Am heutigen Samstag gingen bis zu 8000 Menschen für Solidarität mit Geflüchteten und gleiche Rechte für alle in Hamburg auf die Straße. Unter dem Namen „Recht auf Stadt – Never mind the Papers“ hatte sich im November ein neues Bündnis gegründet mit dem Ziel im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl, die am 15. Februar stattfinden, die Themen Bleiberecht, Wohnraum, Arbeitserlaubnis und ausreichende medizinische Versorgung für alle stark zu machen.
Die heutige Mobilisierung steht vor dem Hintergrund des mittlerweile knapp zwei Jahre andauernden Kampfes der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“. Der Hamburger SPD-Senat hatte die Forderungen der vor dem Krieg in Libyen Geflüchteten konsequent ignoriert, so dass die Situation für viele der rund 300 Menschen bis heute ungeklärt bleibt. Das einzige Angebot der Hamburger Regierung, sich individuell in ein Asylverfahren zu begeben, nahmen nur wenige von ihnen an – mit der Folge, dass sie ihre italienischen Dokumente abgeben mussten und eine Abschiebung nach Afrika riskieren. Die Mehrheit fordert weiterhin ein Gruppenbleiberecht. Mittlerweile leben laut des Zusammenschlusses „Solidarisch Wohnen“ rund 130 der Refugees in Wohnprojekten, in denen sie von solidarischen Hamburger_innen aufgenommen wurden.
Um den Kampf der Lampedusa-Gruppe einerseits mit den Anliegen anderer Geflüchteter, die u.a. in mehreren überfüllten Aufnahmelagern in Hamburg leben müssen, und andererseits mit den sozialen Kämpfen um bezahlbaren Wohnraum zusammenzuführen, gründete sich im November 2014 das Bündnis „Recht auf Stadt – Never mind the Papers“. Dabei geht es darum, für einen Zugang zu öffentlichen Gütern unabhängig von Aufenthaltsstatus und Ausweispapieren, aber auch gegen die alltägliche Praxis von Abschiebungen einzutreten. Von antirassistischen Solidaritätsinitiativen über Gewerkschaftsjugenden, ASten, Recht-auf-Stadt-Initiativen bis zu linksradikalen Gruppen kam in der Vorbereitung ein heterogenes Bündnis zusammen.
Mit einer Kundgebung zum SPD-Parteitag trat das Bündnis im Dezember zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. In den folgenden Wochen wurde beispielsweise die Frage des Zugangs zu Wohnraum für Geflüchtete und Wohnungslose mit einer satirischen Aktion vor der Geschäftsstelle des städtischen Wohnungsunternehmens SAGA/GWG thematisiert. (Die SAGA ist durch ihre Vergabepolitik mit dafür verantwortlich, dass viele Geflüchtete nicht aus den Aufnahmelagern in Wohnungen umziehen können.) Das Bündnis beteiligte sich außerdem an einer „Refugees Welcome“-Demonstration in Lübeck am 17. Januar, organisierte eine Solidaritätsparty und startete eine große Mobilisierung für eine eigene Demo am 31. Januar. Ende Januar unterstützten schließlich 94 Gruppen, Initiativen und Organisationen den Aufruf.
Die lautstarke Demo am Tag selbst überstieg die erwartete Teilnehmer_innen-Zahl um ein Vielfaches und zog mit drei Lautsprecherwagen von den Landungsbrücken am Hafen durch die Innenstadt bis zum Rathausmarkt. Die Gewerkschaftsjugend war mit einem eigenen Block „Working Class never mind the Papers“ präsent. Außerdem gab es einen Jugendblock sowie einen kleinen Kinderblock. Trotz massivem Polizeiaufgebot konnten viele Menschen, die in der Stadt unterwegs waren, erreicht werden. Am Rande der Route wurden Banner von Häuserwänden entrollt, Konfetti wurde geworfen und Feuerwerk gezündet. Mit dabei war auch eine „rollende Wahlkabine“ des Schwabinggrad-Ballett. Dieses hatte im Vorfeld dazu aufgerufen, Briefwahlunterlagen mit zur Demonstration zu bringen um sie Menschen zur Verfügung zu stellen, die nicht wahlberechtigt sind. Denn: „So kann die Menge der Wahlstimmen vermehrt werden durch die anonyme Übertragung in der rollenden Wahlkabine an jemand, der noch nicht das allgemeine und freie Wahlrecht hat.“ Diese hatten vor Ort die Möglichkeit ihre Stimme abzugeben.
Zwei Wochen vor den Hamburger Wahlen wurde mit der Demonstration jeder künftigen Regierungspartei klar gemacht: Politik gegen Geflüchtete wird in dieser Stadt auch weiterhin auf massive Proteste stoßen! Die Forderungen der Lampedusa-Gruppe können vom Senat nicht weiter ausgesessen werden! Dies unterstrich die Gruppe selbst zudem vor wenigen Tagen mit einem Offenen Brief an die Grünen. Letztere haben sich zwar in ihrem Wahlprogramm für die Unterstützung der Lampedusa-Gruppe ausgesprochen – ob und inwieweit sie als möglicher zukünftiger Koalitionspartner der SPD nach der Wahl an ihren Versprechen festhalten werden, ist aber noch lange nicht ausgemacht und wird letztlich auch vom gesellschaftlichen Druck auf sie abhängen.
Deshalb ist es umso wichtiger, den Druck auf die politischen Parteien auch nach der heutigen Demonstration aufrechtzuerhalten. Auch vor dem Hintergrund eines bundesweit erstarkenden Rechtspopulismus (AfD, Pegida) gilt es, migrantische Kämpfe und Selbstorganisierung durch aktive Solidarität zu unterstützen und antirassistische Forderungen stark zu machen.
Die nächste Aktion der Kampagne wird am kommenden Sonntag, den 8. Februar um 14 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Erstaufnahmelager in der Schnackenburgallee stattfinden.
Blog des Bündnisses http://nevermindthepapers.noblogs.org/
Presseberichterstattung
Tagesschau: http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-59145.html
NDR Hamburg Journal: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Tausende-protestieren-gegen-Fluechtlingspolitik,hamj38760.html
Mopo: http://www.mopo.de/politik/friedliche-demo-in-der-innenstadt-8000-hamburger-sagen–fluechtlinge-sind-hier-willkommen-,5067150,29714278.html
NDR: http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Tausende-fordern-mehr-Rechte-fuer-Fluechtlinge,demonstration512.html
Hamburger Abendblatt: http://mobil.abendblatt.de/;s=oKpab5lIq31637yMG1s-w26/ab/hamburg/article136983043/Tausende-fordern-mehr-Rechte-fuer-Fluechtlinge-in-Hamburg.html?config=mobile
Zeit: http://www.zeit.de/hamburg/aktuell/2015-01/31/demonstrationen-tausende-menschen-fordern-mehr-rechte-fuer-fluechtlinge-in-hamburg-31142010
Radio Hamburg: http://www.radiohamburg.de/Nachrichten/Hamburg-aktuell/Hamburg-regional/2015/Januar/Fuer-Fluechtlingsrechte-Recht-auf-Stadt-Demo-in-Hamburg
Kieler Nachrichten: http://www.kn-online.de/Schleswig-Holstein/Landespolitik/Tausende-Menschen-fordern-mehr-Rechte-fuer-Fluechtlinge-in-Hamburg
Fotos und Videos
Graswurzel TV: http://www.graswurzel.tv/v248.html
Demofotografie Hamburg: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.784057204982660.1073741884.402955523092832&type=1
Fotos Daniel Müller: https://www.flickr.com/photos/98466105@N06/sets/72157648243778104/
Fotos Rasande Tyskar: https://www.flickr.com/photos/rasande/sets/72157648241515944/
Fotos Eicke Hamann: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.820249604714735.1073741833.719820574757639&type=1
Fotos Joceline Noelle Berger: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.10206134827151956.1073741877.1301575689&type=1
Mobilisierungsclip: http://graswurzel.tv/p77.html
Mobilisierungsclip with english subtitles: https://www.youtube.com/watch?v=0taA83LVAqw
Anleitung zur Briefwahl: https://www.youtube.com/watch?v=OnXdRG58Nnk&feature=youtu.be
Bericht zur SAGA-Aktion: http://nevermindthepapers.noblogs.org/post/2015/01/22/