Erfolg oder Mitmachfalle? Gespräche über den Berliner Mietenvolksentscheid

Überholspur oder Einbahnstrasse - Wohin führt der Weg des Berliner Mietenvolksentscheids?
Überholspur oder Einbahnstrasse - Wohin führt der Weg des Berliner Mietenvolksentscheids?

Selten hat eine Initiative in so kurzer Zeit für so viel Wirbel gesorgt wie der Berliner Mietenvolksentscheid. Allen voran die SPD bekommt Angst und will auf die Initiative zugehen, Teile der Partei lassen sogar verlauten, das Gesetz im Wesentlichen übernehmen zu wollen. Neben Lob gibt es jedoch auch Drohungen – der Senat will das Gesetz dem Landesverfassungsgericht zur „Prüfung“ übergeben. Ziel ist mindestens eine Verzögerung, vielleicht ein Scheitern des Gesetzesentwurfs. Nachbesserungen, die rechtlich problematische Teile des Gesetzes ändern könnten, hat die Landeswahlleitung bereits ausgeschlossen. In dieser Situation finden nun zwischen Senat, SPD und Mietenvolksentscheid-Initiative Gespräche statt. Der Ausgang ist ungewiss: Der Volksentscheid hat den Senat zum Handeln gezwungen und Druck aufgebaut für eine Wende in der Wohnungspolitik. Der Senat wiederum hat in den letzten Wochen versucht, mit der Drohung einer Verfassungsklage wieder Oberwasser zu gewinnen und Druck auszuüben, um die Forderungen des Gesetzesentwurfs aufzuweichen. Die offenen Gespräche drohen, zu Verhandlungen über Inhalte zu werden. Nun ist die Bewegung gefragt: die Gespräche dürfen nicht im Sommerloch vergessen werden, sondern brauchen Druck von außen.

Wohnungspolitik unter Druck

Innerhalb sieben Wochen ist es dem Berliner Mietenvolksentscheid gelungen fast 50.000 Unterschriften zu sammeln. Das ist eine deutlich Botschaft und es ist klar, dass es dabei nicht nur um den Gesetzesentwurf der Initiative geht, sondern um die Forderung nach einer grundsätzlich anderen Stadtpolitik, die nicht in erster Linie für Geschäftsinteressen der privaten Wirtschaft gedacht ist.
Nachdem die Regierungsparteien am Anfang vor allem mit der Beschimpfung direkter Demokratie, mit absurden Horrorszenarien, falschen Vorwürfen und Drohungen reagiert haben, scheinen Teile des Senats nun davon überzeugt zu sein, dass es besser sei, die Vorschläge des Volksentscheids zumindest in Teilen umzusetzen, um dann die Ergebnisse für sich zu reklamieren. Anstatt im Wahljahr 2016 gegen eine Volksentscheid-Bewegung anzutreten, will man sich als Partei der Mieterinnen und Mieter profilieren.
Klar ist, dass diese Situation durch die Bewegung erzwungen wurde: am liebsten hätten die Regierenden den Volksentscheid ignoriert oder diskreditiert. Dies ist nun nicht mehr möglich, daher wird vor allem von der SPD versucht, zu verhandeln. Während Vertreterinnen und Vertreter des Berliner Senates mit der Initiative Mietenvolksentscheid sprachen und bei der Haushaltsplanungen erste Maßnahmen trafen, wollte die SPD Fraktion ein Extra-Gespräch. Hier zeigen sich die unterschiedlichen Interessen innerhalb des Regierungsblocks. Die schwarz-Rote Koalition, und auch die SPD intern sind sich nicht einig, ob und welche Zugeständnisse nötig sind.
Innerhalb weniger Monate hat die Initiative also erreicht, was jahrelang ausgeschlossen wurde: der Berliner Senat diskutiert ernsthaft über den Neuaufbau wirklich sozialer öffentlicher Wohnungsbestände.

Viel zu leicht integrierbar?

Auf der anderen Seite können die Regierenden nur deshalb die Option der wesentlichen Übernahme des Gesetzes ins Auge fassen, weil es leider noch nicht die absolute Kehrtwende weg von einer kapitalistischen Wohnungspolitik bedeutet, nicht mal weg von einer neoliberalen Stadtpolitik.
Denn erstens schränken höherrangige Gesetze und Richtlinien bis hoch zur EU-Ebene den Spielraum der Landespolitik ein: keine Enteignungen von ungenutzten Flächen und Wohnraum, keine Mietpreisobergrenze, bestehende Knebelverträge im alten Sozialen Wohnungsbau sind einzuhalten.
Zweitens ist ein Volksentscheid innerhalb der Landespolitik gegenüber normalen Gesetzgebung im Parlament diskriminiert: Während im Abgeordnetenhaus ganze Gesetzespakete verabschiedet werden, muss bei einem Volksentscheid penibel darauf geachtet werden, dass Maßnahmen in ein einziges, inhaltlich-juristisch zusammenhängendes Gesetz passen. Eine „Koppelung“ verschiedener Rechtsbereiche und Themen ist nicht erlaubt.
Drittens hat man aber zu unserem Bedauern auch nicht die Möglichkeiten innerhalb dieser Grenzen voll ausgeschöpft. Etwa in den Verwaltungsräten der neu zu schaffenden öffentlichen Wohnungsbauanstalten: Hier haben im vorgeschlagenen Gesetz die Vertreterinnen und Vertreter des Senats weiterhin eine Stichmehrheit.
Im Bündnis Mietenvolksentscheid gab es intensive Diskussionen, diesen Passus im Nachhinein zu ändern – wir als Interventionistische Linke setzten uns für eine stärkere Beteiligung von Mieterinnen und Mietern wie auch der Belegschaft ein, nach dem Modell des Energie-Volksentscheids von 2013. Damit konnten wir jedoch im Bündnis nicht überzeugen - es wurde befürchtet, dass dies dazu führe, dass sich der Senat aus seiner Verantwortung für die Wohnungsunternehmen zieht. Außerdem wurde davon ausgegangen, dass diese Veränderung nur zu einer längeren rechtlichen Prüfung des Volksentscheides führen, aber am Ende abgelehnt würde. Denn Anpassungen zwischen zwei Stufen eines Volksentscheides dürfen den wesentlichen Charakter des vorgeschlagenen Gesetzes nicht verändern. Daher wurden am Ende vom Bündnis nur kleinere Änderungen vorgeschlagen, etwa zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur Verbesserung der Wohnsituation von Geflüchteten. Doch auch diese wurden nicht genehmigt – die Landeswahlleitung verbot aus formalen Gründen auch technisch-juristische Präzisierungen.
Dieser geschickte Schachzug setzte das Bündnis unter Druck: Die Kombination aus Änderungsverbot und Drohung mit Verfassungsgericht zwang das Bündnis Mietenvolksentscheid an den Gesprächstisch.

Die Dialektik von Bewegungsmacht

Wenn man von mit einer Bewegung von unten radikale Veränderungen herbeiführen will, dann müssen auch realpolitische Forderungen gestellt werden – dies hat der Mietenvolksentscheid von Anfang an gewagt und sich um Reformismusvorwürfe nicht gekümmert. Grade deshalb gelang es, die Profitlogik im Wohnungsmarkt auf breiter Front infrage zu stellen.
Wie die Geschichte zeigt, bergen solche Erfolge allerdings auch immer Risiken. Wer sich in das Feld der Herrschenden begibt, muss mit den dort geltenden Regeln umgehen lernen. Hier jedoch kann der Gegner schnell die Initiative an sich ziehen – diese Situation droht dem Mietenvolksentscheid: gestartet als Kampagne auf der Straße, ist er nun durch geschicktes Taktieren des Senats zur Frage des Verwaltungsrechts geworden.
Die Gespräche bergen nun die Gefahr, dass nur Teile des Gesetzes übernommen werden. Dadurch blieben einerseits Forderungen unerfüllt. Vor allem jedoch liegt die Initiative nicht mehr bei der Bewegung, die selbstbewusst einen Forderungskatalog aufstellt und auf der Straße durchdrückt. In den Gesprächen reden nur Wenige, und das abgespeckte Ergebnis kann schnell als Gabe der Herrschenden präsentiert werden. Die Mobilisierung der Mieterinnen und Mieter könnte zum Erliegen kommen, noch bevor der Volksentscheid seine zweite Phase erreicht hat. Die stadtweite Diskussion über ein Ende der Profitlogik im Wohnungsmarkt und eine öffentliche Sicherung des Rechts auf Wohnung darf  jedoch jetzt nicht abebben. Sie muß weitere Kreise zu ziehen und mehr Menschen mobilisieren, nur so können Ergebnisse und Verbesserungen durchgesetzt werden.

  • Die Gespräche sind ein Dilemma. Sie einfach abzubrechen ist keine Option, die Drohung einer verfassungsgerichtlichen Entsorgung des Gesetzes ist zu real, um ignoriert zu werden. Gleichzeitig darf sich die mietenpolitische Bewegung nicht über den Grünen Tisch ziehen lassen.
  • Wir müssen darauf achten, dass das Angebot der SPD bzw. der Regierungsparteien nicht nur ein Spatz in der Hand ist: das ganze Gesetz ist der Maßstab. Dabei muss klar gemacht werden, dass das Gesetz des Mietenvolksentscheid nur eine Minimalforderung ist, die durch die Anpassung an die rechtlichen Erfordernisse entstanden ist. Die wirklichen Forderungen gehen weit darüber hinaus. Dies muss unsere Botschaft sein, denn die SPD kann, wenn sie will, jederzeit über das Gesetz hinaus gehen und zum Beispiel die Berechnung der Kostenmiete überprüfen, die Verträge der GSW Privatisierung veröffentlichen und Vertragsbrüche verfolgen etc.
  • In den Gesprächen muss klargemacht werden, dass der Druck der Straße die Gespräche überhaupt erst erzwungen hat, ein Wegverhandeln wesentlicher Inhalte ist ein Schlag ins Gesicht für zehntausende Unterstützerinnen und Unterstützer des Gesetzes.
  • Die Gespräche müssen schnellstmöglich öffentlich gemacht werden. Ganz Berlin hat ein Recht, hier Bescheid zu wissen.
  • Sollten Senat und Abgeordnetenhaus die wesentlichen Inhalte des Gesetzes nicht übernehmen, muss die zweite Stufe der Unterschriftensammlung und schließlich der Volksentscheid ermöglicht werden.
  • Ein gerichtliches Verbot oder eine Verzögerung des Volksentscheids sind nicht hinnehmbar. Sollten Senat oder Abgeordnetenhaus Klage erheben, dann geht es nicht um eine „verfassungsrechtliche Prüfung“. Es geht um ein Verhindern von direkter Demokratie.

Wir müssen unseren Delegierten in den Gesprächen den Rücken stärken: Nur, wenn Sie eine Bewegung hinter sich wissen, können sie den Manövern des Senats eine starke Position entgegenstellen. Deshalb muss Öffentlichkeit hergestellt werden und Druck aufgebaut werden. In dieser Situation sind nicht nur die Aktiven im Volksentscheid-Bündnis, sondern alle aktiven Mieterinnen und Mieter, die ihre Unterschrift für das Gesetz gegeben haben, gefordert. Insbesondere die organisierte Linke, die Kiezinitiativen und stadtpolitischen Gruppen sind gefragt:  Die Gespräche zum Mietenvolksentscheid müssen in der Bewegung und in den Kiezen diskutiert werden. Stadtpolitisch Aktive sollten die Gelegenheit Nutzen, beim Aktiventreffen des Mietenvolksentscheid mitzureden – die Termine sind öffentlich und unter https://mietenvolksentscheidberlin.de/ einzusehen.