Blockupy: Den kapitalistischen Normalbetrieb unterbrechen!

Interview zu Blockupy mit Ulrich Wilken (Die Linke., MdL Hessen) und Moritz (iL)

Das Interview erschien auf dem mosaik blog aus Österreich:

Am 18. März soll in Frankfurt das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) eingeweiht werden. Dieser Anlass bietet vielen kapitalismuskritischen Gruppen und Organisationen einmal mehr Grund zum Protest gegen die autoritäre Verarmungspolitik der Troika – und damit der EZB. Menschen aus ganz Europa haben ihre Teilnahme an den Protesten angekündigt: Sie wollen ein rauschendes Fest verhindern und ihre Solidarität mit den sozialen Bewegungen, die gegen die EUropäische Krisenpolitik ankämpfen, zum Ausdruck bringen. mosaik hat einen Vertreter der Linkspartei, Ulrich Wilken, MdL sowie Moritz Rieder von der Interventionistischen Linken zu ihren Motiven und dem Stand der Vorbereitungen interviewt.

Philipp Metzger: Blockupy gibt es nun schon seit Jahren. Erzählt doch mal, wieso ihr damals zusammen seid und was eure Intention war?

Ulrich Wilken: Bereits im Herbst 2010 gab es mit dem „Georg Büchner Bündnis“ einen ersten Versuch, eine größere Mobilisierung nach Frankfurt, an den Ort der EZB als Protest gegen die Verarmungspolitik der Troika hin zu kriegen. Aber nicht nur aus diesem Bündnis hat sich dann – auch unter dem Eindruck der weltweiten „Occupy-Bewegung“ – der Kern des Blockupy-Bündnisses herausgebildet: ATTAC, Interventionistische Linke, DIE LINKE, solid, Erwerbsloseninitiativen, refugees und manchmal auch die Grüne Jugend. Ziel war von Anfang an, den Protest gegen die Troikapolitik auch endlich in das Herz der Bestie zu tragen, indem wir blockieren, Plätze okkupieren und gegen diese Politik protestieren. Das hat dann zur Planung der ersten Maifestspiele 2012 in Frankfurt am Main geführt, die von der Stadt mit einer regelrechten Verbotsorgie überzogen worden sind: die Polizei hat die gesamte Innenstadt zur Sicherheitszone erklärt und wir konnten uns so gut wie gar nicht bewegen. Nur eine Großdemo wurde auf den letzten Drücker gerichtlich durchgesetzt. Damit war – fast über Nacht – Blockupy als Akteur auf die Tagesordnung gesetzt und wir haben uns – erweitert durch Ums Ganze  – entschieden, als Bündnis weiter zu machen – mindestens bis zur Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes (die ursprünglich für 2013 geplant war)

Moritz Rieder: Blockupy ist im Grunde das Produkt zweier Ereignisse: Der internationalen Finanzkrise und der Welle an Protesten gegen die darauf folgende neoliberale Krisenpolitik. Bekanntheit erlangten da vor allem die Platzbesetzungen in Athen und Madrid, in denen sich die Menschen gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die einfache Bevölkerung zur Wehr setzen wollten. Die Occupy-Bewegung, die ihren Ausgangspunkt in New York hatte, kam damals auch in Deutschland in einer für uns überraschenden Stärke an. Trotzdem blieb es hierzulande im Vergleich zu den Krisenstaaten relativ ruhig. Und es war vor allem die deutsche  Bundesregierung, die in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal soziale Angriffe von oben forcierte. Die üblichen Demos mit ein, zwei Tausend Menschen waren uns da nicht mehr genug. Mit Blockupy wollten wir den Widerstand in das Herz der Bestie tragen. Als interventionistische Linke wollten wir dabei an zwei Sachen anknüpfen: die Platzbesetzungen und an unsere primäre Aktionsform: massenhaften zivilen Ungehorsam in Form von Blockaden.

Philipp Metzger: Was bedeutet die aktuelle politische Situation in Europa – etwa die Bildung der Linksregierung unter SYRIZA in Griechenland, der Aufstieg von Podemos in Spanien – für Blockupy?

Ulrich Wilken: Blockupy, wenn auch zum Zeitpunkt des Entstehens aus eher deutschsprachigen Zusammenhängen gespeist, war von Anfang an auf transnationale Politikentwicklung bzw. -veränderung ausgelegt. Es wurden nach dem ersten Jahr alle wesentlichen Entscheidungen zu Aktionen, Zeitpunkten usw. auf internationalen Treffen getroffen und da waren vor allem südeuropäische Gruppen immer stark vertreten – nicht zuletzt aufgrund einer ganz anderen Betroffenheit durch die Verarmungspolitik. Damit ist Blockupy sowohl Solidaritätsbewegung mit den transnationalen Kämpfen in Italien, Griechenland oder Spanien als auch der Anspruch, die Kämpfe in das Zentrum zu tragen und in Deutschland eine andere Politik zu erstreiten. Insofern sind die Entwicklungen in Griechenland und Spanien ein Hoffnungsschimmer, auch in Deutschland nennenswerte Kräfte zusammenzubringen, die einen Politikwechsel erkämpfen. Für mich als Funktionär der LINKEN ist dabei vor allem auch die Ausrichtung auf eine bewegungsorientierte Partei entscheidend – weil Veränderung nicht im Parlament beginnt, dort aber – wenn der Druck stimmt – umgesetzt werden kann.

Moritz Rieder: Diese politische Situation ist zugleich eine Chance und eine Herausforderung. Eine Chance, da die gesellschaftliche Mobilisierung in Griechenland und der Wahlsieg von Syriza das bleierne Dogma der Alternativlosigkeit auf eine Art herausfordern, wie wir es in Europa seit vielen Jahren nicht mehr erlebt haben. Ein Antagonismus, also ein Widerstreit unterschiedlicher Zugänge, wird sichtbar und die deutsch-europäischen Erpressungsversuche zeigen in aller Deutlichkeit den fundamental antidemokratischen Charakter kapitalistischer Kürzungspolitik Austerität. Das ist eine wirklich neue Situation und eröffnet einen Möglichkeitsraum. Gleichzeitig ist diese Situation eine Herausforderung. Zuerst müssen wir, muss Blockupy, in dieser Situation gegen die Erpressung und speziell gegen den deutschen Nationalismus und seine Herrschaftsansprüche kämpfen. Aber dabei ist uns allen auch klar, dass wir einen fundamentalen Bruch mit dem Bestehenden nicht an Podemos oder Syriza delegieren können. Dazu brauchen wir eine radikale, eine transnationale Bewegung von unten, in ganz Europa und darüber hinaus.

Philipp Metzger: Was ist dieses Jahr konkret geplant? Und wie sieht die rechtliche Lage aus – in den letzten Jahren wurde Blockupy ja teilweise verboten?

Ulrich Wilken: Während wir in den Vorjahren immer Aktionen des zivilen Ungehorsams einerseits und mit den Behörden abgesprochene „legale“ Demonstrationen an unterschiedlichen Tagen geplant hatten, wollen wir das dieses Mal alles an einem Tag unterbringen, dem 18.3., dem Tag der Eröffnungsfeier des neuen EZB-Gebäudes. Das ist schwierig, weil die Mobilisierung an einem Werktag für uns schwer einzuschätzen ist. Deswegen machen wir auch eine eigenständige Kampagne „18nulldrei – ich nehm mir frei!”, um möglichst viele zu ermutigen, sich den Mittwoch, 18. März, frei zu nehmen, krank zu machen oder zu streiken, um ihn mit uns zu einem Tag des Widerstandes gegen die europaweite Verarmungspolitik zu machen. Beginnen werden wir am frühen Morgen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams um das EZB-Gebäude herum, um den alltäglichen kapitalistischen Betriebsablauf  zu stören und eventuellen Feierwilligen den Zutritt zum Gebäude zu erschweren. Denn an der Politik, die diese EZB zu verantworten hat, gibt es nix zu feiern. Ab 14 Uhr machen wir dann eine Kundgebung in der Innenstadt, vor dem Rathaus. Dort wollen wir weniger mit uns als vielmehr mit der Stadtbevölkerung ins Gespräch kommen. Ab 17 Uhr gibt es dann eine große Demo durch die Innenstadt, wir rechnen mit über 10.000 Menschen. Tja und ob die Polizei uns laufen lässt oder wieder einkesselt, die Stadt mit unsinnigen Auflagen uns das Leben schwer macht, oder vielleicht wieder ganze Aktionen verbietet, wird sich zeigen. Bisher ist nur von strikten Auflagen für die Demo die Rede, aber nicht von einem Verbot. Wir wollen auf jeden Fall eine bunte Demo, in der alle, die es wollen, ungefährdet und unbeschadet mitlaufen können.

Moritz Rieder: Wir haben uns vorgenommen, für einen Tag den kapitalistischen Normalbetrieb in Frankfurt zu unterbrechen. Wenn es wie in den letzten Jahren Versuche von Politik und Polizei gibt, das zu verhindern, werden wir gemeinsam darauf antworten – kreativ und entschlossen. Wir werden den 18.3. zu unserem Tag, einem Tag des massenhaften und ungehorsamen Protests machen; das lassen wir uns nicht verbieten und wir werden uns auch nicht einfach aufhalten lassen.

Philipp Metzger:  Wie läuft die Mobilisierung, wie läuft die europaweite Vernetzung von Blockupy bislang – auch im Vergleich zu den vergangenen Jahren?

Moritz Rieder: Wir haben in Berlin gerade die verrückte Entscheidung getroffen, einen Sonderzug nach Frankfurt zu organisieren. Wir sehen das durchaus auch als Signal, dass wir es ernst meinen. Wir sind optimistisch, dass Tausende die Schule schwänzen, krankfeiern oder blaumachen um in Frankfurt am Tag der Pariser Kommune auf der Straße zu sein. Auch aus Wien gibt es einen Bus und eventuell einen aus Graz. Die europaweite Mobilisierung läuft insgesamt wirklich gut, viele Genoss_innen aus unterschiedlichen Ländern sind in die Planungen involviert und noch mehr werden kommen. Das ist, nebenbei gesagt, meiner Meinung nach einer der größten Erfolge von Blockupy: es ist uns gelungen, eine kontinuierliche und immer tiefer werdende transnationale Zusammenarbeit zu schaffen, die auch nach dem 18.3. weitergehen wird.

Ulrich Wilken: Die Mobilisierung ist einerseits tatsächlich irrsinnig dynamisch: Der Sonderzug aus Berlin, zahlreiche Busse, allein 3.000 Menschen haben sich von außerhalb Deutschlands angekündigt. Andererseits ist es unheimlich schwierig einzuschätzen; es ist halt ein Werktag und kein Wochenende, andererseits regen die Verarmungspolitik und ihre Folgen immer mehr Menschen auf. Wir gehen auf jeden Fall fest davon aus, dass wir bereits vormittags so viele sind, dass wir effektiv blockieren können und am Nachmittag mit mehr als 10.000 Menschen demonstrieren werden. Nicht zuletzt deswegen, weil über die letzten Jahre die Vernetzung im Land und europaweit gewachsen ist, davon können wir jetzt profitieren. Was nicht heißt, dass es, wie immer in Bündnissen, nicht auch an allen möglichen Ecken und Enden hakt, aber es gibt Blockupy europaweit und alle mobilisieren für den 18.3. nach Frankfurt am Main.

Philipp Metzger:  Warum demonstriert ihr denn überhaupt gegen die EZB?

Ulrich Wilken: Die EZB als Bestandteil der Troika ist wesentlich verantwortlich für die Verarmungspolitik. Gerade die letzten Tage haben gezeigt, mit welcher Gewalt Entscheidungen der EZB, z.B. den Geldhahn zuzudrehen, demokratisch gewählte Regierungen stürzen sollen – aktuell etwa in Griechenland. Das Kapital wird alles daran setzen, seine neoliberale Politik gegen den Willen der betroffenen Menschen fortzuführen und einer seiner Akteur_innen dabei ist die EZB. Sie stellt sich keinerlei demokratischen Wahlen und Entscheidungen, übt ihre Macht und Gewalt aber mit brutaler Härte aus.

Moritz Rieder: Die EZB ist zuerst ein Symbol für die Verarmungs- und Entdemokratisierungspolitik der Troika. Dabei steht sie für eine technokratische Sachzwanglogik: Kapitalinteressen werden als alternativlose Notwendigkeit präsentiert und ohne Rücksicht auf demokratische und soziale Rechte durchgesetzt. Aber die EZB ist auch viel mehr als ein Symbol. Sie ist ein Kreuzungspunkt des Politischen und Ökonomischen in der Herrschaftsarchitektur des europäischen Kapitalismus. Als solchen greifen wir sie an. Wenn wir das tun meinen wir natürlich nicht nur die EZB und ihre spezifische Politik, sondern das Europa des Kapitals und der Ausgrenzung im Allgemeinen.

Philipp Metzger: Blockupy könnte dieses Jahr das größte Treffen der europäischen Linken gegen die Kürzungspolitik sein, aber was kommt dann? Wie sieht die Zukunft der Krisenproteste aus und welche Rolle könnte Blockupy dabei spielen?

Moritz Rieder: Im Moment verändert sich die Situation ja sehr schnell, so dass Prognosen schwierig sind. Wie die Krisenproteste der Zukunft aussehen, liegt nicht nur in den Händen der Bewegungslinken, sondern auch am weiteren Verlauf der Krisen- und Austeritätspolitik. Dass es die SYRIZA-Regierung bisher noch nicht geschafft hat, der Eurogruppe substantielle Zugeständnisse abzuringen, zeigt einmal mehr, dass es nicht ausreicht, sich als Bewegung zurück zu lehnen und abzuwarten, wenn eine linke Partei in die Regierung gewählt wurde. Wirkliche Veränderungen können nur durch den Druck der Straße kommen. Deswegen ist eine transnationale Bewegung – auch nach dem 18. März – notwendiger denn je. Nur gemeinsam mit unseren Genoss_innen in Spanien, Griechenland und Italien können wir wirklich etwas bewegen. Ob diese Bewegung dann Blockupy heißt oder nicht wird sich zeigen.

Philipp Metzger: Der Vorsitzende der IG-Metall, Hans-Jürgen Urban, sagte auf der Pressekonferenz von Blockupy: “Das Wahlergebnis in Griechenland bietet die Chance, jetzt den Austeritätsirrsinn in ganz Europa zu stoppen”. Aber dazu braucht es auch Krisenproteste im Norden und speziell in Deutschland. Wie schätzt ihr die Lage ein, denkt ihr ein Stimmungsumschwung in Nordeuropa und in Deutschland ist erkennbar oder in absehbarer Zeit möglich?

Ulrich Wilken: Ich sehe diese Chance, aber ich sehe mit Blick auf die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse leider auch unsere relative Schwäche. Wobei: Auch Syriza war bis 2012 mit Wahlergebnissen zwischen 3 und 5 % der Stimmen gerade mal viertstärkste Kraft im Parlament. Blockupy ist auf jeden Fall im Herzen der Bestie ein Hoffnungsschimmer für die radikale Linke, was notwendigerweise auch zu einer veränderten Partei DIE LINKE führen muss.

Moritz Rieder: Wir brauchen Pessimismus des Verstandes und Optimismus des Willens. Natürlich wird die Stimmung in Deutschland nicht von heute auf morgen kippen. Die Springerpresse (Bild,  Die Welt uvm. Anm.) hetzt gegen „faule Griechen“ und es gibt insgesamt eine erschreckend erfolgreiche rechte Mobilisierung gegen Flüchtlinge, gegen feministische Errungenschaften etc. Auf der anderen Seite ist die Rede von der Friedhofsruhe in Deutschland auch eine Legende und es hilft uns als radikaler Linken wenig, diese ständig zu wiederholen. Niedriglohn, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse und Leistungszwang machen immer mehr Menschen fertig und es gibt durchaus auch im Norden Europas vielfältigen Wiederstand. Es gibt – auch in Deutschland – starke Krisentendenzen, Unzufriedenheit und viele soziale Auseinandersetzungen, etwa die radikalen Kämpfe von Geflüchteten oder die Kämpfe für ein Recht auf Stadt, um nur zwei zu nennen. Und zumindest zeigt das Engagement von Hans-Jürgen Urban, dass auch Teile Gewerkschaften sich wirklich für ein Ende der Sparpolitik einsetzen. Es gibt also zahlreiche Konflikte und Bruchlinien,, Diese müssen wir erkennen, vertiefen und versuchen, darin einen radikalen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu entwickeln. Dann können wir auch optimistisch auf die kommenden Kämpfe blicken, trotz alledem.