Bundeswehr im Krieg

Worum geht es beim Krieg in Syrien?

 

Seit dem 4.12. führt Deutschland Krieg in Syrien. Worum geht es bei diesem Einsatz?

Kriegsgründe: 2014 nein – 2015 ja

Die Ziele des Einsatzes erläutern Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen in einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag vom 30.11.2015 so: “Es geht darum, unsere Bekundung der Solidarität nach den Anschlägen von Paris und das Versprechen auf Beistand in Art. 42 Abs. 7 des EU-Vertrags nun mit Leben zu füllen. Gerade der letzte Aspekt erscheint in dieser Zeit von besonderer Bedeutung: Die Europäische Idee muss sich in der Kaskade von Euro-Krise, Flüchtlingskrise und Terrorismus immer stärker zentrifugaler Kräfte erwehren. Der deutsch-französische Motor für Europa ist jetzt so stark gefordert wie selten zuvor. Das vereinte Vorgehen der EU-Staaten auf Grundlage der Beistandsklausel des EU-Vertrags ist gerade jetzt ein notwendiges, starkes europapolitisches Signal.”

Die Teilnahme Deutschlands an dem Syrien Krieg ist also zu allererst eine Demonstration der Bündnistreue mit Frankreich. Eine starke Achse Deutschland Frankreich soll der zerrütteten EU neue Stabilität geben. In dieser Logik könnten auch Bomben auf Libyen oder sonst wo geworfen werden, um Bündnistreue zu beweisen - in Afghanistan beweist Deutschland bekanntlich seit 2001 auf diese Weise seine „bedingungslose Solidarität“ mit den USA. Auf militärische Sinnhaftigkeit kommt es in dieser Sichtweise nicht unbedingt an. Wenn Bündnistreue gerade nicht so angesagt ist, wird sie nüchterner beurteilt. Vor einem Jahr sah Steinmeier eine deutsche Teilnahme am Syrien-Krieg noch so: “Wenn ein Dutzend Staaten Luftangriffe fliegen, macht es keinen Sinn, dass Deutschland als dreizehnte oder vierzehnte Nation auch noch mitfliegt. Es ist grundfalsch, die Beteiligung an Luftschlägen zum Gradmesser für internationales Engagement zu machen. Wir brauchen eine vernünftige Arbeitsteilung, es können doch nicht alle Länder das Gleiche machen.” (Tagesspiegel 12.10.2014)

Das zweite zentrale Argument für den Einsatz lautet so: “Auch sollten wir nicht vergessen, dass der Kampf gegen den IS unserer eigenen Sicherheit dient: Auch Deutschland ist Ziel islamistischen Terrors.“ Mit anderen Worten: Deutschlands Sicherheit wird nicht nur am Hindukusch, sondern auch in der syrischen Wüste verteidigt. Von dort soll keine Gefahr für Deutschland ausgehen. Auch dieses Interesse an Syrien ist rein negativ - die sollen “uns” in Ruhe lassen. Wer immer dort regiert, es darf von dort keine terroristische Gefahr für Deutschland ausgehen.

Assad: zum Foltern gut genug, aber jetzt sollte er gehen ... andere stehen bereit

Zunächst kommt es für die Bundesregierung darauf an, dass überhaupt regiert wird, in Syrien also wieder ein “funktionierender Staat” entsteht. Früher war die Herrschaft der Assads in Syrien uneingeschränkt. Mit dem Staat des Diktators Assad hatte der Westen kaum Probleme. Er war Teil der Koalition im Krieg gegen den Terror und unterstützte den Krieg gegen die Taliban in Afghanistan. Verdächtige Islamisten entführte die CIA, um sie in Assads Gefängnissen foltern zu lassen. Auch die Bundesregierung half dabei mit, wie bei der Entführung des deutschen Staatsbürgers Mohammed Haydar Zammar Ende 2001. 2002 verhören ihn vier deutsche BND-Mitarbeiter und ein Polizist in einem Kerker in Damaskus - im Beisein seiner syrischen Folterer. Gleichzeitig flossen Millionen an deutscher Entwicklungshilfe an Assad.
Doch das “stabile” Syrien Assads ist Geschichte, seit unter tätiger Mitwirkung von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, den USA und der Türkei aus dem demokratischen Aufstand gegen Assad ein blutiger Bürgerkrieg wurde. In diesem Bürgerkrieg geben inzwischen islamistische Gruppen, der syrische Al-Kaida Ableger die Al-Nusra Front und der „Islamische Staat“ den Ton an. Darüber, wie ein solcher Staat aussehen soll, wird auf internationalen Konferenzen verhandelt. Beteiligt sind alle am Konflikt interessierten Mächte, Deutschland ist natürlich dabei - und die von diesen Mächten unterstützten Oppositionsgruppen in Syrien.
Humanitäre Hilfe leistet die Bundesregierung in den von der islamistischen Opposition in Syrien beherrschten Gebieten über den „Syria Recovery Trust Fund“. Geldgeber sind neben Deutschland u.a. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und die USA. Insgesamt 90 Mio Dollar werden investiert – aber eben nur dort wo die von den Geldgebern militärisch unterstützten islamistischen Oppositionsgruppen das Sagen haben. Der Versuch des “Nation Building” mit islamistischen Warlords ist bereits in Afghanistan gescheitert. Nicht eingeladen zu den Konferenzen über die Zukunft Syriens sind die Vertreter der Selbstverwaltungsgebiete im Norden Syriens, Rojava (kurdisch= Westen) genannt. Die Menschen dort erhalten von den internationalen Geldgebern auch keine humanitäre Unterstützung - die Türkei riegelt sogar die Grenze ab, damit auch humanitäre Spenden aus der Zivilgesellschaft der kurdischen Gemeinden der Türkei oder aus Europa das Gebiet nicht erreichen können.
In Rojava wird seit der Befreiung vom Assad Regime 2012 der Versuch unternommen, eine andere Gesellschaft, mit basisdemokratischen Strukturen jenseits des Nationalstaats aufzubauen. Alle ethnischen und religiösen Gruppen sind gleichermaßen an der Verwaltung beteiligt. Alle wichtigen Positionen sind quotiert mit Frauen besetzt. Entscheidungen fallen zunächst auf dezentraler Ebene. Ein eigener Nationalstaat wird nicht angestrebt. Trotz der Bedingungen durch den Krieg sind erste Erfolge sichtbar: Über die dortigen Verhältnisse berichtete „Die Welt“ am 3.6.2014 unter der Überschrift „Wo Syrien schon frei und demokratisch ist“.

„Gute“ und „schlechte, böse“ Kurden

Aber Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, vertraut der deutsche Staat nicht, er misstraut ihnen. Deshalb sind für den deutschen Staat die Kurden in Nordsyrien “böse Kurden”.
Ihre Partei, die PYD, steht der PKK nahe. In Deutschland ist die PKK seit 1996 verboten. Auch eine ganz friedliche Betätigung für die PKK wird in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Grundlage ist der § 129b StGB. Dieser Paragraf wurde 2001 nach dem 11. September geschaffen, um auch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit Sitz im Ausland verfolgen zu können, wie z.B. Al-Kaida. Allerdings: auch der ANC von Nelson Mandela wurde vom südafrikanischen Apartheit-Regime als Terrororganisation bezeichnet. Deshalb wird nach § 129 b StGB nur die Mitgliedschaft in solchen Organisationen bestraft, deren Strafverfolgung die Bundesregierung anordnet – was den politischen Charakter der Vorschrift belegt. Zur Zeit sind acht kurdische Politiker auf der Grundlage dieser Vorschrift in Deutschland inhaftiert, davon sechs allein im Jahr 2015. Vorsitzender der PKK ist der seit 16 Jahren in der Türkei inhaftierte Abdullah Öcalan. Auf seine Lektüre der Schriften des amerikanischen libertären Anarchisten Murray Bookchin geht die Idee des “Demokratischen Konföderalismus” zurück, die in Rojava in die Tat umgesetzt werden soll.
Die „guten Kurden“, das sind für die Bundesregierung die Kurden im Nordirak, die unter der Herrschaft der Familiendynastie Barzani leben. 1979 starb der Gründer der KDP Mustafa Barzani und vererbte den Parteivorsitz an seinen Sohn, den heutigen Präsidenten, Massud Barzani. Sein erklärtes Ziel ist die Schaffung eines kurdischen Nationalstaats im Norden des Irak, vielleicht auch darüber hinaus. Seine Amtszeit als Präsident ist zwar längst abgelaufen, Wahlen finden aber nicht statt.
Barzani pflegt gute Beziehungen zur Türkei und ist schon lange ein Verbündeter der USA. Im Nordirak gibt es, finanziert durch den Ölreichtum, einen florierenden Kapitalismus. Der Vormarsch des IS im Irak bedeutete für die Regierung Barzani vor allem eine nicht unwillkommene Schwächung der irakischen Armee und damit des irakischen Zentralstaats.
Dies nutzte die Barzani Regierung dazu, ihren Herrschaftsbereich auf die Ölmetropole Kirkuk auszudehnen, „Isis hat für uns die Dreckarbeit gemacht“, zitierte die FAZ am 17.6.2014 unter der Überschrift „Die Profiteure der Isis-Offensive“ einen Mitarbeiter der kurdischen Regionalregierung im Nordirak. Die vom „Islamischen Staat“ im August 2014 mit Völkermord bedrohten Êzîden in Shingal hofften vergebens auf die Hilfe der Peshmergas Barzanis. Ihnen kamen allein die PKK und die YPG zu Hilfe und erkämpften einen Fluchtkorridor. Wirtschaftlich ist die Shingal Region uninteressant.

2014 wurde diese Unterscheidung zwischen „guten Kurden“ und „bösen Kurden“ in der Art und Weise deutlich, wie die USA gegen den IS im Irak intervenierten und auch die Bundesregierung Waffen an die Regionalregierung von Barzani im Nordirak lieferte. Deniz Yücel analysierte das in der TAZ so: „Dass sie beschlossen, Waffen an die nordirakischen Kurden zu liefern – wogegen nichts einzuwenden wäre –, aber zugleich klarmachten, dass sie PYD und PKK nicht unterstützen würden, hat der „Islamische Staat“ als Einladung aufgefasst, nach dem gescheiterten Angriff Anfang Juli erneut gegen Kobani vorzurücken. Diesen Kurden, so müssen die Dschihadisten gedacht haben, wird eh keiner helfen.“

Unterstützung für Selbstverteidigung und Selbstverwaltung

Die Bilder des daraufhin vom IS belagerten Kobane gingen 2014 um die Welt - und mit ihnen die Bilder der die Stadt verteidigenden Einheiten der Volksverteidigungskräfte Rojavas der YPG/YPJ. Am Ende war die Stadt - auch mit Luftunterstützung der USA - befreit. Auf die Frage des „Tagesspiegel“ nach einer Unterstützung der Menschen in Kobane erklärte Außenminister Steinmeier am 12.10.2014: „Wir helfen humanitär, wir liefern militärische Ausrüstung an die Kurden im Nordirak.“
Im Herbst 2014 gingen die Bilder der vom „Islamischen Staat“ belagerten Stadt Kobane im Norden Syriens um die Welt. Auf der einen Seite die die Stadt verteidigenden Einheiten der Selbstverwaltung im Norden Syriens YPG/YPJ unter ihnen auch viele Frauen. Auf der anderen Seite der „Islamische Staat“, bestens ausgerüstet mit den eben erbeuteten Waffen aus den Beständen der irakischen Armee – an den Irak geliefert von den USA und anderen westlichen Staaten.
Und daneben die Panzer der türkischen Armee, die die Grenze hermetisch abgesperrt hat. Aber nicht überall war die Grenze abgesperrt. Christoph Reuter, der als Reporter des „Spiegel“ seit Jahren aus der Region berichtet, schilderte die türkische „Grenzpolitik“ so: „ Die Behörden inhaftieren kurdische Flüchtlinge aus Kobane und verweigern Hilfslieferungen in die belagerte Stadt. Doch die Grenzübergänge in die von IS besetzten Gebiete sind weiterhin geöffnet. (…) Das aufgescheuchte Verhalten der türkischen Beamten an der Grenze zu Kobane steht in deutlichem Gegensatz zu ihrer Entspanntheit im Umgang mit IS. Man muss von Suruç nur 60 Kilometer gen Osten fahren, nach Akçakale, zum nächsten Grenzübergang. Der ist geöffnet, und hier lassen sich irritierende Szenen des Einvernehmens zwischen dem türkischen Staat und den Dschihadisten erleben.
Auf der syrischen Seite weht die schwarze Flagge des "Islamischen Staates". Seit fast einem Jahr kontrolliert IS die Nachbarstadt Tall Abjad, hat alle Gegner ermordet oder vertrieben. (...) Doch mit diesem Nachbarn, der von der Weltgemeinschaft zum derzeit größten Feind erklärt worden ist, hat das Nato-Land Türkei offenbar weniger Probleme als mit den Kurden. Das Grenztor der schläfrigen Kleinstadt öffnet morgens gegen neun. (...)
Nach einer halben Stunde kommt ein Lieferwagen, lädt stapelweise medizinisches Notfallmaterial aus: Mullbinden, Einweghandschuhe und -unterlagen für Operationen, faltbare Rollstühle.
Ein langbärtiger alter Mann überwacht das Umladen. Im letzten Augenblick vorm Grenzübertritt reicht ihm ein junger Mann einen saudi-arabischen Pass, den er für den Kameraden drüben mitnehmen möge, er wisse ja Bescheid. Dann zieht der Alte los mit dem Pass und vier Männern, die auf Handkarren ihre Lieferung gen Syrien schieben. Zum Kalifat. All das, was die bedrängten Kurden von den türkischen Behörden für Kobane fordern, eine Öffnung der Grenze, das Passierenlassen medizinischer Hilfe: Hier ist es kein Problem.“ Nach der Befreiung vom IS Anfang 2015 liegt Kobane in Trümmern, trotzdem sind zehntausende Menschen in die Stadt zurückgekehrt. Sie wollen ihre Stadt wieder aufbauen. Doch an der Grenze zur Türkei dasselbe Bild – die Blockade dauert an. Aufbaugüter können nur unter äußersten Schwierigkeiten nach Rojava über die Grenze gebracht werden. Martin Glasenapp von der Hilfsorganisation medico international: „Hilfskonvois dürfen nur selten nach Syrien. Die Türkei ist sehr restriktiv an der Grenze. Das liegt wohl daran, dass viele Kurden, die hier die letzten 135 Tage gegen die Extremisten ausgehalten haben, Anhänger von Abdullah Öcalan sind, dem Gründer der militanten Arbeiterpartei PKK. Das fördert nicht die Sympathie der Türken. Es braucht politischen Druck, damit diese Blockade aufgehoben wird, auch von Deutschland,“ (Der Spiegel 7/2015). Doch diesen Druck aus Deutschland gibt es nicht. Von der Bundesregierung jedenfalls nicht.
Druck gibt es dafür aus der Türkei: Spiegel Reporter Christoph Reuter wird im Mai 2015 von der türkischen Regierung inhaftiert und dann aus der Türkei ausgewiesen. Ihm wird ein Verbot der Wiedereinreise angedroht.
Leider kommen die Menschen in Rojava in der deutschen Politik schlicht nicht vor, solange sie in ihrem Land politisch ihre Lebensverhältnisse gestalten wollen. Erst wenn sie diesen Versuch aufgeben und ihr Land verlassen, dann finden sie einen Platz auf der Agenda der deutschen Politik - als Flüchtlinge, bzw. als Flüchtlingsproblem, das man am besten dadurch löst, dass die Türkei auch die Grenze nach Europa abriegelt und diese Menschen an der Flucht nach Europa hindert.

  • Nicht die deutsche Mitwirkung am Syrienkrieg ist also erforderlich, sondern die Solidarität mit den Menschen in Rojava und ihre praktische Unterstützung.
  • Nicht die Abschottung der Grenze zwischen Europa und der Türkei ist das Gebot der Stunde, sondern die Öffnung der Grenze zwischen Rojava und der Türkei.
  • Wir fordern, Rojava international anzuerkennen. Es kann nicht sein, dass über die Zukunft Syriens ohne die Beteiligung der sechs Millionen Menschen in Rojava auf internationalen Konferenzen verhandelt wird.
  • Die Verfolgung und Kriminalisierung kurdischer Politiker in Deutschland muss beendet werden, das PKK Verbot muss endlich aufgehoben werden.