Licht aus im Leuchtturm - Streik an der Charité.

Am 22. Juni beginnt der unbefristete Streik der Charité - Beschäftigten für mehr Personal im Krankenhaus. Damit streikt das größte Universitätsklinikum Europas; der sogenannte Leuchtturm der Medizin. Das erste Mal wird in einem Krankenhaus hierzulande für eine tarifliche Regelung für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen für alle gestreikt. Damit kämpfen die Beschäftigten nicht nur für gute Arbeitsbedingungen und die eigene Gesundheit; es ist auch ein Kampf für das Recht auf gute Gesundheit für alle. Denn der katastrophale Personalmangel im Krankenhaus gefährdet auch die Gesundheit der Patient*innen, führt zum Einspringen von pflegenden Angehörigen oder Freund*innen und damit zu einer Belastung aller Betroffenen. Da die Mehrzahl der Pflegekräfte und pflegender Angehöriger, die die Lücken der Versorgung auffangen, weiblich ist, sind Frauen* von den Belastungen besonders betroffen.


Blut, Schweiß und Seife.

Seit Jahren findet an der Charité ein Kampf gegen die krankmachenden Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse statt: Aufgehäufte Überstunden, Einspringen aus dem Urlaub, keine Zeit für Pausen – all das ist Alltag der Beschäftigten. Das führt zu permanentem Stress, Überlastung und Erschöpfung; aber auch zu Unzufriedenheit, keine Zeit für gute Betreuung oder das Eingehen auf die Bedürfnisse der Patient*innen. Und mehr noch: Personalmangel führt zu Infektionsübertragung durch Hygienemängel und gefährlichen Situationen für die Patient*innen.

Hinter dem Gefühl der meisten Pflegenden, den Anforderungen der "Fabrik Krankenhaus" und auch den eigenen Ansprüchen an gute Pflege nicht gerecht werden zu können, steht kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Die Situation an der Charité ist kein Einzelfall, sondern Normalität im Krankenhaussystem und Ausdruck der neoliberalen Ökonomisierung in diesem Bereich.

Die Bedingungen von Pflege und Care-Arbeit haben sich in den letzten Jahren massiv verschlechtert und zur Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse geführt. Im Krankenhausbereich spielte neben der Reduzierung der staatlichen Zuwendungen vor allem die Einführung eines neuen Finanzierungssystems, der sogenannten DRGs (Diagnosis Related Groups) im Jahre 2004 eine entscheidende Rolle. Dieses auf Fallpauschalen basierende Finanzierungssystem trieb die Kommerzialisierung und Profitmaximierung in den Krankenhäusern massiv voran und entwickelte sich in kürzester Zeit zum neoliberalen Dogma.

Die neoliberale Ökonomisierung des Krankenhaussystems macht sich vor allem bemerkbar an einer verschärften Ausbeutung von Arbeitskraft, verdichteten und prekarisierten Arbeitsbedingungen und einer Organisationslogik, die im Widerspruch steht zu den Bedürfnissen der Pflegenden und Gepflegten. Die herrschaftsförmige Absicherung dieser Ausbeutungsverhältnisse über die Anrufung einer uneigennützigen, altruistischen Motivation zur Sorge- und Pflegearbeit hat dabei auch eine klare geschlechtsspezifische Dimension.


Mehr Yoga ist auch keine Lösung!

Die Beschäftigten an der Charité haben sich auf den Weg gemacht, haben ausgehend von ihren alltäglichen Widersprüchen, die oftmals im neoliberalen Diskurs als individuelle Unzulänglichkeiten markiert werden, gemeinsame und kollektive Handlungsfähigkeit hergestellt. Durch das kalkulierte Nicht-Belegen von "bestreikten Betten" kann sicherstellt werden, dass Pflegekräfte für diese Zeit keinen Verantwortungsdruck für Patient*innen haben und streiken können. Zugleich erzeugt das einen enormen ökonomische Druck auf den Arbeitgeber: jeder Streiktag bedeutet für die Charité aufgrund von ca. 800 bestreikten Betten und zahlreichen abgesagten geplanten Eingriffen ca. 500000 Euro Einnahmebußen. Der Kampf für eine geregelte Personalquote ist ein Kristallisationspunkt der Widersprüche zwischen guter Pflege und Profit und stellt potenziell die strukturelle Logik des DRG-Systems in Frage - das Licht im Leuchtturm flackert!

Der Arbeitskampf der Charité - Beschäftigten hat eine Signalwirkung auf andere Häuser und das Potential sich geographisch und politisch auszuweiten und neue politische Spielräume zu eröffnen. Diese Spielräume sind dringend notwendig in einer gesellschaftlichen Situation, die von zunehmenden Krisendynamiken und Widersprüchen geprägt ist, die auch den Pflege- und Reproduktionsbereich betreffen. Die Risse des neoliberalen Herrschaftssystems im Gesundheitssystem gilt es zu vertiefen und gemeinsame Kämpfe um eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Organisation von Gesundheitsversorgung zu führen. Fuck DRG - Krankenhäuser vergesellschaften!


All I wanna say is that they really care about us - Solidarität!

 

Breite gesellschaftliche Solidarität war in den Streiks der letzten Monate eher kaum wahrnehmbar, der mediale Diskurs an vielen Punkten vom Versuch geleitet, Interessensgegensätze zwischen Streikenden und Nicht-Streikenden, wie Fahrgästen oder Eltern, aufzumachen. Auch im Kampf der Charité - Beschäftigten versucht der Vorstand der Charité, den Streik als nicht vereinbar mit Patient*inneninteressen darzustellen. Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet jedoch die Patient*innen. Eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse der Pflegekräfte und eine damit einhergehende Verbesserung der Patient*innenversorgung entspricht dem Interesse von uns allen, als Patient*in, potenzieller Patient*in oder auch Angehörige.
Gesellschaftliche Solidarität für diesen Streik ist deshalb besonders wichtig, lasst uns diese sichtbar machen und den notwendigen politischen Druck in dieser zentralen Auseinandersetzung aufbauen! 
Auch und gerade als linke, linksradikale, oder feministische Zusammenhänge gilt es, den Streik der Charité-Beschäftigten aktiv solidarisch zu unterstützen und in diesen zentralen gesamtgesellschaftlichen Feldern von Auseinandersetzungen und zunehmenden Widersprüchen um Gesundheit und Pflege emanzipatorische Perspektiven zu formulieren und Kämpfe zu stärken und entwickeln.

Ob mit Transparenten oder beschrifteten Bettlaken aus Wohnungsfenstern, Solidaritätserklärungen, Unterstützung vor Ort während des Streiks, Teilnahme an den verschiedenen Workshops oder auch Beteiligung am Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“: Es gibt viele Möglichkeiten aktiv Solidarität zu zeigen und auszudrücken, dass mehr emanzipatorische  Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich, mehr Arbeitskampf, mehr Pflegekräfte im Krankenhaus besser für uns alle sind!

 

Interventionistische Linke Berlin – Gesundheits-AG

 

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Kommt zur Demo: 23.06. // 15.30 Uhr // Charité Campus Mitte, Charitéplatz 1, Berlin

Macht mit im Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus: aktuelle Termine auf www.mehr-krankenhauspersonal.de

Beteiligt euch bei den offenen Workshops ab dem 22. Juni auf den drei Campi. Infos auf http://www.mehr-krankenhauspersonal.de

Diskutiert mit uns beim Jour Fixe der Interventionistischen Linken Berlin: Wie weiter nach dem Streik an der Charité? // 28.07. // 19.30 Uhr // B-Lage, Mareschstraße 1, Berlin-Neukölln