Septemberwirbel! - Interventionistische Politik gegen Scheinalternativen und für das gute Leben für alle

Nr. 00 - 09/2016 Freisinnige · Zeitung · der · Interventionistischen · Linken · Berlin erschienen
von der Titelseite
Unsere Herbst-Agenda

Gemeinsam mit Blockupy werden wir am 2. September vor dem Bundesarbeitsministerium ein Zeichen setzen gegen das Hartz-IV-Regime, gegen nationalistische Spaltung und die von Deutschland forcierte Austeritätspolitik in ganz Europa. (Seite 3)
Das faschistische Potenzial der AfD und der enthemmten Mitte verlangt die Mobilisierung breiter gesellschaftlicher Allianzen. Deshalb gehen wir am 3. September gemeinsam mit dem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« gegen die AfD in Berlin auf die Straße. (Seite 4)
Der nächste Tag steht im Zeichen einer Bewegung der Solidarität und der Bewegungsfreiheit. »Welcome2Stay«, vor einigen Wochen in Leipzig mit 800 Teilnehmenden gestartet, geht in die nächste Runde. (Seite 5)
14 Tage später tragen Klerikale, Reaktionäre und Antifeminist_innen »1000 Kreuze« durch Berlin. Wir sind Teil derer, die an der Zurückdrängung reaktionärer Geschlechterordnungen und -bilder beteiligt sind – nicht nur am 17. September. (Seite 6)
Außerdem in dieser Ausgabe: ein Interview mit und von der IL Berlin (Seite 4) und Artikel zum Deal mit Erdoğan (Seite 5) und über Berlin für alle – gegen den Ausverkauf der Stadt (Seite 7).
Viel Spaß bei der Lektüre! Und bis bald, IL Berlin

»So viel Krise war noch nie!« Ob in den Medien, der Familie oder unter Freunden und Kolleg_innen, immer wieder hört man solche Sätze. Dass vieles gehörig schief läuft und die Unsicherheit zunimmt, spüren immer mehr. Und das nicht nur hier, sondern überall auf der Welt – ob Klimakatastrophe, Finanz- und Wirtschaftskrisen, Krieg und Terrorismus. So wie es jetzt läuft, läuft es nicht gut!
Die allgemeine Unsicherheit lässt rechte Kräfte europaweit profitieren: die AfD in Deutschland, in Frankreich den Front National oder PiS in Polen. Nicht nur in Großbritannien verbindet sich das Nein zur neoliberalen und undemokratischen EU mit reaktionären Botschaften und einer Explosion rassistischer Gewalt.

Am Scheideweg

Wahr ist: Die Welt ist in Bewegung, denn wir befinden uns tatsächlich in einer »Großen Krise». Die Finanzcrashs von 2008 waren bloß der Startschuss. Es handelt sich um eine grundlegende Krise des Kapitalismus weltweit, deren einzelne Aspekte – ob Umweltzerstörung, Ernährungslage oder Ungleichheit – sich gegenseitig verstärken und mit Verwüstungen und Vertreibungen einhergehen, die der kapitalistische Prozess immer wieder hervorbringt. Auch in unserem Alltag merken wir in Form von Arbeitshetze, Existenzängsten und steigender Altersarmut, dass die Krise sich bis in unsere Küchen und Schlafzimmer abspielt. Dass solche Krisen in Gewalt und Krieg eskalieren, und dass autoritäre, menschenverachtende Kräfte versuchen, sie für sich zu nutzen, ist historisch nichts Neues.
Drei Entwicklungspfade zeichnen sich ab: Erstens versuchen die alten Ideolog_innen des Neoliberalismus, die Scheiße, in die sie uns hineingeritten haben, zu verewigen: Mit TTIP & CETA feiern sie eine Back-To-The-Roots-Party der neoliberalen Neunziger.
Troika und Fiskalpakt höhlen die ohnehin bürgerlich beschränkte Demokratie weiter aus und verarmen Millionen. Der EU-Türkei-Deal sichert dieses Modell – mit tödlichen Folgen – nach außen ab. Gestützt durch autoritäre Gewalt und hohe Krisenkunst soll die neoliberale Formation weiter vorantaumeln.
Zweitens treiben rechtspopulistische bis faschistische Kräfte ihre reaktionären Ideen einer rechten Antwort auf die Krise voran. Gestützt auf eine verrohte »Mitte« propagieren sie Rassismus, Antifeminismus und nationalen Kapitalismus als falsche Alternativen. Das ist mehr als bloß ein Irrtum oder eine Ablenkungsstrategie.
Wie vor 80, 90 Jahren stellt der reaktionäre Aufschwung in einer tiefen Krise eine eigenständige, hochgefährliche Entwicklung dar, die mit allen Mitteln bekämpft werden muss, soll sie nicht erneut in Verfolgung und Krieg enden.

Den Scheinalternativen den Kampf ansagen

Gegen neoliberale Zombies und proto-faschistische Monstren arbeiten wir an der Entwicklung eines dritten Projekts, gestützt auf emanzipatorische Mobilisierungen und unserem Ziel von einem guten Leben für alle. Statt Herumdoktern am Bestehenden geht es uns um eine gerechte Welt, die nicht auf Kapitalismus, Krieg und Gewalt, sondern auf Solidarität, Würde und einem neuen Internationalismus basiert.
Diesem Projekt – das heißt uns selbst und unseren Freund_innen und Genoss_innen weltweit – stellen sich somit zwei Aufgaben: Reaktionäre Scheinalternativen abzuwehren und zurückdrängen und zugleich auf den radikalen Wandel zu orientieren. Ohne eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung wird sich nicht viel erreichen lassen: Sozialismus oder Barbarei. Dies ist die Auseinandersetzung, die wir führen. Dies ist der historische Moment, in dem wir unsere vielfältige Praxis, unsere manchmal vereinzelt scheinenden Kampagnen, Bündnisse und lokalen Kämpfe verorten.
Im September 2016 kommen diese konkreten Kämpfe zusammen. Während sich die Berliner Lokalpolitik für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September in Stimmung bringt, geht die Interventionistische Linke Berlin gemeinsam mit vielen anderen – und mit Euch – in die Offensive. Denn alle Erfahrungen zeigen: Wahlen (allein) ändern nichts, Druck von der Straße ist unabdingbar.
Wer sollte das besser wissen als wir in Berlin? Das Beispiel des rot-roten Senats, der ab 2002 fast zehn Jahre die Geschicke der Stadt leitete, gibt darüber beredtes Zeugnis. Es war ein Jahrzehnt rigider Kürzungspolitik und der Privatisierung von Wasser, Wohnungen und Daseinsfürsorge. Wir wissen: Der kapitalistische Normalzustand kann nur überwunden werden, wenn wir den Kampf dagegen zu unserer eigenen Sache machen.

Eine Menge Arbeit

Klingt nach einer Menge Arbeit. Macht aber Sinn. Unser Ziel ist die gesellschaftliche Hegemonie eines linken Blocks. Deshalb orientieren wir auf breite Bündnisse, die gemeinsame Erfahrungen und Erfolge einer gesellschaftlichen Linken erzeugen.
Unsere Aufgabe ist es dabei, klar zu sagen, wo antisoziale oder rassistische Politik gemacht wird, und dabei immer wieder neue Allianzen zu suchen, die Brüche vertiefen und Chancen ergreifen. Uns geht es im konkreten Handgemenge um die Selbstermächtigung der Ausgebeuteten und Unterdrückten.
Die Dinge geraten nicht nur in Berlin, nicht nur in Deutschland in Bewegung. Das bedeutet Chancen, das bedeutet Gefahr. Unsere vielfältige Praxis orientiert sich deshalb gerade jetzt sowohl auf den Kampf um linke Alternativen als auch gegen reaktionäre Antworten. Deshalb freuen wir uns, auch nach September mit euch gemeinsam für eine bessere Welt zu streiten.