„Wo, wenn nicht an einer Universität?”

Statement zur Ausladung von Francesca Albanese
Statement zur Ausladung von Francesca Albanese

Nach Druck aus der Politik hat die Freie Universität Berlin die für den 19.2.2025 als öffentliche Präsenzveranstaltung geplanten Vorträge der Völkerrechtswissenschaftlerin und UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, und des israelischen Architekten Prof. Eyal Weizman abgesagt. Eine Woche zuvor hatte schon die Ludwig-Maximilians-Universität München einen Vortrag von Francesca Albanese untersagt. Das Vorgehen bestätigt einen besorgniserregenden Trend: Politische Einflussnahme untergräbt die Hochschulautonomie und gefährdet die Wissenschaftsfreiheit.


Diese Absagen reihen sich ein in eine Serie von Maßnahmen gegen Personen, die dokumentierte Gewalt und völkerrechtswidrige Kriegsführung in Palästina seitens der israelischen Regierung und deren Unterstützung durch Deutschland benennen und kritisieren. Debatten über die Gewaltrealität des Gazakriegs werden so gezielt behindert. Die grundgesetzlich verbriefte Wissenschaftsfreiheit (Art. 5, Abs. 3 Grundgesetz) wird so an Hochschulen politisch willkürlich eingeschränkt. Universitäten können ihre Rolle als Räume für offene Debatten auch über aktuelle und internationale Themen so nur eingeschränkt erfüllen. Wissenschaftler*innen in Deutschland und weltweit nehmen dies mit Erschrecken zur Kenntnis. Dieser Umgang mit politisch kritischen Positionen erzeugt ein Klima der Einschüchterung und befeuert an deutschen Hochschulen und selbst bei Medien eine Selbstzensur in der Berichterstattung, Programmgestaltung und akademischen Streit- und Debattenkultur.


Die Erklärung der Universitätsleitung, es habe ein “nicht kalkulierbares Sicherheitsrisiko" bestanden, ist weder begründet noch glaubwürdig: An anderen europäischen Universitäten konnte und kann Albanese ohne Zwischenfälle sprechen. Tatsächlich erfolgte die Absage erst nach öffentlichem Druck durch politische Akteure und Interessengruppen wie den israelischen Botschafter und die Deutsch-Israelische Gesellschaft, der in Presseartikeln aufgegriffen wurde, und daraufhin auch durch den Regierenden Bürgermeister und die Wissenschaftssenatorin. Beide diskreditierten Albanese und warfen ihr Antisemitismus vor. Dies stellt eine Art staatlich angeordnetes Verbot von mit Fakten belegter Kritik an Israels Kriegsführung dar und damit einen inakzeptablen Eingriff in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie die Hochschulautonomie.


Es ist beispiellos, dass sich ein amtierender Bürgermeister dafür einsetzt, einer UN-Sonderberichterstatterin den Auftritt bei einer öffentlichen Veranstaltung zu untersagen. Das ist eine Missachtung ihres Amtes und des sie entsendenden Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Gerade in Zeiten, in denen eine menschenrechtsbasierte internationale (Rechts)ordnung von vielen Seiten offen in Frage gestellt wird, und der Kampf für die Menschenrechte von allen Seiten unter Druck steht,  ist es unerlässlich, die Bedeutung von UN-Institutionen und ihren Expert*innen nicht weiter zu unterminieren, sondern sich klar zu ihnen zu bekennen und auf inhaltlichen Austausch statt Diskursvermeidung zu setzen. Über die wissenschaftlichen und politischen Positionen von Albanese und Weizman kann man streiten. Und gerade eine Hochschule ist ein Ort, an dem solche Differenzen im offenen Diskurs verhandelt werden sollten. Ängste und Bedenken müssen ernst genommen, Antisemitismus entschieden bekämpft werden. Dabei hilft aber weder ein verwässerter Antisemitismusbegriff noch die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs zur Absage einer Veranstaltung, die auch diese Themen hätte diskutieren können.


Wir fordern von Hochschulleitungen, dass sie dem Druck tendenziöser Presseberichterstattung und Politik standhalten und die Hochschulautonomie sowie die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ihrer Angehörigen verteidigen. Dazu gehört insbesondere der Schutz von Positionen, die mit der Regierungspolitik nicht im Einklang stehen. Von der Politik verlangen wir, dass sie die Hochschulautonomie respektiert, die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit schützt und dass sie sich konsequent für die Einhaltung des Völkerrechts einsetzt, auch gegenüber Israel. Institutionen, die in Deutschland von öffentlicher Förderung abhängen und daher für politisch motivierte Einflussnahme und Druck anfällig sind, müssen Räume für Kritik offenhalten dürfen. „Wo, wenn nicht an einer Universität, können kontroverse Debatten geführt, Standpunkte gehört und wissenschaftlich eingeordnet werden?“, fragte der Präsident der FU Berlin in seiner Presseerklärung zur Absage der Veranstaltung. Das fragen auch wir. Die Antwort muss heißen: Es liegt an allen Akteur*innen, diese demokratischen Errungenschaften zu verteidigen und sich für die Ausübung solcher grundgesetzlich garantierten Freiheiten einzusetzen.

“Where, if not at a university?”
Following pressure from politicians, the Free University of Berlin has cancelled the public, in-person lectures planned for 2/19/2025 by UN Special Rapporteur on the Palestinian territories Francesca Albanese and Israeli architect Prof. Eyal Weizman. A week earlier, the Ludwig Maximilian University of Munich cancelled a lecture by Francesca Albanese. Such actions confirm a worrying trend: political influence undermining university autonomy and endangering academic freedom.
These cancellations are part of a series of measures against people who name and criticize documented violence and warfare in violation of international law in Palestine by the Israeli government and its support by Germany. Debates about the violent reality of the Gaza war are thus deliberately hindered, and academic freedom, which is constitutionally protected (art. 5, para. 3 German Basic Law) is being arbitrarily, politically restricted at universities. The role of the university as a space for open debate about current and international themes is being curtailed—academics in Germany and around the world recognize this with dismay. The handling of politically critical positions creates a climate of self-censorship in reporting, program planning and academic debate culture.
The Free University leadership’s justification that there was an “incalculable security risk” is neither substantiated nor credible: at other European universities, Albanese was and is able to speak without incident. In fact, the cancellation only occurred after public pressure from political actors and interest groups, such as the Israeli Ambassador and the German-Israeli Society, which was reproduced in the press, and subsequently also by the Governing Mayor and the Senator for Higher Education of Berlin, who discredited Albanese and accused her of antisemitism. This amounts to a kind of state-imposed ban on factually supported criticism of Israel's warfare—an unacceptable interference into freedom of opinion, academic freedom and university autonomy.
It is also unprecedented for an incumbent mayor to campaign against a UN special rapporteur speaking publicly—this is an act of blatant disregard for her position and for the UN Human Rights Commission. Particularly in times when the human rights-based international order is being openly questioned from many sides and the fight for human rights is under pressure from all sides, it is imperative to not further undermine the significance of UN institutions and their experts, and instead to acknowledge them clearly and bank on exchange rather than the avoidance of discourse. Varying opinions on the positions of Albanese and Weizman exist. And universities in particular are places where differences in opinion should be negotiated in open discourse. Fears and concerns must be taken seriously, and antisemitism must be firmly opposed. However, diluting the concept of antisemitism is of no help here, nor is the instrumentalization of antisemitism accusations to cancel an event that could also have discussed these issues.

We demand that the leadership of universities resist pressure from biased press coverage and politicians and defend university autonomy as well as the freedom of opinion and academic freedom of their staff and students. This includes, in particular, protecting positions that are not aligned with government policy. We demand that politicians respect university autonomy, freedom of expression and academic freedom and consistently work to uphold international law, including vis-à-vis Israel. Institutions that depend on public funding and are thus vulnerable to politically motivated influence and pressure must be permitted to provide space for critical discussions. "Where, if not at a university, can controversial debates be held, viewpoints be heard and academically classified?" the president of the FU Berlin asked in his press statement on the cancellation of the event. We share this question. The response must be: It is the responsibility of all involved parties to defend these democratic achievements and to champion the exercise of such constitutionally guaranteed liberties.


Unterstützung  (17.2.2025):

Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft
Amnesty International Deutschland
Arts and Culture Alliance Berlin
Association of Palestinian and Jewish Academics
Association des Universitaires pour le Respect du Droit International en Palestine
Berlin für Alle
berufsverband bildender künstler*innen berlin
Bloque Latinoamericano Berlin
British Committee for the Universities of Palestine
bUm - Raum für solidarisches Miteinander Berlin
Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP)
ChanceMaker Foundation
Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Die Urbane. Berlin
Einstein Forum
ELSC - European Legal Support Center
EYE4PALESTINE
Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)
Forum Ziviler Friedensdienst e.V.
Frauen wagen Frieden
Gaza Komitee Berlin
IALANA – Deutsche Sektion
Internationale der Kriegsdienstgegner*innen
International Research Group on Authoritarianism & Counter-Strategies, Universität Potsdam
interventionistische Linke Berlin
IPPNW Deutschland
Israelisches Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD)
Israelis für Frieden
Jewish Solidarity Collective
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
medico international
Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss)
4neukoellnplusberlin
pax christi – Deutsche Sektion
pax christi – Kommission Nahost
Scientist Rebellion Germany
Science4Peace Forum
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)
Wissenschaftskolleg zu Berlin