
Gemeinsam gegen Kürzungspolitik und die Angriffe auf unser Leben
Trotz monströser neuer Schulden - in der deutschen Politik stehen die Zeichen wieder mal auf Sparkurs. Die von Merz und Co. bereits angekündigte Kürzungspolitik hat ihren Ursprung nicht nur in der Schuldenbremse – sie ist Teil einer Reaktion auf die derzeitige Unfähigkeit des Kapitalismus, ein funktionierendes Akkumulationsregime auszubilden. Denn das lange Zeit relativ stabile ‚Modell Deutschland‘ steckt in der Krise. Es ist aufgrund seiner Exportorientierung durch Verschiebungen in der Weltwirtschaft längst verwundbar und die Interessen der Kapitalfraktionen gestalten sich teils widersprüchlich. Politisch eingeklemmt zwischen einer Industriepolitik von gestern und blockierter sozial-ökologischer Transformation besteht wenig echte Handlungsfähigkeit. Es ist nicht zu erwarten, dass den multiplen Krisen der Gegenwart (Klimawandel, soziale Reproduktion etc.) angemessen begegnet werden wird. Das Angebot der Politik an die verschiedenen Kapitalfraktionen, auf das sich Neoliberale, Industriekapitäne und rechte Eliten einigen können, lautet: Kürzungspolitik und Sozialabbau.
Die Streichung des sozialen LebensSchon jetzt sorgt die Kürzungspolitik für Einsparungen in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen. An den Protesten des vergangenen Jahres in Düsseldorf, in Berlin und Dresden haben wir gesehen, dass diese Kürzungen hochpolitisch sind. Eine kleine Auswahl der Bereiche, in denen aktuell Mittel gestrichen und gekürzt werden, verdeutlicht das: Betroffen sind die Geflüchteten-Hilfe, städtische Sportstätten, Aidshilfe, Schwangerschaftsberatung, Inklusionsangebote für Menschen mit Behinderung, Sozialkaufhäuser, KiTas, Stadtteilbibliotheken, Jugendzentren und Mädchentreffs, Suchthilfe, sozialer Wohnungsbau, Sozialtickets für den Nahverkehr und der Kulturbetrieb. Diese Beispiele zeigen, wo zuerst gespart wird: bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und in nichtkommerziellen Orten der Begegnung. Die Einsparungen bei Sozial- und Kultureinrichtungen verdeutlichen, dass Räume, Leistungen und Menschen als nicht relevant betrachtet werden, wenn sie nicht (unmittelbar) verwertbar sind. Die Unterwerfung aller gesellschaftlichen Bereiche unter Logiken des Wettbewerbs, der Profiorientierung und des Privateigentums nimmt uns die Luft zum Atmen und Möglichkeiten des Lebens.
Wär‘ ich nicht arm, wärst Du nicht reichHöchstwahrscheinlich wird es unter der neuen Regierung Steuersenkungen für Reiche und Subventionen für die Mittel- und Oberschicht geben. Wir sollten nicht müde werden, die Kürzungspolitik angesichts des obszönen Reichtums in Deutschland als sozialpolitischen Skandal anzuprangern: Alle vom Reichtum ausgeschlossenen, vom gesellschaftlichen Zusammenleben abgehängten und bereits marginalisierten Menschen trifft das Spardiktat am härtesten. Gerade sie bräuchten für eine Teilhabe aber mehr und nicht weniger Unterstützung. Soziale und kulturelle Einrichtungen schaffen Orte der Begegnung, in denen Menschen zusammenkommen, ohne dabei produktiv oder nützlich sein zu müssen. Darin findet praktische Hilfe statt, mit der kein Profit gemacht wird, die aber umso wichtiger ist. Es sind Orte, die das Leben lebenswert machen und nicht nur Teil von Überleben im rein materiellen Sinne sind. Auch bei den direkten wohlfahrtsstaatlichen Leistungen sieht es düster aus. Im Wahlkampf und in den Sondierungsgesprächen wurden Stimmen laut, dass die Ausgaben beim Bürgergeld gekürzt werden und weniger Menschen Anspruch auf staatliche Unterstützung erhalten sollten. Anders als zu Beginn des Ukraine-Kriegs werden politische Mechanismen wie der Inflationsausgleich ausbleiben, in Zeiten der Rezession wird die Kürzungspolitik als noch „alternativloser“ dargestellt. Und zugleich ist diese Politik ein Treiber autoritärer Politik, weil sich die Zone der Prekarität und mit ihr die Abstiegsangst auf immer mehr Menschen ausweitet: Von diesem Gefühl der (sozialen) Entsicherung profitieren am Ende rechte Parteien. Zusätzlich wird vom konservativen bis rechten Teil des ökonomisch neoliberalen Machtblocks die notwendige Entfossilisierung gegen ökonomische Sorgen ausgespielt.
Sparsam in die KlimakatastropheNicht nur im sozialen Bereich brennt es, auch die sozial-ökologische Transformation wird durch das Festhalten an den fossilen Lebens- und Wirtschaftsweisen blockiert. Die Klimakatastrophe ist längst da. Doch alles, was der deutschen Politik dazu einfällt, ist es, auf mehr Wettbewerb zu setzen – als ob sich durch bessere Batterietechniken und Bürokratieabbau die Klimakrise lösen ließe. Durch die Hochwasser in Valencia, Pakistan und zunehmend auch in Deutschland können wir live beobachten, was passiert, wenn kein Geld für die Bekämpfung des Klimawandels und die Anpassung daran bereitgestellt wird. An der Krise des VW-Konzerns zeigt sich zudem, was passiert, wenn eine – ohnehin unzureichende – Transformation zugunsten von Gewinnen der Aktionär*innen ausbleibt. So wird sich auch in der Frage der sozial-ökologischen Transformation zeigen, ob im neoliberalen Machtblock wirklich Risse auftreten und ob Interventionen möglich sind: Wahrscheinlicher ist derzeit eine stärkere Orientierung der Wirtschaftspolitik an den Interessen von energieintensiven Industrien und mittelständischen Unternehmen.
Militarisierung und SchuldenbremseAls Grund für fehlende Zukunftsinvestitionen wurde oftmals die seit 2009 im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“ ausgemacht. Diese ist mittlerweille für das kapitalistische Wachstumsstreben teilweise dysfunktional geworden. Doch selbst wenn die neue Regierung nun mit alten Mehrheiten die Schuldenbremse aushebelt, ist nicht davon auszugehen, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird. Das bald verbrauchte „Zeitenwende“-Sondervermögen wird nun abgelöst werden durch neue Sondervermögen für Aufrüstung sowie eine Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben. Als Grund wird angeführt, dass die USA unter Trump geopolitische Lücken lassen werden, die die NATO-Verbündeten füllen müssen. Doch auch unabhängig von Trump ist sich die bürgerliche Politik von CDU bis zu den Grünen einig: Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit sind das Gebot der Stunde. Für Deutschland stehen bis zu 5% des Bruttoinlandsprodukts im Raum, die für die NATO ausgegeben werden sollen. Statt sozialer Absicherung steht Sicherheitspolitik wieder hoch im Kurs; von SPD bis zum Wirtschaftsforschungsinstitut ifo wird offen zugegeben, dass man Kanonen wichtiger findet als Butter. Die Merz-Regierung versucht nun, die Zustimmung zur massiven Aufrüstung mit einem Infrastruktur-Programm zu erkaufen. Die Ausgaben für die Bundeswehr und ihre Verbündeten werden jedoch faktisch andere Posten wie Soziales und Klima blockieren – trotz neuer Schulden.
Wer von Haushaltspolitik redet, darf von Aufrüstung nicht schweigen. Auch wenn Link(sliberal)e darauf hoffen, anschlussfähig zu sein, wenn sie das Thema Militarisierung vermeiden: Die Hintergründe und Auswirkungen der „Zeitenwende“ sind direkt verknüpft mit den angeblichen “Sachzwängen“ der Kürzungspolitik. Über dieses Sicherheitsdispositiv werden soziale Spaltungslinien der Gesellschaft verwischt und so behauptet, die Grenze verlaufe zwischen innen und außen statt zwischen verschiedenen Klassen der Gesellschaft.
Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, dass die Interessen der Reichen und Besitzenden direkt den Rotstift führen. ‚Hoch‘kultur wie die Oper oder das Berliner Stadtschloss wird nicht angetastet und repräsentative Theaterhäuser trifft es weniger hart, während migrantisches Theater und Clubs wegfallen. Die Kürzungspolitik definiert so mit, was deutsche Kultur ist; wer dazu gehört und wer darum betteln muss, teilhaben zu dürfen. Das Deutschland der Kürzungen ist das Deutschland der Abschottung: Integration, Offenheit und eine Gesellschaft der Vielen werden hier zuerst gestrichen. Den Herrschenden passt das nur zu gut. Denn wo diese Möglichkeiten verlorengehen, wird es schwieriger, sich zu verbünden: gegen die Kürzungspolitik, gegen die herrschende Ordnung, gegen den Kapitalismus. Kollektive Ideen, Zuversicht und Begehren nach einem anderen Zusammenleben können nur da entstehen, wo wir nicht gezwungen sind, sparsam zu sein. Gerade in Ostdeutschland wird dies zu einer Überlebensfrage für emanzipatorische Projekte, die vom autoritären Spardiktat bedroht sind. Das Zusammenfallen von „Sparpolitik“ und ewigem Rechtsruck weist uns jedoch auch den Weg, welche gesellschaftlichen Akteur*innen Verbündete sein können: Betroffene migrantische Vereine und Kulturschaffende, Frauenhäuser und soziale Initiativen.
Kürzungspolitik als DisziplinierungDer Kampf gegen Kürzungen muss zum Kampf für das gute Leben werden. In der scheinbar drögen Frage der Haushaltspolitik zeigt sich die ganze Zurichtung der Gesellschaft. „Sparpolitik“ ist ein Instrument der Disziplinierung. Wer abweicht, wird von den gesellschaftlichen Ressourcen abgeschnitten. Wenn heute Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt werden, ist das auch ein Testlauf, ein Laboratorium der Entrechtung und es lässt sich bereits ausmalen, was allen droht, die abhängig vom Sozialstaat sind… Doch im Widerstand gegen die Bezahlkarte zeigt sich auch, dass praktische Solidarität funktioniert. Wo staatliche Schikane und Kürzungen drohen, müssen lebenserhaltende Netzwerke aufgebaut werden. Wir brauchen mehr solcher solidarischen Infrastrukturen und mehr Kämpfe von unten, die konkrete Verbesserungen im Leben bedeuten und andere Beziehungsweisen etablieren können. Gleichzeitig sehen wir das Dilemma, dass sich der Staat aus immer mehr Bereichen zurückzieht und wir dafür einspringen. Der Kampf für die Netzwerke des Lebens muss daher mit dem Kampf ums große Ganze verbunden werden: Dem Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge, der Demokratisierung der Wirtschaft und Vergesellschaftung von Eigentum.
Arbeitskämpfe vergesellschaftenAuch in den nächsten Monaten werden sich Felder des Widerstands ergeben. So werden etwa die derzeit stattfindenden Tarifrunden zeigen, ob es den Gewerkschaften gelingt, ihre organisatorischen Machtressourcen zu nutzen. Zwar ist der Linksreformismus aus Gewerkschaften, SPD und Linken anders als in den Nuller-Jahren in einer existenziellen Krise. Es ist also nicht ausgemacht, dass ein sozialpolitischer Angriff gemeinschaftlich beantwortet würde. Für Staat und Kapital erscheint es bisweilen gar nicht mehr notwendig, über die Haushaltspolitik breitere Zustimmung zum herrschenden Block zu organisieren. Angesichts eines branchenspezifischen Mangels an Arbeitskräften besteht jedoch die Möglichkeit, die Arbeiter*innenmacht im öffentlichen Dienst zu nutzen. Die Tarifrunden sind relevant, weil die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen die schrumpfenden Budgets der Kommunen und Gegenforderungen der Arbeitgeberseite nach Lohnkürzungen kämpfen müssen. Die Verbindung der Streiks mit (lokalen) Protesten gegen Kürzungen bei Sozial- und Kultureinrichtungen sowie den Angriffen auf das Bürgergeld könnte der Anfang einer Suchbewegung sein, die verschiedene Kämpfe zusammenbringt.
Es wird FrühlingWir wissen: Der Ursprung der Kürzungspolitik liegt nicht nur in der aktuellen wirtschaftlichen Rezession oder im deutschen Militarismus, sondern noch grundsätzlicher in einer Wirtschaftsform, die auf Verwertung von Kapital beruht und lediglich einige Wenige immer reicher macht, während wir von einer Krise zur nächsten schlittern. Im Kapitalismus kann es keine gerechte Welt geben. Uns geht es nicht nur um konkrete Kämpfe für Umverteilung, sondern darum, die Zerstörung der Welt aufzuhalten. Deshalb ist es zwar löblich, wenn jetzt von einigen Linken eine „antifaschistische Wirtschaftspolitik“ mit mehr Investitionen und starken Sozialstaat gefordert wird. Doch Kapitalismus bedeutet immer die Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in privaten Händen. Und Kürzungspolitik ist letztlich eine weitere Form der Umverteilung von unten nach oben, des Klassenkampfs der Besitzenden. Wer mehr Geld für Soziales will, muss es den Reichen in aller Welt wegnehmen.
Dafür brauchen wir vor allem Bündnisse von unten, die gesellschaftlichen Druck aufbauen können. Schon das erste 100-Milliarden-Aufrüstungs-Paket sorgte gerade in sozialen Berufen für große Wut. Den Widerstand gegen die Haushaltspolitik gilt es also aufzugreifen und zu verbreitern. Dass das möglich ist, sehen wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Teilen der Erde: In Argentinien begehren Menschen massenhaft gegen die neoliberale Schocktherapie von Präsident Milei auf. Als wir im Sommer 2024 mit der lateinamerikanischen Diaspora gegen den Deutschland-Besuch Mileis protestierten, konnten wir beobachten, dass sich die Proteste gegen staatliche Queerfeindlichkeit und sozialen Kahlschlag verbinden lassen. Auch unsere Genoss*innen in Italien und Griechenland wissen, was Austerität bedeutet. Ein Teil unserer Antwort auf Kürzungspolitik ist also die internationalistische Frage. Wir müssen entlang der beschriebenen Bruchlinien und Machtressourcen auf mögliche Verbindungen aus Kürzungsbündnissen, kulturellen und betrieblichen Kämpfen hinwirken. Ob mit öffentlichen Protesten, Go-Ins an der Seite von Initiativen, denen das Geld für die Miete fehlt, mit Besetzungen für soziale Infrastrukturen oder mit praktischen Netzwerken der Solidarität: Holen wir uns das Leben zurück!