Wohnungspolitik in Heilbronn oder: Wem gehört die Stadt?!

Wohnungsnot … 
Im Zusammenhang mit den Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre stellen sich auch viele sozialpolitische Fragen auf eine neue Art und Weise. Rechte Demagogen versuchen, politisches Kapital aus den sozialen Ängsten abstiegsbedrohter Bevölkerungsschichten zu schlagen. Dafür spielen sie Alteingesessene gegen Neuankömmlinge aus. Vor allem an der Frage der bedarfsdeckenden Versorgung mit Wohnraum entzünden sich immer wieder die Gemüter.

Die Geflüchteten, die nach der Anerkennung ihres Asylanspruchs oder im Rahmen einer dezentralen Unterbringung auf den Wohnungsmarkt drängen, sind dabei allerdings nicht die Verursachenden der teils dramatischen Situation. Sie finden sie nur vor. Wie auch viele andere Menschen in prekären Situationen sind sie Leidtragende einer jahrzehntelangen antisozialen und profitorientierten Wohnungspolitik. Auch in Heilbronn stellt sich die Frage nach bezahlbarem Wohnraum gerade so aktuell wie seit langem nicht mehr.

Im Zusammenhang mit der Unterbringung und der Wohnungssuche der Geflüchteten wurde deutlich, wie angespannt die Lage auf dem Heilbronner Wohnungsmarkt für Menschen mit geringem Einkommen ist. Grund dafür ist unter anderem eine deutlich gestiegene Nachfrage nach urbanem Wohnraum. Denn nicht nur Geflüchtete gehören zu den Neuankömmlingen in der Neckarstadt.

Mit der deutlichen Ausweitung der Hochschulkapazitäten hat sich auch die Zahl der Studierenden, die eine Bleibe in Heilbronn suchen, stark erhöht. Studierten im Jahr 2015 knapp 6000 Menschen in Heilbronn, sollen es bereits im Jahr 2019 schon über 7000 sein. Demgegenüber steht ein bisher zu knappes Angebot an studentischem Wohnraum. So bewarben sich auf die Wohnheimzimmer der drei vom Heidelberger Studentenwerk betriebenen Heilbronner Wohnheime im Jahr 2013 fast doppelt so viele Wohnungssuchende wie es freie Zimmer gab. Auch die Wohnheime der GEWO sind nach eigenen Angaben trotz Preisen von bis zu 440 € pro Monat und Zimmer voll belegt. Alle Wohnheime zusammengerechnet ergibt sich eine momentane Kapazität von knapp über 800 Wohnheimplätzen.

Doch nicht nur der Zuzug von Neulingen trägt zu der Verschärfung auf dem Heilbronner Wohnungsmarkt bei. Wie auch andere deutsche Großstädte ist Heilbronn seit Jahren einem Phänomen unterworfen, das der Berliner Soziologe Andrej Holm als einen Übergang von der Renten- zur Renditeökonomie bezeichnet. Wo früher einzelne Vermieter*innen ihre Rente abschöpften, versuchen heute oft internationale Immobilienunternehmen, Profit mit der Ware Wohnraum zu erwirtschaften. Vor allem der deutsche Wohnungsmarkt gilt dafür als attraktiv. Dieser Trend verschärfte sich im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahre noch einmal. Die Stadtsiedlung Heilbronn spricht in einem Mitgliederrundbrief Ende 2013 von einer boomenden „Wohnungsnachfrage seitens der Investoren, weil andere Anlagemöglichkeiten unsicher erscheinen“. Deutlich wird dies unter anderem in Aufwertungsbestrebungen, die sich beispielsweise in der Bahnhofsvorstadt konzentrieren. Dort entstehen immer neue, teure Neubauprojekte mit Eigentumswohnungen, die den früher sozial durchmischten Charakter des Viertels nach und nach verändern. Ein internationales Architekturblog spricht gar von einem „Schattendasein“ der Bahnhofsvorstadt, das nun beendet werde und rühmt den „spürbaren Aufbruch“.Wohnpolitik

Die Vorteile solcher Aufwertungsprozesse halten sich für die bisherigen Bewohner*innen des Viertels allerdings stark in Grenzen. Sie bekommen vor allem die steigenden Mieten zu spüren. So zog die durchschnittliche Angebotsmiete in Heilbronn in den letzten fünf Jahren um 23% auf 8.12 €/m² an. Vor allem auf Menschen mit geringem Einkommen hat das oft bedrohliche Auswirkungen. Die „Heilbronner Stimme“ berichtet von einer dramatisch angestiegenen Zahl von Zwangsräumungen in Heilbronn im Verlauf der letzten Jahre, meist auf Grund von Mietschulden. Auch für Sozialleistungsbeziehende ist der Anstieg der Mieten ein massives Problem. Da ihre Miete nur bis zu einem Quadratmeterpreis von 6€ vom Amt übernommen wird, führt die verschärfte Situation langsam aber sicher zu ihrer Verdrängung aus der Innenstadt und anderen attraktiven Stadtvierteln, in denen die Mieten besonders stark ansteigen.

Eine stadtpolitische Möglichkeit, hier gegenzusteuern, sind geförderte Mietwohnungen mit Sozialbindung. Allein, deren Zahl sank in Heilbronn seit dem Jahr 2000 von über 3500 auf nicht einmal mehr 1500 ab. Dies entspricht im Jahr 2016 gerade einmal 4,3% des gesamten Mietwohungsbestands. Und Besserung ist nicht in Sicht. So kommt auch die „Stadtsiedlung Heilbronn“ zu dem Schluss, dass „der Anteil preisgebundener Wohnungen am Mietwohnungsbestand in Heilbronn momentan zu gering ist“. Gleichzeitig wird die Zahl derjenigen mit Anspruch auf einen Wohnungsberechtigungsschein, also einer amtlichen Bescheinigung des Anspruchs auf eine Sozialwohnung, auch in Zukunft weiter ansteigen. Besonders ältere Menschen werden zukünftig immer häufiger auf Unterstützung angewiesen sein. Grund dafür sind unter anderem unterbrochene Erwerbsbiographien, lange Praktika, Zeit- und Leiharbeit. Diese haben sinkende Rentenbezüge zur Folge, häufig bleibt nur die Sozialhilfe. Auch heute schon liegt die Armutsgefährdungsquote der 65-Jährigen und Älteren in Heilbronn bei 17%. Doch nicht nur ältere Menschen, auch Alleinerziehende, prekär Beschäftigte und andere Bevölkerungsgruppen geraten immer häufiger in die Situation, eine Sozialwohnung in Anspruch nehmen zu müssen.

…hat Ursachen.

Trotz dieser Entwicklungen ist sozialer Wohnungsbau weiterhin kein Schwerpunkt der Heilbronner Stadtpolitik. Die Verwaltung konzentriert sich stattdessen auf Prestigeprojekte. Immer wieder ist von den „Leuchttürmen der Stadtentwicklung“ die Rede. Gemeint ist damit allerdings kein Konzept für eine soziale Stadt für Alle, sondern „Experimenta,“ „Campus“ und „Bundesgartenschau“ (BUGA).

Vor allem bei letzterer wird der Charakter der Stadtentwicklung allzu deutlich. Im neu entstehenden BUGA-Viertel „Neckarbogen“ kommen bei den vorhandenen Bauplätzen hauptsächlich Investoren zum Zug. Schon jetzt ist für einzelne Bauten von Mieten um die 18 €/m² die Rede. Soziale Durchmischung bringen nur die wenigen Projekte der Stadtsiedlung, die dort auch Sozialwohnungen schaffen will. Die christlichen Kirchen, die im neuen Stadtteil ein inklusives, ökumenisches Zentrum mit günstigem Wohnraum für Benachteiligte und Gemeinschaftsräumen für die Nachbarschaft schaffen wollten, mussten schließlich auf Grund der hohen Kosten abspringen. Statt dessen baut dort

ein weiterer kommerzieller Investor ein Studentenwohnheim der oberen Preisklasse. Bürgerbeteiligungsverfahren, in denen mehrfach „sozialer Wohnungsbau“ gefordert und darauf beharrt wurde, die Planungen „unter dem Aspekt des gesamtgesellschaftlichen Nutzens zu betrachten und nicht unter dem Aspekt von Renditen“, dienten dabei in der Vergangenheit eher als demokratisches Feigenblatt für eine insgesamt unsoziale Stadtentwicklung. Eine Vision für einen sozial durchmischten Stadtteil gibt es nach wie vor nicht.

Solidarische Antworten finden!

Auch wenn wir von den aus einigen anderen Großstädten bekannten drastischen Zuständen noch entfernt sind: In Heilbronn finden bereits Verdrängungsprozesse statt und es besteht die Gefahr, dass ansprechender und zentrumsnaher Wohnraum zur exklusiven Luxusware wird. Eine Bewegung gegen die vorherrschende Stadtpolitik ist dringend notwendig. Während von Politik und Stadtverwaltung wenig zu erwarten ist, sind in den letzten Jahren viele Menschen mit alternativen Ansätzen zum Thema aktiv geworden.

So schlossen sich im „Netzwerk Wohnen“ verschiedene Akteur*innen der Heilbronner Zivilgesellschaft zusammen, um gemeinsam zum Thema zu arbeiten. Präsent war das Bündnis in der vergangenen Zeit vor allem mit seiner Forderung nach einer Quote für den sozialen Wohnungsbau als Voraussetzung für neue Bebauungspläne. Regelungen wie diese werden in Städten wie Stuttgart längst praktiziert und wären auch in Heilbronn dazu geeignet, zumindest die gravierendsten Konsequenzen der Wohnungsnot für den sozial verwundbarsten Teil der Bevölkerung abzufedern. Eine Lösung für die Problematik aus Luxussanierungen, steigenden Mieten und renditeorientiertem Wohnungsmarkt sind sie freilich nicht.

Einen anderen Ansatz praktizieren seit mehreren Jahren überwiegend linke Aktivist*innen. Sie haben im Rahmen des „Mietshäuser Syndikats“, eines bundesweiten Zusammenschlusses von über 100 Hausprojekten, bereits zwei Häuser in der Wollhausstraße gekauft. Ziel ist es, sie dauerhaft dem profitorientierten Immobilienmarkt zu entziehen und zu kollektivem Eigentum zu machen. Seit dem Jahr 2013 wird im „Sozialen Zentrum Käthe“ und dem Wohnprojekt „W47“ nun solidarisches Wohnen und Wirtschaften praktiziert. Die Projekte haben dabei eine Signalwirkung weit über ihren praktischen Nutzen als Wohn- und Veranstaltungsraum hinaus. Sie weisen als kollektive, solidarische Projekte über die bestehenden Verhältnisse kapitalistischer Wohnraumverwaltung hinaus.

Bisher bleiben sie aber trotzdem selbstverwaltete Inseln in einem Meer aus Privateigentum und profitorientiertem Wohnungsmarkt. Vielen der Betroffenen der aktuellen Situation stehen Möglichkeiten wie diese u.a. auf Grund ihrer persönlichen Lage realistischerweise nicht zur Verfügung.

Die grundlegenden Probleme lösen kann letztlich nur ein gemeinsamer und solidarischer Kampf um eine Stadt für Alle, wie er an einigen Orten schon jetzt geführt wird. Die Menschen, die in Städten wie Leipzig unter dem Motto „Social Center 4 all“ leerstehende Gebäude als Begegnungsräume für Geflüchtete, Nachbarschaft und Bewegung besetzen, die sich in Hamburg mit den verschiedensten Mitteln gegen die Aufwertung ihrer Viertel wehren oder die in Berlin solidarisch versuchen mit Sitzblockaden Zwangsräumungen zu verhindern: Sie alle haben die selben Ziele. Sie kämpfen um unkommerzielle Räume, sie ringen um die Deutungsmacht über städtische Prozesse und organisieren selbstständig eine Stadtpolitik von unten. Sie alle fordern ihr Recht auf die Stadt energisch mit den verschiedensten Mitteln ein. Dabei lassen sie sich nicht durch ihre Herkunft spalten, sondern führen diese Kämpfe gemeinsam, Alteingesessene und Neuankömmlinge. Auch wenn von einer so deutlichen Politisierung der Auseinandersetzung um bezahlbaren Wohnraum in Heilbronn noch wenig zu spüren ist: ein gemeinsamer Kampf um unsere sozialen Rechte ist auch hier dringend notwendig. Es liegt an uns allen ihn zu führen. Beginnen wir besser heute als morgen.

Der Artikel „Wohnungspolitik in Heilbronn oder: Wem gehört die Stadt?!“ ist aus unserer Broschüre „Es ist genug für alle da!“. Die Broschüre könnt ihr hier als PDF runterladen.

Organisierte Linke Heilbronn (IL), Mai 2016

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Weiterführende Informationen:

Papier der „Interventionistischen Linken“ (IL) zu Vergesellschaftung

Informationen zu „Mietshäuser Syndikats“-Projekten in Heilbronn