Unterstützt mit uns »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«

Längst mehr als ein Gespenst – in Berlin und überall!

Längst mehr als ein Gespenst: Unterstützt mit uns »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« – in Berlin und überall!

Seit Ende Februar ist es so weit: Das Gespenst der Enteignung geistert wieder durch Berlin – und zigtausende Menschen empfangen es mit offenen Armen. Die zweite Sammelphase des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« läuft. Und sie läuft erfolgreich, trotz Corona und politisch-polizeilichen Störversuchen: Plakate, Infostände, Kiezteams, vom Szeneviertel bis zur Großsiedlung am Stadtrand – die ganze Stadt ist auf den Beinen. Statt pflichtbewusst demokratische Mitbestimmung über sich ergehen zu lassen, begreifen die Bewohner*innen der Stadt das Volksbegehren als das, was es ist: Eine einmalige Chance, sich die Stadt zurückzuholen, von den Wohnungskonzernen, Investor*innen, Aktionär*innen und ihren politischen Handlanger*innen.

Diese Begeisterung und Dynamik ist wichtig, denn die Aufgabe ist groß: Bis Ende Juni müssen rund 175.000 gültige Unterschriften gesammelt werden, damit es am 26. September zeitgleich mit der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl zum großen Showdown kommt: In einem Volksentscheid könnten die Berliner*innen dann darüber entscheiden, ob alle Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung enteignet und ihre Wohnungen vergesellschaftet, d.h. in Gemeineigentum überführt und mit wirklicher Mitbestimmung durch Mieter*innen und Beschäftigte demokratisch verwaltet werden sollen. Damit wären mindestens 240.000 Wohnungen – rund elf Prozent aller Wohnungen in Berlin – dauerhaft dem Markt und damit dem Mietenwahnsinn entzogen.

Es geht um viel – nicht nur für Berlin!

Ein erfolgreicher Volksentscheid wäre für die betroffenen Mieter*innen und die mieten- und stadtpolitische Bewegung in Berlin und darüber hinaus ein Riesenerfolg – und für die Immobilienwirtschaft samt ihrer politischen Vertreter*innen von SPD über CDU und FDP bis hin zur AfD eine krachende Niederlage. Der von Rot-Rot-Grün eingeführte Mietendeckel zeigt, wie sehr »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« die wohnungspolitischen Kräfteverhältnisse schon jetzt nach links verschoben hat, und zwar nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Ein am Tag der Bundeswahl gewonnener Volksentscheid würde diese Dynamik weiter verstärken und der Mieter*innen-Bewegung auf Jahre hinaus massiven Rückenwind geben.
Gleichzeitig spüren alle, dass es um mehr geht als um Wohnungspolitik, um mehr als den Kampf gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung: Wem gehört die Stadt? Ihren Bewohner*innen oder den Konzernen? Wer entscheidet? Die Bevölkerung oder die Aktionär*innen? Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Stadt der Reichen oder Rotes Berlin? Was überwiegt in der Coronakrise und darüber hinaus: Kapitalistische Traurigkeit oder rebellische Hoffnung? In der Entscheidung über das Volksbegehren werden diese grundlegenden Fragen konkret. Damit erzwingt »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« eine Entscheidung – von der Stadtgesellschaft, aber auch von uns als außerparlamentarische Linke. Am Rande stehen und Nase rümpfen? Neidvoll nach Berlin schauen und zu Hause weitermachen wie bisher? Oder »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« aktiv unterstützen und aus konkreten Erfahrungen lernen? Wir haben die Wahl. Nutzen wir die Chance!

Enteignen und Vergesellschaften – von der Richtungsforderung zur konkreten Praxis

Als Interventionistische Linke haben wir Enteignen und Vergesellschaften in der Vergangenheit vor allem als »Richtungsforderung« und »roten Faden interventionistischer Politik« diskutiert, z.B. in unserer »Vergesellschaftungsbroschüre« aus dem Jahr 2012 (https://interventionistische-linke.org/beitrag/vergesellschaftung-die-il-broschuere), in der Broschüre »Das Rote Berlin« von 2018 (https://interventionistische-linke.org/beitrag/das-rote-berlin) oder unserer »Enteignungsbroschüre« von 2020 (https://interventionistische-linke.org/beitrag/enteignen-ist-die-halbe-miete-investoren-verdraengen-wohnraum-vergesellschaften). Ausgangspunkt war dabei die Einsicht, dass aus sozialen Kämpfen langfristig keine wirkliche Veränderung entsteht, wenn der Hebel nicht auch bei der Eigentumsfrage angesetzt wird. Als außerparlamentarische Linke wissen wir zugleich, dass wir uns auf das Lenken und Leiten von staatlicher Seite nicht verlassen wollen und können. Enteignen geht daher nur als Vergesellschaften. Kein einfaches Überführen von Eigentum in staatliche Hand, sondern Stadt von unten, das heißt: echte Demokratisierung und gemeinsame Schritte in Richtung einer gelebten Utopie!
Mit »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« ist diese strategische Perspektive für unsere Genoss*innen und viele weitere Aktive in Berlin mittlerweile zur konkreten Praxis geworden. Zudem zeigen Initiativen wie das »Mietshäuser Syndikat« oder lokale Kämpfe um Stadtentwicklung und kommunale Wohnungsgesellschaften schon seit längerem, dass die Forderung nach Vergesellschaftung im Bereich Wohnen und Stadt keineswegs rein abstrakt bleiben muss. Auch in vielen anderen gesellschaftlichen Feldern – von Gesundheit und Care über Bildung und Digitalisierung bis hin zu Verkehr und Energie – wird in der gesellschaftlichen Linken seit Jahren über die Notwendigkeit von Enteignung und die Zielperspektive der Vergesellschaftung diskutiert. Wie die aktuellen Beispiele der Krankenhäuser oder der Impfstoffproduktion und -verteilung zeigen, haben diese Debatten mit der Coronakrise eine zusätzliche Dringlichkeit erhalten. Die Perspektive der Enteignung und Vergesellschaftung erscheint hier unmittelbar einleuchtend. Aber trotz all dieser Diskussionen: Häufig mangelt es an konkreten Projekten, die über soziale Nischen hinausgehen, eine politische Zuspitzung provozieren und gesamtgesellschaftlich tatsächlich die Eigentums- und Machtfrage stellen. All das gelingt »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!«. Was können wir davon lernen?

Falsche Gegensätze überwinden: Von unten groß denken

Mit der Forderung, große Wohnungskonzerne per Gesetz zu enteignen und zu vergesellschaften, betritt  »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« politisches Neuland. Denn Artikel 15 des Grundgesetzes, auf den sich das Volksbegehren beruft, ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nie zur Anwendung gekommen. Zwar wird im Kapitalismus ständig enteignet. Aber eben für Autobahnen, Flughäfen und den Kohleabbau. Vom »Zwecke der Vergesellschaftung« und einer Überführung »in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« , wie es in Artikel 15 heißt, war dabei aus bekannten Gründen aber nie die Rede. Bei »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« ist das anders. Dass sich das Volksbegehren mit seiner Forderung nach einer Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne auf das deutsche Grundgesetz berufen kann, ist in den konkreten politischen Auseinandersetzungen hilfreich – für uns aber nicht entscheidend.
Entscheidender ist die Herangehensweise, die darin zum Ausdruck kommt: In »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« wird deutlich, dass es nicht darum geht, Politikansätze gegeneinander zu verhandeln, sondern Projekte und Zugänge miteinander zu verbinden. Ein Volksbegehren auf Grundlage des Grundgesetzes ist nicht nur Reformismus. Und die Forderung nach Enteignen und Vergesellschaften ist keine radikale Geste. Sie ist Antwort auf konkrete Bedürfnisse von Mieter*innen und beziehen ihre Legitimation aus langen Diskussionen, vielfältigen Formen der Selbstorganisierung und der kollektiv durchgesetzten Widerstandsfähigkeit in den Kiezen Berlins. Veränderung entsteht dort, wo wir im Kleinen und Großen Druck machen. Anhand von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« sehen wir, was es heißt, wenn große Kampagnenpläne aus langfristiger Organisierung von Mieter*innen in Häusern, Straßen und Vierteln entstehen. Enteignung ist ein großes Projekt, weil es gelingt,  die lokale Selbstermächtigung in unzähligen konkreten Konflikte mit einer kampagnenförmigen Zuspitzung zu verbinden. Zugleich ist die Kampagne selbst eine organisierende Praxis. In kürzester Zeit haben sich in der ganzen Stadt dezentrale Sammelgruppen, so genannte »Kiezteams«, organisiert. Damit sich nicht nur erfahren Aktivist*innen daran beteiligen können, wurden Leitfäden ausgearbeitet, wie Gruppen sich selbst organisieren können. Es finden regelmäßig Schulungen statt, in denen sowohl vermittelt wird, wie Menschen für Unterschriften angesprochen werden können, als auch, wie die Gruppen neu Mitstreiter*innen gewinnen können. Das gemeinsame Lernen ist hier nicht nur ein Nebenprodukt, sondern steht im Mittelpunkt einer Kampagnenpraxis, die mehr ist als ein Social Media-Phänomen.

Am Ende entscheidet die Straße!

Diese Herangehensweise von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«! ist auch für die weitere Zukunft entscheidend. Denn wir sind nicht naiv: Natürlich wissen wir, dass die Initiative scheitern kann: an einer mangelnden Zahl von Unterschriften in der zweiten Sammelphase, oder an einer fehlenden Mehrheit beim Volksentscheid Ende September. Und auch wenn trotz der zu erwartenden Propagandakampagne der Gegenseite ein positives Votum zustande kommt: Damit die Regierung dann auch den Auftrag des Volksentscheids ernst nimmt und ein entsprechendes Gesetz erlässt, wird es noch großen, vielfältigen und gut organisierten Druck von unten brauchen. Ebenso ist die Höhe der Entschädigung, die den Wohnungskonzernen leider zusteht, letztlich eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse.
Es bleibt also dabei, egal an welchem Punkt: Am Ende entscheidet die selbstorganisierte Macht der Vielen. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Selbst eine Niederlage im Volksbegehren könnte einen Sieg bedeuten – dann nämlich, wenn es gelingt, aus der massenhaften Mobilisierung der Mieter*innen und der Stadtgesellschaft dauerhafte Formen der Organisierung und Gegenmacht von unten zu entwickelt. Damit wäre eine wichtige Grundlage für zukünftige Kämpfe geschaffen – nicht nur beim Thema Mieten und Wohnen, sondern überall dort, wo es um eine Stadt für alle und das Rote Berlin geht.

Jetzt sind wir dran!

Genau hier kommen wir alle ins Spiel, egal wo wir wohnen: Ergreifen wir die Möglichkeit, die »Deutsche Wohnen & co. enteignen!« eröffnet hat, sorgen wir dafür, dass das Gespenst der Enteignung nicht nur durch Berlin spukt! Lasst uns darüber nachdenken und praktisch ausprobieren, wie die Erfahrungen aus Berlin auch anderswo und in anderen Themenfeldern genutzt werden können: Wie verdrängen wir Deutsche Wohnen, Vonovia und co. auch aus Hamburg, Köln, Leipzig und Frankfurt? Wie lassen sich RWE und co. enteignen? Was würde es heißen, die Gesundheitsversorgung zu vergesellschaften – und welche konkreten Kämpfe müssen wir führen und gewinnen, damit dies geschieht? Darüber sollten wir in den nächsten Monaten gemeinsam diskutieren – zum Beispiel auf dem IL-Debattenblog (https://blog.interventionistische-linke.org) – und uns an die Arbeit machen!
Und weil es die Hoffnung ist, die uns trägt: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« auch tatsächlich gewinnt, bauen wir bundesweit Druck auf! Zum Beginn der zweite Sammelphase haben in mehr als 25 Städten Fotoaktionen stattgefunden, die bundesweite Unterstützungskampagne läuft. Auch beim europaweiten »Housing Action Day« am 27. März und zum 1. Mai gibt es vielfältige Gelegenheiten, mit Aktionen gegen große Wohnungskonzerne und die Immobilienlobby sichtbar zu werden und Verbindungen zu lokalen Kämpfen herzustellen. Am Pfingstwochenende (21. bis 23. Mai) heißt es dann: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin – zum großen Enteignungscamp mit Veranstaltungen, Workshops und gemeinsamem Unterschriftensammeln für das Volksbegehren. Und wer weiß – vielleicht lässt die Coronalage im September ja wieder eine Großdemo zu.

Das Gespenst der Enteignung ist unterwegs. Rollen wir ihm den Teppich aus. Stellen wir die Machtfrage. Denn unsere Städte haben Eigenbedarf!

 

Recht auf Stadt-AG der Interventionistischen Linken, März 2021