Berlin
Schwere Zeiten für Menschenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden: Seit dem Putschversuch von Teilen des Militärs im Juli diesen Jahres befindet sich die Türkei im Ausnahmezustand. Die Gefängnisse sind überfüllt, über 100.000 Menschen im öffentlichen Dienst wurden suspendiert und ihrer Lebensgrundlage beraubt. Es wurden über 150 Presseorgane geschlossen, über 120 JournalistInnen inhaftiert, darunter JournalistInnen der letzten kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem und der liberalen Zeitung Cumhuriyet. Soziale Medien werden gesperrt und Internetsperren über komplette Regionen verhängt. AkademikerInnen, die eine Friedensresolution unterzeichnet haben, wurden entlassen, verfolgt und verhaftet. Im Fernsehen wurden nach dem gescheiterten Militärputschversuch Bilder von festgenommenen Soldaten gezeigt, die Folterspuren aufwiesen. Die Vorwürfe reichen von psychologischer bis hin zur physischen Folter, sexualisierte Folter eingeschlossen.
Neben der „Gülen-Bewegung“, einem langjährigen Partner von AKP und Erdogan, trifft die Verfolgung vor allem die kurdische Opposition und die drittstärkste Partei im türkischen Parlament, die HDP. Mittlerweile sind über 2000 PolitikerInnen der HDP verhaftet worden und hunderte von kurdischen Vereinen verboten worden. Anfang November wurden 12 HDP Abgeordnete, darunter auch die beiden Ko-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, nachts in ihren Wohnungen festgenommen und später in Untersuchungshaft gesteckt.
Die regierende AKP verfolgt bereits seit Juni 2015 eine Strategie der Eskalation und des Ausnahmezustands. Nach dem sie bei den Parlamentswahlen durch den Einzug der linken- und prokurdischen HDP ihre absolute Mehrheit verloren hatte, wurde der Friedensprozess mit der PKK für beendet erklärt. Ziel der AKP ist ein „Präsidialsystem“, das jedoch besser als eine plebeszitäre Diktatur beschrieben werden könnte. Noch in der Nacht des gescheiterten Putsches bezeichnete Erdoğan den Putsch als „Geschenk Gottes“, nun zeichnet sich immer deutlicher ab, was er damit meinte. Für das Frühjahr 2017 ist als nächster Schritt eine Volksabstimmung zur Einführung der Todesstrafe und des Präsidialsystems geplant.
Kolonialverhältnisse in Kurdistan
Die Beendigung des Friedensprozess und die damit einhergehende Ausrufung von Neuwahlen sind in erster Linie der Sorge Erdoğans über die Entwicklung in Rojava und die Wahlerfolge der HDP geschuldet. Die Neuwahlen im Herbst 2015 wurden von einer Offensive gegen die HDP und die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen begleitet. Ganze Städte und Stadtteile wurden militärisch belagert, angegriffen und zerstört. Ganze Stadtbezirke wie Sur in Diyarbakir, wurden dem Erdboden gleich gemacht. Annähernd 300 Zivilisten verloren ihr Leben durch Raketeneinschläge oder durch Scharfschützen. Die UN berichtete von 30 Menschen, die in Cizre bei lebendigem Leibe in Kellern verbrannt wurden.
Mit dem gescheiterten Militärputschversuch wurde dieser Krieg gegen die eigene Bevölkerung auf die gesamte Türkei ausgeweitet. Gewählte BürgermeisterInnen werden abgesetzt und an ihrer Stelle werden staatliche Treuhändler eingesetzt, so geschehen in bislang 28 kurdischen Städten.
Die Repressalien werden begleitet von Kriegsverbrechen des türkischen Staates. Mehrere Videos, die über soziale Medien gestreut wurden, dokumentieren u.a. die kaltblütige Hinrichtung von kurdischen Guerillakämpferinnen.
Mitverantwortlich: Inkonsequente Haltung des Westens
Die geostrategische Lage der Türkei in einer Region, die an Rohstoffen und Konfliktherden reich ist, führte zu einem bleiernen Schweigen der westlichen AußenpolitikerInnen zum Demokratie-Abbau in der Türkei. Die florierenden Wirtschaftsbeziehungen zu dem Wachstumsmarkt Türkei und die Nachfrage nach Waffen „made in Germany“ ließen die westlichen Wirtschaftsminister schweigen. Aus kurzfristiger Interessenskalkulation heraus wurde ein schmutziger Deal mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage abgeschlossen, der der Türkei politische Unterstützung garantiert, und diese wiederum verpflichtet, die Abwehr der fliehenden Menschen für die EU umzusetzen. Erdoğan wird mit EU-Milliarden unterstützt und nutzt die Abhängigkeit der EU-Flüchtlingspolitik als Blankoscheck für eine repressive Innen- und Außenpolitik.
Keine Unterwerfung
Die dramatischen Entwicklungen in der Türkei haben eine Reichweite bis nach Europa. Die Angriffe auf die Menschenrechte und die Demokratie wollen wir nicht unbeantwortet lassen – wir stehen auf der Seite derer, die Widerstand gegen den Aufbau einer AKP-Diktatur leisten, die sich Erdoğan nicht unterwerfen und deswegen vom türkischen Staat verfolgt werden.
Beteiligt euch an der Aktionswoche gegen den Krieg in Kurdistan und die Repression gegen die Opposition in der Türkei. Kommt am Internationalen Tag der Menschenrechte zur gemeinsamen Demonstration.
Navdem, HDK Berlin, Ceni, Frauenrat Dest Dan, Akebi, Maf-Dad, Interventionistische Linke Berlin