Allzu sehr von dieser Welt

Verschwörungsideologien und der allgegenwärtige Antisemitismus

Als Xavier Naidoo den Bogen überspannte

Erstaunlich groß gestaltete sich der mediale Aufschrei, als Mitte März im Internet ein Video des Mannheimer Sängers Xavier Naidoo auftauchte, in dem dieser – sich selbst beim Singen filmend - einen unverhohlen rassistischen Text zum Besten gibt. Darin malt er in diletantischen Zweckreimen Bilder  von sich angeblich nahezu täglich ereignenden "Mord(en), bei denen der Gast dem Gastgeber ein Leben stielt". Die vermeintlichen Täter*innen, im  Lied nur als "Ihr" angesprochen, werden nicht näher benannt, damit  alles "politisch korrekt" bleibt. Die Reaktion auf das Video folgte prompt: Sich überschlagende Presseberichte, Distanzierungen ehemaliger Weggefährt*innen und schließlich sogar den Verlust seines Juryplatzes in der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" scheinen Naidoo jedoch relativ kalt zu lassen, wie er in einem Interview mit einem rechten Blogger ausführt. In weiteren Filmschnipseln schwadroniert er munter weiter über den vermeintlichen "Faschismus" etablierter Parteien und die teuflischen Mächte hinter der "Fridays for Future"-Bewegung.

Die rassistischen Ausfälle seines Gesangsvideos konnten dabei keineswegs überraschend kommen, schon seit Jahren fällt Naidoo durch seine Nähe zur Szene der sogenannten "Reichsbürger" und das Verbreiten homophober und verschwörungstheoretischer Inhalte auf. Trotz kritischer Medienberichte tat dies seinem Erfolg bislang keinen Abbruch. Im Gegensatz dazu bewirkten seine neusten Äußerungen offenbar eine Wende im öffentlichen  Bild von Naidoo: Mit seiner Erzählung von durch "Gäste" begangenen Morden und – offensichtlich weißdeutschen – Kindern, die sich "mit  Wölfen in der Sporthalle umkleiden" müssen, redete er nun allzu offensichtlich den Schlagwörtern rechter Diskurse den Mund. Dieses neue  Bild mag zu seiner Isolation in der sich weltoffen gebenden Popmusikszene geführt haben. Es zeigt jedoch – besonders vor dem Hintergrund eines weiteren, obskuren Videos, in dem Naidoo schluchzend von der Entführung von Kindern zum Zweck des Verkaufs ihres Bluts an nicht näher benannte "Mächtige" berichtet – einen vermeintlich "wirren Spinner".

Freilich mögen Verschwörungstheorien, wie sie Naidoos Weltbild zugrunde liegen, oft absurd und lachhaft wirken. Das macht sie aber nicht weniger  gefährlich. Denn so wenig sie mit einer faktenbasierten Wirklichkeit gemein haben mögen, so sehr sind sie doch verwoben mit der Realität  gesellschaftlicher Verhältnisse. Dies lässt sich anhand einiger von Naidoo bedienten Vorstellungen aufzeigen.

Verschwörungsideologien haben ein System

Wer Naidoos Thesen als Produkt eines verwirrten Geistes zu begreifen versucht, wiederholt die falsche Einschätzung, die häufig auch über die  rassistischen und antisemitischen Mörder von Hanau und Halle getroffen worden ist, welche ihre Taten mit verschwörungstheoretischen Ausführungen zu begründen versuchten. Zwar mag der Neigung zur Verschwörungsideologie gelegentlich eine gewisse psychische Disposition zu Grunde liegen, doch lässt sich eine solche nicht ausschließlich auf „kranke“ Individuen zurückführen, sondern muss unter Bezugnahme auf die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse gedeutet werden.

Verschwörungsideologien beruhen stets auf der Konstruktion einer mächtigen Gruppe, die im Geheimen dunklen Machenschaften frönt – in seinem Fall: Kinderblut konsumierende, teuflische Mächtige, die sich den Kampf gegen die Meinungsfreiheit als Aufgabe gesetzt haben. Auf die Weise bietet  Verschwörungsideologie bietet einfache Erklärungsmuster für komplexe Prozesse. Abstrakte Dynamiken, die aus verschiedensten, teils  zusammenspielenden, teils sich widersprechenden, Tendenzen hervorgehen, werden in Form der sich verschwörenden Fremdgruppe personalisiert. Das Chaos des Kapitalismus, das dem Individuum als undurchdringliche Totalität entgegentritt und sich mittels verdinglichter Strukturen als objektiver Zwang präsentiert, erkennt der*die Verschwörungstheoretiker*in durchaus als irrational. Die Ressentiment beladene Folgerung daraus schließt jedoch mitnichten auf die emanzipatorische Zielsetzung einer Aufhebung der irrationalen Verhältnisse im Sinne einer Errichtung der freien Gesellschaft, sondern nimmt eine gleichsam irrationale, übergeordnete und doch  personalisierbare Struktur über den unpersonalen Zwängen kapitalistischer Verhältnisse an – die Gruppe der Verschwörer*innen.

Verschwörungsideologie greift dabei nie den Kapitalismus als solchen an, sondern stellt die vermeintlich natürliche Sphäre der Produktion der als entfremdet wahrgenommenen Sphäre der Warenzirkulation entgegen [1]. Dies drückt sich auch in dem vielen Verschwörungstheorien zu Grunde  liegenden Widerspruch aus zwischen einer gierigen und mächtigen Elite mit Verbindung zur Welt der Börsen und Banken und dem hinters Licht  geführten und ausgenutzten "Volk", dem auch die kleineren Kapitalien des sogenannten Mittelstandes zugeschlagen werden. Verschwörungsideologie zeigt sich so strukturell als Kodierung des Antisemitismus: Mit der kleinen Gruppe, die als "Weltverschwörung" die Geschicke der Menschen lenkt und die dem "raffenden" Finanzkapital zugerechnet wird, sind letztlich immer "die" Juden*Jüdinnen" gemeint, welchen traditionell die Eigenschaft als kosmopolitische Elite ohne Heimat zugesprochen wird. Der Wille zur Zerschlagung der Verschwörer*innengruppe fällt somit zusammen mit dem Vernichtungswillen, der den Antisemitismus kennzeichnet.

Selbst in diesem Extrem zeigt sich noch die verkürzte Analyse, die Antisemitismus wie Verschwörungsideologie zu Grunde liegt: Anstatt das falsche Ganze, die Herrschaft der sich selbst reproduzierenden Verwertung des Werts anzugreifen, soll daran nur das personalisierte Abstrakte ausgelöscht werden, auf das eine "gereinigte" und nicht mehr entfremdete Gemeinschaft zurückbleibt. Vollkommen irrational ist dabei selbstverständlich die Annahme, dass mit der Auslöschung einer Menschengruppe die dieser Gruppe zugeschriebenen Eigenschaften  ausgelöscht werden könnten.
Sozialpsychologisch lässt sich hier argumentieren, dass das antisemitische bzw. verschwörungsideologische Subjekt seine ihm selbst durch  gesellschaftliche Zwänge ambivalent gegenüberstehenden Eigenschaften der überhöhten wie gehassten Gruppe zuschreibt und mit ihr zu vernichten  hofft. Gier oder das Streben nach Macht, gesellschaftlich parallel moralisch abgelehnt wie ökonomisch erwünscht, ebenso wie versagte sexuelle Bedürfnisse werden so auf die Juden*Jüdinnen bzw. Verschwörer*innen projiziert.

Antisemitismus am Beispiel der Lieder Xavier Naidoos

Xavier Naidoo ist freilich keinesfalls ein Antisemit – schließlich hat das Oberlandesgericht Nürnberg im Oktober 2019 entschieden, dass er nicht als ein solcher bezeichnet werden darf. Wäre er es aber doch, ließe sich dies anhand zahlreicher seiner Aussagen und Liedtexten nachvollziehen.
Schon lange vor den ersten offen verschwörungsideologischen Äußerungen lassen sich bei ihm Elemente erkennen, die ihre Zusammenführung im  Antisemitismus vorwegnehmen. Allgemein zeichnen sich Naidoos Lieder durch ihre Hingabe an das vermeintlich Höhere aus, das "nicht von dieser  Welt" (so der Titel eines seiner erfolgreichsten Lieder) kommt. Sicher ist dies in Zusammenhang mit seiner stark ausgeprägten Religiosität zu  betrachten, doch bedient sich Naidoo dabei allzu genau an jenem Duktus, der letztlich nichts aussagt als seine Verblendung gegenüber der  materiellen Grundlagen des Bestehenden. [2]

Diese Verschleierung der tatsächlichen Entfremdung teilen sich die Texte Naidoos mit der Verschwörungsideologie ebenso wie die Annahme von etwas (hier noch positiv besetzten) dem Individuum Übergeordneten, schwer Begreiflichen. Das verklärte Bodenständige findet seinen Gegenpart in den kosmopolitischen Verschwörer*innen. Nicht zufällig schuf Naidoo mit seinem Song "Dieser Weg wird kein leichter sein" eine von Arbeitsethos und Verklärung der ehrlichen Anstrengung triefende Hymne des nationalistischen "Sommermärchens" um die Fußballweltmeisterschaft 2006. Doch bleibt auch hier das logische Gegenüber der schwer Arbeitenden noch offen – leicht wohl aber lässt es sich verbildlichen als die frei schwebende, raffende und Kapital wie aus dem Nichts akkumulierende Gruppe jüdischer Verschwörer*innen.

Deutlicher schon artikuliert Naidoo seine verkürzte Systemkritik im 2004 veröffentlichten Song "Babylon System". Dort wettert er gegen das  titelgebende Konstrukt, dessen konkrete Ausformung er jedoch noch im vagen belässt. Doch gerade dieses unkonkrete, in der Andeutung verharrende Gemurmel lässt sich als charakteristisch für den untergründigen Antisemitismus verstehen, wobei diejenigen, die vermeintlich über das Wesen der Verschwörung Bescheid wissen, ganz genau verstehen, was gemeint ist. Das christliche Beispiel Babylons als verdorbene Zivilisation, die als Gegenbild der natürlichen (bzw. göttlichen) Regeln konzipiert ist, ist dabei bezeichnend für eine regressive Ablehnung des Bestehenden. Sie charakterisiert gewisse Ausformungen der herrschenden Beziehungsweisen als "dekadent" gegenüber einem angeblich natürlichen Verhältnis der Menschen zueinander. Damit neigt sie einerseits zu einer Naturalisierung von Ungleichheitsverhältnissen und anderseits zur Konstruktion einer Gruppe, von der die "Dekadenz" ausgeht und deren Vernichtung die Rückkehr zu ursprünglichen Verkehrsformen bedeuten würde. Und schon wieder landen wir beim allgegenwärtigen Antisemitismus.

In eine ähnliche Richtung zielt das 2005 erschienene "Abgrund", doch wird Naidoo hier konkreter, wenn er beispielsweise von den zu hohen Diäten der Bundestagsabgeordneten singt. Sehr klar benennt er eine Feindschaft gegen die wenigen, die "manipulier(en)" und "die Weichen stell(en)". Recht klar wird so, dass der Text mehr transportiert als Kritik am Parlamentarismus, indem er ein weiteres Mal das Bild einer abstrakten, alles kontrollierenden Elite bedient. Erstaunen mag die Kritik am Staat dennoch, die Naidoo in "Abgrund" als Kritik am Parlamentarismus und Steuern, in "Babylon System" allgemeiner, indem er "jede(n) Staat außer dem Ameisenstaat" als seinen "Feind" benennt, artikuliert. Er argumentiert hier aber keinesfalls aus einer linken, antistaatlichen Perspektive, die den Staat als autoritären "ideellen Gesamtkapitalisten" kritisiert, sondern aus einer rechtslibertären Richtung, die ihre Ablehnung des Staates autoritär begründet. Diese vereint ideologisch gesehen neoliberale mit faschistischen Elementen, wenn sie auf der einen Seite eine Abschaffung von Steuern als unrechtmäßigen Eingriff in den freien Wettbewerb ablehnt und die Langsamkeit staatlicher Institutionen bemängelt und auf der anderen Seite gegen parlamentarische "Schwatzbuden" die Besinnung auf natürliche Autorität und Stärke setzt.

Pogromfantasien statt linker Herrschaftskritik

Dass seine Ablehnung des Staates nichts zu tun hat mit einer progressiven Ablehnung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, zeigt sich im Lied "Wo sind sie jetzt?", in dem er sehnsuchtsvoll fragt: "Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer? Wo sind unsere Führer?". Am  Parlamentarismus kritisiert er also gerade nicht dessen Aufgabe bei der Organisierung gesellschaftlicher Zustimmung für die herrschende  Produktionsweise (und die hiermit einhergehenden faktischen Beschränkungen demokratischer Entscheidungen), sondern, dass den  Parlamentarier*innen die mystifizierte Kraft "starker Männer" fehle, deren angestrebte Herrschaft sich nicht demokratisch, sondern nur biologistisch begründen lasse. Seine Antistaatlichkeit ist so eine autoritäre, die die relativ entpersonalisierte Herrschaft der westlichen Demokratie durch den vermeintlichen Urzustand personaler, namentlich patriarchaler, Herrschaft ersetzen will. Typisch für seinen autoritären Charakter ist hier die Verherrlichung "echter Männlichkeit" gegenüber den Politiker*innen, welche als "die Streber, die Psychos, die Mamasöhnchen“ – also als nicht dem patriarchalen Bild "starker Männer" entsprechend – diffamiert werden.

Zu eigen ist seinen politischen Liedern zudem seit jeher die Orientierung auf ein nahendes Untergangsszenario. So sagt er etwa in "Babylon System" voraus, dass es bald ein "Chaos" gibt, nach dem "Gutes auferstehen"soll. Eine derartige Betonung der reinigenden Kraft von Katastrophe und Gewalt mag begründet liegen in dem Wunsch, die versteckte Barbarei der herrschenden Verhältnisse negativ aufzuheben in der offenen Barbarei der  Apokalypse, deren Herbeisehnen kaum versteckt wird – ein Element, das auch in faschistischen Ideologien eine zentrale Rolle spielt. Kaum  verwundern mag vor diesem Hintergrund Naidoos immer offener vertretene rechte Einstellung: Wenn er schließlich die Katze aus dem Sack lässt und  "Baron Totschild" als denjenigen benennt, der "den Ton angibt", sagt er mit dieser klar antisemitischen Verballhornung eines jüdischen Namens nichts, was sich die, die er erreichen wollte, nicht sowieso schon denken konnten.

Nur naheliegend ist also auch der Schulterschluss zur Bewegung der sogenannten "Reichsbürger", auf einer deren Mahnwachen er 2014 auftrat. Mit ihrer Verquickung aus Verschwörungsideologie und autoritärer Ablehnung des bestehenden deutschen Staates boten sie ihm eine passende geistige Heimat. Geradezu wie eine Hymne der Verschwörungstheoretiker*innen klingt so auch sein 2017 erschienenes Lied "Marionetten", in dem er das wohl klassischste Element des Verschwörungsantisemitismus bedient: Die Metapher der im dunkeln gelassenen Puppenspieler, die Politiker*innen nach ihrem Willen an der „Nabelschnur Babylons“ steuern. In den Zeilen "Und wenn ich so einen in die Finger kriege, dann reiß ich ihn in Fetzen und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragrafen und Gesetzen" bringt schließlich Naidoos Programm auf den Punkt, das in bester Tradition Pogrom heißt: Die  Vernichtung der personifizierten Irrationalität des Ganzen im  barbarischen Ausbruch der gesellschaftlich (beispielsweise durch "Paragrafen und Gesetzen") sanktionierten Gefühle.

Bis zuletzt waren die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen"Skandalen", zu den Naidoos antisemitische Aussagen medial erklärt wurden, groß genug, sodass es der Mehrzahl seiner Hörer*innen und Auftraggeber*innen stets möglich war, diese als "Ausrutscher" zu entschuldigen. Die Tatsache, dass nach der letzten „Mittestudie“ 32,7% der repräsentativ ausgewählten Befragten der Aussage, Politiker und andere Führungspersonen seien Marionetten der dahinterstehenden Mächte [3] zustimmen, und damit der Kernaussage des antisemitischen Marionettensongs, lässt Naidoos Positionen fast wie ein werbetaugliches Gimmick erscheinen, solange ihre rechte Ideologie sich nicht allzu offen und konstant präsentiert.
Die eingangs erwähnten Videos, die seit März 2020 in schöner Regelmäßigkeit erscheinen, überschritten dagegen offenbar das Naidoo medial zuerkannte Maß an Verschwörungsideologie. Das scheint gewollt gewesen zu sein, bildeten sie doch den Beginn der Werbephase seines angekündigten "patriotischen Albums". In einem Interview mit dem rechten Blogger Oliver Janich berichtete Naidoo stolz, wie er seine Chance genutzt hätte, vor dem kalkulierten Skandal noch bei DSDS in der Jury zu sitzen. Damit wandte er vermeintlich selbst jene Form der kalkulierenden List an, die er bei vermeintlichen Verschwörer*innen verabscheut, worin man einmal mehr einen Fall der pathischen Projektion erkennen mag.

Die Coronakrise als Brandbeschleuniger: Naidoo, Hildmann, Lovelock & Co.

Aktuell vertritt und verbreitet Naidoo die Theorie der sogenannten „QAnons“. Laut dieser verjüngen sich reiche, mächtige und berühmte Menschen durch den Konsum des in Kinderblut vorhandenen Stoffes "Adrenochrom", das im echten Leben lediglich ein Abbauprodukt des Hormons Adrenalin ist. In unterirdischen Lagern würden dafür zahlreiche Kinder gefangen gehalten und ermordet. Als positive Figur stehe dem gegenüber US-Präsident Donald Trump, der in einer geheimen Mission derzeit die gefangenen Kinder befreien würde. Der Gegenangriff der Mächtigen bestehe derweil im Coronavirus, das bewusst dazu eingesetzt werde, die Bevölkerung von den tatsächlichen Vorgängen abzulenken und zugleich Grundrechte abzubauen. Die Erzählung von satanistischen, Kinder ermordenden Zirkeln ist bei Naidoo nichts Neues: Im 2012 erschienen "Wo sind sie jetzt" singt er über kindermordende Geheimbünde, wobei er diese in homophober Manier mit Homosexualität in Verbindung bringt. Strukturell zeigt sich hier einmal mehr die Nähe von Naidoos Theorien zum Antisemitismus: Ein altes und schon im mittelalterlichen Antijudaismus bekanntes Narrativ ist das der in okkulten Ritualen Kinder schlachtenden Juden*Jüdinnen.

Die Coronakrise stärkt das Mobilisierungspotential von Verschwörungstheorien als irrationelle Krisenerklärungsversuche. Wo autoritärer Staat und kapitalistischer Markt an Grenzen stoßen, öffnen verkürzte Analysen Tür und Tor für das strukturell antisemitische Gerede der Verschwörungsideolog*innen. Getreu Adornos Ausspruch, dass ein Deutscher ein Mensch sei, der keine Lüge aussprechen könne, ohne sie selbst zu glauben, versammeln sich so seit vielen Wochen deutschlandweit Menschen in der Annahme, der Wahrheit hinter der alles umfassenden  Verschwörung auf die Schliche gekommen zu sein. Figuren wie Naidoo, der sich lange gesellschaftlich breiter Akzeptanz sicher sein konnte, schaffen hier Anknüpfungspunkte für diejenigen, die - sich selbst als normale Bürger*innen verstehend - vielleicht Bedenken hätten, gemeinsam mit offenen Neonazis auf die Straße zu gehen.
Dieser gefährlichen Normalisierung entgegenzuwirken kann nur bedeuten, Xavier Naidoo und anderen Verschwörungsideolog*innen wie Atilla Hildmann oder Leon Lovelock keine Bühne zu bieten und ihre Ideologie als das zu entblößen, was sie ist: strukturell antisemitisch und autoritär. Wichtig bleibt dabei, klarzustellen, dass die Genannten keine vereinzelten Ideolog*innen sind, sondern dass ihre Ideologie nur in Zusammenhang mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise mit der sie bestimmenden Wertförmigkeit und der aus ihr hervorgehenden Entfremdung begriffen werden kann und strukturell ihrer Erfüllung im Pogrom oder rechten Terroranschlägen entgegenstrebt.

Somit ist diese Ideologie – um es mit dem leicht abgeänderten Titel eines  Lieds von Xavier Naidoo zu sagen – allzu sehr von dieser Welt. Und genau  diese Welt, in deren Fundament ihre falsche Selbsterkenntnis im Antisemitismus schon eingeschrieben steht, an eben diesem Fundament zu  verändern, darunter kann unser Anspruch nicht liegen.

[1] Erläuterung: Nach einer verkürzten Kapitalismuskritik ist das Erzielen von Gewinn durch die Produktion von Waren und das Erbringen von  Dienstleistungen legitim, hingegen nicht durch Handel oder Finanzmarktgeschäfte.

[2] Ein solcher Jargon war schon immer kennzeichnend für die Träger*innen der deutschen Ideologie. Seine Vermittlung über die Kulturindustrie, die, im Gegensatz zu der von der deutschen Ideologie geforderten Rückbesinnung auf das "reine Sein", offensichtlich entfremdet ist, verwundert nicht. Denn die deutsche Ideologie war als populärphilosphisches Gerede schon immer ebenso kulturindustriell vermittelt wie der von ihr vermeintlich bekämpfte Zeitgeist.

[3] Vgl. https://wirkommen.akweb.de/bewegung/neuigkeiten-im-prepper-keller/