Zeit, große Kulturveranstaltungen mit KünstlerInnen und MusikerInnen zu organisieren, die sich als Teil der Bewegung verstehen und sich nicht vor den Karren der G8 spannen lassen. Auch hier gilt wieder: Selber machen, damit Geldof&Co-Bühnen nicht alleine das Medienbild bestimmen können.
Berit Schröder,aktiv bei FelS und in der IL