Druck wirkt, aber etwas fehlt

Eine erste Stellungnahme zum Mietengesetz der SPD
Glatteis oder Stadtidylle?
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Die Ereignisse überschlagen sich: Im Mai hieß es, die Forderungen des Berliner Mietenvolksentscheid würden nicht verhandelt. Den ganzen Sommer über galten Sondierungen zwischen Senat, SPD und Mietenvolksentscheid-Initiative als unverbindliche „Gespräche“, doch am 19. August wurde dann ein „Kompromiss“ verkündet. Die SPD legte ein eigenes Mietengesetz vor, dass den Volksentscheid ersetzen soll, und sogar die CDU twittert Zustimmung. Am liebsten hätte der Senat, dass der Volksentscheid nun abgesagt wird. Die beteiligten Gruppen und Einzelpersonen müssen jetzt entscheiden, wie es weitergeht. Während Forderungen nach Sozialwohngeld und öffentlichem Wohnungsbau übernommen wurden, gibt es im SPD-Entwurf weder Demokratisierung noch reale Mitbestimmung für Mieterinnen und Mieter. Der Staat, so das Signal, behält die volle Kontrolle über die Immobiliengeschäfte des Landes.

Die Interventionistische Linke Berlin ist von Anfang an am Mietenvolksentscheid beteiligt und hat sich dort, nicht immer erfolgreich, für eine Kontrolle der Wohnungsunternehmen vor allem durch Mieterinnen und Mieter und die Angestellten der Unternehmen eingesetzt.

Sozialwohngeld und Wohnungsbau – Zugeständnisse im Gesetzesentwurf der SPD

Durch Äußerungen von Senatspolitikern wurden am 19. August Grundlinien des offiziell noch vertraulichen Mietengesetzes öffentlich, am selben Tag gab es öffentliche Pressekonferenzen dazu. Das Gesetz übernimmt die Forderung der Initiative Mietenvolksentscheid nach Einführung eines Sozialwohngeld für den alten sozialen Wohnungsbau, wo durch alte Knebelverträge jährliche Mieterhöhungen möglich sind – denn die geförderten Wohnungen sind Privatbesitz, obwohl sie mit öffentlichen Geldern errichtet wurden. „Mit dieser öffentlichen Subvention werden die Nettokaltmieten in Sozial- und Kommunalwohnungen auf 30 Prozent des Nettoeinkommens der Mieter begrenzt. Diese Subjektförderung kommt auch Mietern von Wohnungen zugute, deren Anschlussförderung gestrichen worden ist“ berichtet der Tagesspiegel. Dies käme Initiativen wie „Kotti und Co“ entgegen, die sich gegen die Vertreibung von Mieterinnen und Mietern aus Sozialwohnungen des alten sozialen Wohnungsbau einsetzen. Wie hoch das neue Wohngeld ist, wie viele Menschen profitieren, wie bürokratisch und gegebenenfalls ausschließend das Antragsverfahren ist, bleibt im Moment noch unklar.
Zukunftsweisender als die Mietzuschüsse, die Fehler des alten sozialen Wohnungsbaus und seiner korruptionsanfälligen Staatszahlungen für private Bauherren abmildern, ist die Forderung nach einem neuen landeseigenen Wohnungsbau. Die Initiative forderte dazu die Umwandlung aller sechs landeseigenen Wohnungsgesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts – eine Rechtsform ohne Gewinnzwang und mit Gemeinwohlorientierung. Diesen Anstalten sollten nicht nur alle Mieteinnahmen ihrer Bestände, sondern auch eine ganze Reihe von Bundesfördermitteln aus dem Landeshaushalt zum Bau und Ankauf neuer Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel wären per Gesetz permanent gebunden – eine Zweckentfremdung für Haushaltslöcher sollte verhindert werden. Im Entwurf versprochen ist nun genau die Einrichtung eines solchen Fonds zum Wohnungsbau. Dies bedeutet einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik: statt Privatisierungen kauft und baut Berlin Wohnungen, die dauerhaft in öffentlichem Besitz bleiben. Die Nettokaltmieten in diesen landeseigenen Wohnungen sollen für Geringverdienende auf Antrag auf 30% des Haushaltseinkommens begrenzt werden; insgesamt sollen die Mietsteigerungen sich in Grenzen halten. Im kommunalen Wohnungsbau werden Zwangsräumungen nicht verboten, aber erschwert, im drohenden Räumungsfall muss eine Ersatzwohnung angeboten werden. Für Wohnungssuchende soll ein fehlender Bonitätsnachweis (Schufa-Auskunft) nicht mehr der „einzige“ Grund für eine Ablehnung sein - ob das im Einzelfall die tatsächliche Ablehnung verhindert, scheint jedoch fraglich. Inwieweit diese und andere Ankündigungen halten, was sie versprechen, muss überprüft werden, wenn der Gesetzesentwurf im Wortlaut veröffentlicht ist.

Mieterräte ohne Mandat

Nicht umgesetzt wird im Entwurf der SPD die Forderung nach einer öffentlich-rechtlichen Form der Wohnungsgesellschaften – sie bleiben GmbH´s und Aktiengesellschaften, lediglich eine Dachorganisation soll als „Anstalt öffentlichen Rechts“ eingerichtet werden.
Ein weitergehendes Problem ist die Beteiligung der Mieterinnen und Mieter – es gibt zwar neue „Mieterräte“, aber diese haben nur das Recht auf Information und Stellungnahme. Kein Vetorecht, keine Mitbestimmung. Zwar dürfen die neuen Räte laut Tagesspiegel „jeweils zwei Vertreter (einer als Gast) in die Kontrollgremien der Unternehmen schicken“ - aber damit haben die Mieterinnen und Mieter nur eine einzige Stimme in den Aufsichtsräten der öffentlichen Wohnungsbauunternehmen. Selbst wenn diese Person zusammen mit dem „Gast“ konsequent die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner vertritt, hat sie in ihrer Minderheitenrolle keine Chance, die Geschäfte der Unternehmen real zu beeinflussen. Die Mitgestaltung beschränkt sich faktisch auf ein Informationsrecht – das schafft unter günstigen Umständen Transparenz gegen Skandale, aber auch dies nur wenn Vertretung und „Gast“ sich nicht vereinnahmen lassen. Eine ernstzunehmende Mitbestimmung oder gar Demokratisierung ist dies nicht, eher im Gegenteil: die abhängige Rolle der Mieterinnen und Mieter wird festgeschrieben.

Verstaatlichung statt Vergesellschaftung

Die Essenz des SPD Entwurfes besteht also aus der Kombination von  sozialen Zugeständnissen, aber einer Absage an jede Demokratisierung. Der Mietenvolksentscheid hat - zumindest im Entwurf - erreicht, was vor einem Jahr unmöglich schien: eine Notbremse gegen Vertreibung im alten sozialen Wohnungsbau und den Neuaufbau eines neuen, öffentlichen und sozialen Wohnungsbestandes. Vorausgesetzt, der Entwurf hält was er verspricht, wird ein solches Programm das Gesicht Berlins verändern. 
Doch der Preis für diesen Kurswechsel ist hoch: die Hoffnung, die mit dem Mietenvolksentscheid in eine neue Stufe gestartete soziale Bewegung der Mieterinnen und Mieter könne dauerhaften Einfluss auf die Wohnungspolitik der Stadt nehmen, wird mit dem SPD-Entwurf aufgegeben. Er ist eine Verstaatlichung und eben keine Vergesellschaftung: alle Unternehmen bleiben in Kontrolle der Senatsbürokratie, Mieterinnen haben sozialen Schutz und Informationsrecht, aber keinen Einfluss auf die Geschäfte. Es fehlt damit die Möglichkeit, den berühmten Berliner Baufilz durch reale Kontrolle von unten im Zaum zu halten.
Diese Kombination aus sozialem Zugeständnis bei voller staatlicher Kontrolle, ohne Eingriffe in den Privaten Immobilienmarkt liegt in der Logik eines Staates, der das Privateigentum sichert und den Einfluss sozialer Bewegungen auf Eigentumsverhältnise um jeden Preis beschränken will. In Form von Staatseigentum, im SPD-Entwurf sogar in privater Rechtsform, sind öffentliche Wohnungsbestände als Korrektiv in einem versagenden Markt machbar. Mit-Bestimmung, geschweige denn ein Infragestellen des Eigentumsprivilegs soll auf jeden Fall verhindert werden. Dies sichert gleichzeitig das Monopol von Parteien und Senatsbürokratie über das politische Feld.

Wie weiter? Alle Macht den Räten!

Erste Priorität muss sein, dass der SPD-Entwurf nicht vorschnell hingenommen, sondern mit allen Aktiven breiter diskutiert wird. Dies zeichnet sich gerade ab; bisher gibt es keine ausdrückliche Erklärung zur Annahme durch das Bündnis. Vielmehr soll ausgiebig auch zusammen mit anderen Initiativen geprüft werden, wie weit der Entwurf wirklich geht und welche Hintertüren er offen hält. Dennoch setzt die Presse Fakten, indem der Entwurf bereits jetzt als „Kompromiss“ dargestellt wird. Diese Darstellung kommt nicht von ungefähr, denn statt der angekündigten tiefergehenden „Gespräche“ wurde in den letzten Tagen mit der SPD über Inhalte verhandelt, was zur stillen Aufgabe von Forderungen führte. Eine Gefahr, vor der wir in unserer letzten Erklärung warnten.
Einerseits setzte unser Mietenbündnis die SPD mit dem Volksentscheid massiv unter Druck, da sie Angst vor einem Mietenvolksentscheid während des Wahlkampfes 2016 hatte – Andererseits setzte die SPD alles daran, auch auf das Bündnis Druck aufzubauen. Den Hebel dafür lieferte eine Kombination aus Gesetzen und Rechtssprechung. Diese machten die Regelungen zu Anstalten öffentlichen Rechts im ursprünglichen Gesetz der Initiative gerichtlich angreifbar. Eine nachdrückliche Korrektur wurde gleichzeitig verboten. Die angreifbare Regelung in Kombination mit dem Korrekturverbot machten die Drohung, den Volksentscheid vor dem Landesverfassungsgericht scheitern zu lassen, plötzlich plausibel.

Es ist in dieser Situation unbedingt notwendig, den Volksentscheid aufrechtzuerhalten als Druckmittel – sobald er abgesagt wird, gibt es keine Garantie mehr, dass überhaupt irgendetwas umgesetzt wird. Mit diesem Druckmittel in der Hinterhand muss die Debatte um den SPD-Entwurf schnell in die Offensive gehen.
Kernforderung muss sein: Die vorgesehenen „Mieterräte“ brauchen mehr Rechte. Ein Gast und eine Stimme in den Verwaltungsräten der Wohnungsbaugesellschaften sind nicht genug. Nur, wenn die Mieterinnen und Mieter eine echte Selbstverwaltung erhalten, können die staatlichen Wohnungsgesellschaften von ihren Nutzerinnen und Nutzern auch kontrolliert werden. Daran hängt auch Umsetzung der sozialen Ziele des Gesetzes: ohne Druck durch starke Räte von Mieterinnen und Mietern gibt es keine Kontrolle, ob die Vorgaben zur Vermeidung von Zwangsräumungen und zur Mietreduktion für Geringverdienende auch umgesetzt werden.
Den Mietenwahnsinn verursacht durch die Politik der SPD, die das Stadtressort seit 1999 leitet, wird der jetzige Gesetzesentwurf der Sozialdemokraten nicht stoppen. Hier darf auch in Zukunft kein falsches Vertrauen entstehen, Mediaspree sitzt da noch tief in den Knochen, es heißt also: weiter kämpfen!