Kundgebung gegen rechte Ideologen und Geheimdienste

Kundgebung
Mo. 05. Dez. 2016

Hamburg

18:30 Uhr
Der ehemalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Thüringen Helmut Roewer soll am Montag den 5. Dezember 2016 bei der extrem rechten "Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. (SWG)" referieren.

Dagegen protestieren wir. Roewer steht beispielhaft für die massive staatliche Unterstützung von Nazistrukturen in Thüringen der 1990er Jahre. Diese Protektion und Förderung galt auch dem sog. /Thüringer Heimatschutz (THS)/, der direkten Vorfeldorganisation des NSU-Terrornetzwerkes.

Heute gehört Roewer zur Neuen Rechten, referiert bei Naziburschenschaften, publiziert in braunen Kleinverlagen seine geschichtsrevisionistische Weltsicht und redet einen rechten Umsturz herbei. Sein letztes Buch: „Auf dem Weg zur Weltherrschaft – Warum England den Ersten Weltkrieg auslöste und Amerika ihn gewann“ ist denn auch Thema seines angekündigten Vortrags. Tenor: Eine „anglo-amerikanische Geld- und Machtelite gegen Ende des 19. Jahrhunderts“ habe den ersten Weltkrieg angezettelt, um das aufstrebende Deutsche Reich zu stoppen.

Die braunen Veranstalter

Die SWG hatte im Laufe ihrer mehr als 50-jährigen Vereinsgeschichte immer wieder ehemaligen Angehörigen von NSDAP, SA und SS, aber auch nationalkonservativen Vertriebenenpolitikern und Vordenkern der Neuen Rechten eine Bühne verschafft. Die Leugnung der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg, die "Ehrenrettung" von Wehrmacht und Waffen-SS, die Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete und die Relativierung des Holocausts sind dabei immer wieder Themen.

Auch die Hamburger NPD-Anwältin Gisa Pahl wurde mehrfach zu Vorträgen eingeladen und im Sommer d.J. kam der damaligeLandesvorsitzende der NPD Thomas Wulff als Zuhörer. Der Hamburger Inlandsgeheimdienst hatte die SWG in den letzten Jahren zwar immer wieder im Visier. Trotzdem können die Aktivitäten der SWG noch stattfinden und werden als gemeinnützig sogar ungewollt vom Steuerzahler finanziert.

Der Referent – rechts fördern und Antifaschismus verfolgen

Unter Roewers Ägide als LfV-Präsident von 1994 – 2000 perfektionierte das Amt mit illegalen Methoden seine geheimdienstliche Arbeit. Der Hauptfeind stand für den Dienst nach dem Zusammenbruch der DDR, aber einer noch starken PDS links. Roewer gründete unter dem Decknamen
Stephan Seeberg extra eine Tarnfirma namens /Heron Verlagsgesellschaft/, welche mit geheimdienstlichem Wissen und ungeklärten Finanzquellen
Propaganda gegen Linke und AntifaschistInnen produzierte. Auch der heutige Ministerpräsident von Thüringen Bodo Ramelow wurde ausgiebig
bespitzelt, ebenso engagierte GewerkschafterInnen und andere, welche sich in den 1990er Jahren gegen den rechten Straßenterror wehrten.

Die thüringer Naziszene hingegen wurde verharmlost, gedeckt und via V-Leuten massiv finanziert und unterstützt. Alleine Tino Brandt, Führer des /Thüringer Heimatschutzes (THS)/, der wichtigsten Nazikameradschaft in diesen Jahren, bekam für seine Tätigkeiten über 200.000 DM, welches er nach eigenen Angaben in den Aufbau von Nazistrukturen steckte. Insgesamt sollen laut NDR bis zu 1,5 Millionen aus Roewers Amt an die Nazis geflossen sein. Aus dem THS kam auch das Mordtrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Trotz oder gerade wegen Brandt, ca. 40 weiteren V-Leuten allein im THS und den Machenschaften des Geheimdienstes konnte die braune Szene nicht nur munter blühen, sondern auch das spätere Kerntrio des NSU ungehindert abtauchen und aus dem Untergrund seine beispiellose Serie von 10 Morden, Sprengstoffanschlägen und Überfällen begehen. Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass Inlandsgeheimdienste eher ihre Informanten schützen, als vor Naziterror, dann sei ein Blick auf die 1990er Jahre in Thüringen empfohlen.

Der Fehler liegt im System

Auch Hamburg und seine Sicherheitsbehörden haben nichts getan, um in Richtung rassistischer Mordserie zu ermitteln, welcher u.a. der hiesige Kaufmann Süleyman Tasköprü 2001 zum Opfer fiel – ermittelt wurde fast ausschließlich im familiären Umfeld und im Bereich der organisierten Kriminalität. Der Senat weigert sich bis heute einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) einzuberufen, obwohl bundesweit 10 PUAs zum NSU-Komplex existierten oder noch arbeiten. Das Hamburger Landesamt versperrt bis heute der Bürgerschaft oder den NebenklageanwältInnen im NSU-Prozess umfassende Akteneinsicht, parlamentarische Anfragen werden nicht oder belanglos beantwortet, die Angehörigen von Süleyman Tasköprü allein gelassen. Statt einer von Ex-Innensenator Michael Neumann versprochenen umfassenden Aufklärung, publizierte der Senat einen 87-seitigen Bericht (der Bericht des PUA im Bund hat 1.300) als Konsequenz aus dem Staatsversagen. In diesem attestieren sich Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft bezüglich NSU und Hamburg alles richtig gemacht zu haben – ohne parlamentarische Kontrolle.

Nazis und Geheimdienste

Dass Helmut Roewer früher als Geheimdienstchef tatig war und heute als brauner Ideologe, verwundert nur auf den ersten Blick. Der Verfassungsschutz wurde 1950 im Zuge des Kalten Krieges zwischen Ost und West als antikommunistischer Inlandsgeheimdienst gegründet. Für diese Aufgabe wurden viele erklärte AntikommunistInnen rekrutiert: ehemalige Nazis.

Die zu diesem Zeitpunkt reaktivierte Totalitarismustheorie, die Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus, hat ihre innenpolitische Entsprechung in der Gleichsetzung von so genanntem Links- und Rechtsextremismus. In der Konsequenz also auch die Gleichsetzung von Nazis und ihren erklärten GegnerInnen. Aufgrund der personellen Kontinuität und des Klimas des Kalten Krieges waren tatsächlich aber fast nur Linke, oder solche, die man dafür hielt, im Fokus. Herr Roewer setzte diese Tradition nur exponiert fort. Seine braunen Aktivitäten kann er übrigens immer noch quasi aus geheimdienstlicher Tätigkeit fördern: Denn nicht nur das damalige erlangte Wissen bringt er mit, sondern als ehemaliger beamteter Chef der Schlapphüte erhält er bis heute eine stattliche Pension.

Wir nehmen den Auftritt von Ex-Geheimdienstchef Roewer bei der SWG bewusst zum Anlass, nicht nur die braunen Aktivitäten zu thematisieren, sondern auch die Rolle des Verfassungsschutzes. Der Geheimdienst untergräbt mit seinen grundrechtsgefährdenden und unkontrollierbaren Instrumentarien die Demokratie. Er musste als Frühwarnsystem kläglich scheitern, hat den Neofaschismus nicht nur klein geredet, sondern die
Nazi-Szene personell und finanziell unterstützt.

Wir fordern:

- Schluss mit den Bildungsveranstaltungen der SWG Aberkennung der Gemeinnützigkeit
- Lückenlose Aufklärung der Mordserie des NSU auch in Hamburg
- Abschaffung des Verfassungsschutzes
- Antifaschismus muss Aufgabe der Zivilgesellschaft sein


Kundgebung am 5. Dezember 2016
Palmaille Nr. 29
18.00 Uhr


Hamburger Bündnis gegen Rechts