Vorboten eines europäischen Frühlings

Gemeinsam haben wir uns in aller Frühe mit 6000 Menschen aus verschiedenen Ländern Europas in Frankfurt auf den Weg gemacht, um symbolisch den Gang der Dinge zu unterbrechen, den die herrschende Politik nicht müde wird, als alternativlos anzupreisen. Dazu haben wir die Eröffnung der neuen Europäischen Zentralbank blockiert und mithin ein Zeichen gesetzt, dass die sogenannte „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und IWF mit Widerstand zu rechnen hat – auch und gerade an jenem Tag, an dem sie sich ursprünglich gerne selbst groß gefeiert hätte.

Wir sagen: Es gibt nichts zu feiern an einer Politik, die die Kosten der kapitalistischen Krise den Unter- und Mittelklassen aufbürdet, die sie am allerwenigsten verursacht haben. In Griechenland zum Preis einer humanitären Katastrophe, in Deutschland zum Preis, dass Millionen Menschen in trister Armut und Perspektivlosigkeit feststecken. Es gibt nichts zu feiern an einer Politik, die angetreten ist, jeden alternativen Versuch der Krisenbewältigung im Keim zu ersticken. Außerdem sorgt diese Politik unter allen Umständen dafür, dass den riesigen, auf der Suche nach Profit um den Globus jagenden Massen an Kapital weiterhin jede Art von (Bewegungs-)Freiheit zukommt, welche gleichzeitig den Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa mit allen Mitteln vorenthalten wird.

Am Morgen des 18. März sind nicht nur die angekündigten Blockaden mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams errichtet worden, sondern von diesem Morgen sind auch Zeichen des Aufruhrs ausgegangen, wie sie in Deutschland in den letzten Jahren nicht mehr zu sehen waren. Die Wut, die für brennende Streifenwagen und Barrikaden und für Scherben gesorgt hat, kann man kritisieren oder ablehnen, sie ist und bleibt aber ein Produkt der Verhältnisse und wird sich nur mit ihrer Ursache zusammen aus der Welt schaffen lassen. Der teilweise unkontrollierte Ausbruch dieser Wut war von uns weder geplant noch waren die Aktionen durch unseren Aktionskonsens gedeckt. Einige Vorkommnisse werden von uns missbilligt und müssen intern aufgearbeitet werden. Trotzdem: Die Wut ist nicht zufällig gerade dort geteilt und verstanden worden, wo die Realität der Spardiktate von Tag zu Tag unerträglicher wird.

Der 18. März war auch ein guter Tag für die sozialen Bewegungen und die Linke in Europa, weil sich nach den Aktionen des Vormittages am Nachmittag ca. 25 000 Menschen zu einer kraftvollen und bunten Demonstration versammelt haben. Die kanadische Autorin und Globalisierungskritikerin Naomi Klein sagte zum Abschluss ihrer Kundgebungsrede: “Ich habe heute eine Botschaft speziell für die EZB: Ihr seid die eigentlichen Randalierer. Ihr zündet keine Autos an, Ihr steckt die Welt in Brand.” Sie hat damit, begleitet von tosendem Applaus, die Stimmung der 20.000 auf dem Römer und auf dem Paulsplatz in Worte gefasst, die sich nicht haben spalten oder abhalten lassen vom einsetzenden medialen Trommelfeuer, das die Proteste angesichts des Aufruhrs zu delegitimieren versuchte.

Man muss lange zurückgehen, um eine ähnliche große politische Demonstration an einem Wochentag zu erinnern, mit der Zehntausende ihr Nichteinverständnis mit den Verhältnissen im Gesamten zum Ausdruck gebracht haben. Deshalb wird der 18. März im kollektiven Gedächtnis abgelegt werden als ein wichtiger Schritt hin zum Aufbau einer europäischen Bewegung der Vielheit, die das Versprechen auf ein gutes Leben für alle in den Mittelpunkt stellt, die eine echte Demokratie von unten aufbaut und die auf dem Weg dahin dem zerstörerischen Konkurrenz- und Profitsystem ein Ende setzt.

In der Vorbereitung sowie am 18. März selbst haben wir viele Kontakte zu Menschen aus anderen politischen Spektren und Ländern geknüpft, die unter verschiedensten Bedingungen für solche grundlegenden Veränderungen kämpfen. Zwar richten sich die Proteste gegen die europäische Krisenpolitik der Troika und der EZB, doch die neoliberale Verwaltung der Krise hört nicht an den Außengrenzen der EU auf. Um diesen Umständen Rechnung zu tragen, ist es notwendig Aktionen und Organisierungen zu entwickeln, die über diesen Bezugsrahmen hinausgehen. Zukünftig werden wir diese Kontakte weiter pflegen und ausbauen, denn so verschieden auch die jeweilige Ausgangslage sein mag, so richten sich die politischen Kämpfe doch gegen dasselbe: gegen die neoliberale (Re-)Organisierung der Gesellschaft im Zuge der Krise. Eine Krise übrigens, die der kapitalistischen Wirtschaftsweise wesentlich ist. Daher werden die Menschen, die gemeinsam nach Frankfurt gereist sind, wieder zusammen kommen. Ein europäischer Frühling steht vielleicht noch nicht unmittelbar vor der Tür, aber die Risse im Eis der neoliberalen Tristesse sind sicht- und hörbar am Wachsen.

Blockupy-Plattform Tübingen-Reutlingen, 30.3.2015

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