Interview zum Zwischenstandspapier der IL

Beide Teil des Gesprächs von critica online mit Tomas und Christoph von der IL

Das Interview führte Alexander Hummel für critica online. Es erschien in zwei Teilen: "Wir werden uns nie auf eine gemeinsame Wahrheit einigen" am 10. März 2015 und "IL-Hochschulgruppen sind möglich" am 14. März 2015.

Neben dem „Um’s Ganze-Bündnis“ ist die Interventionistische Linke (IL) der derzeit größte linkradikale Organisierungsprozess in der Bundesrepublik. Mit der IL-Wien gibt es zudem eine erste IL-Gruppe außerhalb Deutschlands. Ende 2014 veröffentlichte die IL ein „Zwischenstandspapier“ mit dem sie den Stand des Organisierungsprozesses der über zwanzig IL-Gruppen festhielt. Critica online hat Christoph Kleine und Tomas, beide in der IL aktiv, zum Zwischenstandspapier interviewt.

Zu den interviewten Personen:

Tomas (24) wohnt und studiert in Berlin und ist bei Avanti Berlin organisiert. Durch den Fusionierungsprozess mit FelS zur IL-Berlin verschwimmen aber zunehmend die Grenzen seiner politischen Identität in Richtung IL-Berlin. Ansonsten ist er seit drei Jahren sowohl lokal als auch bundesweit im Blockupy-Prozess beteiligt.

Politisiert wurde er über die Lateinamerika-Solidarität. Der Wunsch bzw. die politische Notwendigkeit sich zu organisieren, sah er zwei Jahre später in Heiligendamm 2007 gegeben.

Christoph Kleine (48) ist aktiv in der IL Lübeck und war seit 1989 bei Avanti - Projekt undogmatische Linke beteiligt. Er war außerdem aktiv bei Block G8, Castor Schottern und ist es heute bei Blockupy.

critica: Ihr nennt euch Interventionistische Linke (IL). Was hat es mit dem Namen auf sich?

Tomas: Zugegebenermaßen ein holpriger und vielleicht sogar missverständlicher Name, grade im internationalen Kontext. Mir gefällt er trotzdem. Anstelle von Glaubenssätzen wie "revolutionär" oder "kommunistisch" beschreibt „Interventionistische Linke“, dass es uns um die politische Praxis geht: In aktuelle gesellschaftliche Konflikte intervenieren, sie versuchen zu radikalisieren und Boden wett zu machen im Kampf um linke Deutungshoheit in diesen Konflikten.

Christoph: Am Beginn der IL stand die Verabredung, nicht beim Kommentieren und Bemühen um die möglichst richtige Kritik stehen zu bleiben. Ebenso wollten wir ausbrechen aus den bekannten, oft selbstbezüglichen Formen der Szenepolitik, sondern radikale gesellschaftliche Linke werden. Eine radikale Linke, die aus ihrer Marginalisierung heraustritt, die eingreift, mitmischt und in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen präsent ist. All das verdichtet sich in dem Begriff der Intervention.

critica: Ihr habt vor einiger Zeit  ein längeres "Zwischenstandspapier" zu eurem Organisationsprozess veröffentlicht. Was bezweckt ihr damit?

Christoph: Das Zwischenstandspapier hat – wie die meisten programmatischen Texte – zwei Funktionen: Es dient der Verständigung nach innen und der Einladung  nach außen. Es ist entstanden aus einem langen und breit geführten Diskussionsprozess in den IL-Gruppen. Viele Debatten wurden geführt und unzählige Anmerkungen eingearbeitet. Das Zwischenstandspapier dokumentiert daher zunächst die gemeinsame Verabredung von mehreren hundert AktivistInnen aus über 20 Städten, im Organisierungsprozess einen Schritt weiter gehen zu wollen. Und es ist zugleich die Einladung an alle, die unsere Politik und unsere Praxis richtig finden, Teil der IL zu werden.

Tomas: Ich würde Christoph zustimmen, dass es beim Zwischenstandspapier zum
einen um eine Verständigung nach innen und zum anderen um eine Einladung
nach außen geht. Vor allem der Verständigungsprozess war für uns sehr
wichtig. Allerdings, und das ist meines Erachtens auch wichtig, beschreibt das Zwischenstandspapier eben erstmal einen Zwischenstand unseres Organisierungsprozesses. Als eine Organisierung, die gerade auch von ihrer Pluralität und ihren Widersprüchen lebt, werden wir uns nie schlussendlich auf eine gemeinsame Wahrheit einigen. Die IL war und ist immer mehr gewesen als der Konsens zwischen den in ihr organisierten Gruppen.

critica: Ihr sprecht in eurem Zwischenstandspapier vom bürgerlichen Staat, den ihr überwinden wollt. Das klingt so, als würdet ihr staatliche Strukturen nicht generell ablehnen. Welches Verhältnis hat die IL zum Staat?

Tomas: Auch wenn der bürgerliche Staat die politische Organisationsform des Kapitals ist und wir ihm deswegen antagonistisch gegenüber stehen, ist er jedoch – wie alle anderen Teile der Gesellschaft auch – ein Terrain sozialer und politischer Auseinandersetzungen, in dem zwischen den unterschiedlichen Klassen und gesellschaftlichen Akteuren um Hegemonie gerungen wird. Ich finde, das muss man ernst nehmen, wenn man die Gesellschaft verändern will. Daher sollte eine strategische Zusammenarbeit zwischen außerparlamentarischen Gruppen und Akteuren, die in den staatlichen Strukturen arbeiten, wie etwa linken Parteien, nicht grundsätzlich abgelehnt werden. In diesem Kontext könnten wir als gesellschaftliche Linke – zumindest ist das mein Eindruck – viel von der „neuen“ Art des Politikmachens der sozialen Bewegungen und Syriza lernen.

Christoph:  Revolutionäre Organisationen, die sich vor allem durch verbindliche ideologische Grundlagen anstatt durch gemeinsames Handeln definieren, sind ganz schön old-school. Deswegen gibt es in der IL auch kein einheitliches „Verhältnis zum Staat“, zumindest soweit damit Staatstheorien oder Vorstellungen von der Rolle des Staates im Übergang zum Kommunismus gemeint sind. Es ist uns nicht wichtig, ob sich Leute als AnarchistIn oder als KommunistIn verstehen, ob sie sich theoretisch stärker an Lenin, an Gramsci, an Hardt/Negri, an allen zugleich oder an niemanden von diesen anlehnen.

Wichtiger ist unser Verhältnis zum konkreten Staat: zur BRD, zur Europäischen Union, zu den Bullen, denen wir auf der Demo gegenüber stehen. Und das ist ganz klar antagonistisch. Wir setzen auf Selbstermächtigung und Selbstorganisation. Wenn wir bei Aktionen von massenhaftem Ungehorsam reden, meinen wir damit immer auch die Nicht-Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols.

critica: Für eine ausführliche Erörterung des Phänomens Podemos und Syriza ist hier wahrscheinlich nicht der Raum, aber was sollte die deutsche Linke von diesen beiden politischen Erfolgsprojekten lernen? Was ist diese "neue" Art des Politikmachens?

Christoph: Lernen können wir vor allem von den Bewegungen in Griechenland oder Spanien. Von ihrem Mut und ihrer Ausdauer, vor allem aber davon, dass sie den Elfenbeinturm linker  Selbstbezüglichkeit verlassen haben und tatsächlich Politik für und mit den Leuten machen. Dass sie also solidarische Strukturen in der Gesundheitsversorgung oder für die Abwehr von Zwangsräumungen aufbauen. Das lässt sich in Deutschland nicht 1:1 kopieren, aber von der Haltung der Genossinnen, politischen Kampf und alltägliches Leben nicht getrennt zu denken, können wir uns einiges abschauen.

Die Parteien, also Podemos und Syriza, und ihre Erfolge bei Wahlen sind wiederum nur Ergebnis und Ausdruck dieser Bewegungsdynamik. Diese finde ich so lange und insoweit faszinierend als sie nicht in reine Repräsentation zurückfallen. Die Haltung vieler WählerInnen hierzulande zur Linkspartei folgt ja genau einer solchen Repräsentationslogik: PolitikerInnen zu wählen, die das Richtige sagen oder tun sollen, anstatt selbst aktiv zu werden. Und das Handeln so mancher ParteivertreterInnen bestärkt die Leute noch in diesem fatalen Ansatz.

Tomas: Da werden wir uns in der IL wahrscheinlich nicht 100% einig aber für mich ist das genau der Punkt: Noch ist Syriza keine klassische Partei, die einer Repräsentationslogik folgt. Von Anfang an waren bzw. sind viele aus der Partei in den sozialen Bewegungen aktiv gewesen. Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt. Syriza hat die realen Kämpfe der Menschen und ihre Forderungen in den Staat getragen. Die sozialen Bewegungen und die Menschen haben erkannt, dass ihre Kämpfe auch auf der staatlich-institutionellen Ebene geführt werden müssen. Und eben von diesem Verständnis von Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen und Partei können wir lernen und sollte auch die Linkspartei lernen. Wir sollten dieses Feld politischer Auseinandersetzung mehr nutzen. Mit den fortschrittlichen Kräften enger zusammenarbeiten und sie zwingen, die Kämpfe von der Straße und unsere Themen in diese Strukturen zu tragen. Und bitte nicht falsch verstehen. Mir geht es nicht um Jobs, Funktionen und Ämter.

critica: Bisher ist eure Praxis komplett außerparlamentarisch. Trotzdem habt ihr gesagt, dass auch innerhalb des Staates um Hegemonie gerungen wird. Ist das kein Widerspruch? Warum folgt aus dieser Analyse nicht auch ein Agieren innerhalb des Staates?

Tomas: Das wird auch hoffentlich so bleiben!

Hier gibt es keinen Widerspruch. Uns geht es nicht um Hegemonie im Staat, sondern um gesellschaftliche Hegemonie, in der die Selbstermächtigung der Ausgebeuteten und Unterdrückten im Vordergrund steht. Wir befragen unsere Politik nach der Legitimität ihrer selbst und wollen uns nicht durch Sachzwänge wie z.B. die Frage nach der Legalität der eigenen Politik begrenzen lassen. In diesem Sinne ist unter den gegebenen Umständen im „Staat“, das heißt innerhalb der Logik parlamentarischer Demokratie und Repräsentation, nicht viel zu machen. Hinzu kommt, dass wir von der Notwendigkeit einer Vielfalt linker Strömungen, Gruppen und Organisationen ausgehen, die in strategischen Bündnissen die Kräfteverhältnisse verschieben und eine Basis dafür schaffen, erfolgreich die Machtfragen zu stellen. Schon allein aus den spezifischen Handlungslogiken, den kulturellen Traditionen und den Begrenzungen der Gruppen und Strömungen heraus, braucht es diese Vielfalt – oder nennen wir es Arbeitsteilung – um zu siegen.

Christoph: Es ist ja ein Irrtum, dass bei Wahlen und durch die Bildung parlamentarischer Mehrheiten tatsächliche Macht verteilt würde. Es ist insbesondere ein Irrtum, dass sich auf dieser Ebene antikapitalistische Gegenmacht bilden ließe. Diese Gegenmacht entsteht vielmehr außerhalb der Institutionen, in den Bewegungen, im Widerstand und auf der Straße. In den Parlamenten kann sich diese außerhalb entstandene Gegenmacht allenfalls widerspiegeln.

Der eigentliche Zweck der IL ist es, auf den revolutionären Bruch hinzuarbeiten. Und das meint nicht nur den Bruch mit dem Kapitalismus und mit allen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen, sondern natürlich auch den Bruch mit den dazugehörigen politischen Formen der bürgerlichen Demokratie. Den Risslinien nachzuspüren, die diesen Bruch schon heute andeuten, aktiv in und mit den realen gesellschaftlichen Bewegungen zu kämpfen, in ihnen für eine Radikalisierung einzutreten, das ist die Praxis und die Aufgabe der IL. Die Beteiligung am parlamentarischen Betrieb ist dafür nur hinderlich und wir überlassen sie gern der Linkspartei.

Teil 2:

critica: Ihr strebt an, eure Strukturen zu öffnen, andererseits habe ich auch von Aufnahmekriterien in eurem Zwischenstandspapier gelesen. Wie geht das zusammen?

Tomas: Die Aufnahmekriterien, die sich bisher in den unterschiedlichen lokalen IL- Gruppen mal mehr, mal weniger unterscheiden, stehen, finde ich, nicht im Gegensatz zu einer Öffnung der Strukturen. Die Kriterien sorgen für eine Transparenz und beschreiben eher die politische Haltung, die wir erwarten. Nämlich, dass politischer Aktivismus ein fester Bestandteil des Lebens ist, man mit Lust und Ernsthaftigkeit kämpft und die Bereitschaft hat, die eigene Praxis in den kollektiven Zusammenhang der IL zu stellen und gemeinsam strategisch zu bestimmen.

Ich glaube, dass unsere eigenen Strukturen diesem Anspruch, den ich grade skizziert habe, selber nicht in Gänze gerecht werden. Ich denke es gibt viele Menschen, die diesen Anspruch teilen, an den unterschiedlichsten Orten bereits interventionistische Politik betreiben und ein Interesse haben an der IL als Ort der kollektiven, strategischen Bestimmung ihrer Politik – dennoch finden sie keine Andockmöglichkeit. In diesem Sinne müssen wir unsere Strukturen öffnen. Also beispielsweise für GewerkschafterInnen, die fleißig interventionistische Politik betreiben, die aber keine Zeit haben, einmal pro Woche zum Gruppentreffen zu kommen, sich ein Extratreffen aufzubürden und noch zu einer Demo zu gehen und trotzdem eigentlich gerne in der IL wären. Wir haben dafür den Begriff der Basiseinheit entwickelt, der erstmal abstrakt eine Struktur beschreibt, die jenseits der klassisch linksradikalen Ortsgruppenmodelle funktioniert. Unser Zwischenstandspapier ist in diesem Sinne tatsächlich die Beschreibung eines "Zwischenstandes". Ich glaube, wir sind praktisch flexibel genug, auch auf Herausforderungen in dieser Hinsicht zu reagieren.

Christoph: Die IL ist eine Organisierung von AktivistInnen, keine Mitgliederorganisation, das macht zu einem guten Teil ihren Wert und ihre Attraktivität aus. In den Ortsgruppen und Basiseinheiten braucht das ein bestimmtes Maß an Verlässlichkeit, Sicherheit und Vertrauen. Aber für alle, die die Politik der IL richtig finden und ihren Aktivismus mit uns leben, reflektieren und bestimmen wollen, soll die Tür offen stehen. Da die IL mittlerweile so groß geworden ist, dass sich längst nicht mehr alle persönlich kennen, gibt es eben das Bemühen um gemeinsame Kriterien.

critica: Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass eine verdeckte Ermittlerin die Hamburger linke Szene über sechs Jahre ausgespäht hat. Auch der SDS wurde in der Vergangenheit bespitzelt. Wie geht ihr mit dem Widerspruch zwischen dem Anspruch von Transparenz und Offenheit einerseits und dem notwendigen Schutz der eigenen Organsiationsstrukturen vor staatlicher Repression andererseits um?

Christoph: Ja, das ist eine Gratwanderung. Wir sind uns darüber bewusst, dass die IL für den Inlandsgeheimdienst, für die Staatsschutzabteilungen der Polizei und andere Schnüffelbehörden interessant ist. Im Rahmen dessen, was möglich ist, versuchen wir uns gegen Ausspähung und Infiltration zu schützen. Auch das ist eine Dimension der besprochenen Aufnahmekriterien.

Aber wir machen offene Politik. Wir verstecken uns nicht und lassen intern keine Kultur des Misstrauens aufkommen, denn damit würden wir der Absicht staatlicher Überwachungs- und Repressionsorgane auf den Leim gehen. Die IL ist sichtbar und ansprechbar,  bei PressesprecherInnen auch mit Namen und Gesicht. Dieses öffentliche Auftreten sowie unsere Verankerung in Netzwerken und breiten Bündnissen, die weit über das linksradikale Milieu hinausgehen, tragen ihren Teil zum Schutz vor Repression bei.

critica: Ihr schreibt in eurem Papier, dass ihr 2015 einen großen Kongress zur Organisierungsfrage veranstalten wollt. Gibt es schon konkretere Pläne? Sollen dort nur IL-Personen referieren oder plant ihr eine breitere Diskussion?

Tomas: Die Ereignisse in Europa überschlagen sich, stellen uns vor große Herausforderungen und werden uns höchst wahrscheinlich noch einiges abverlangen im Jahr 2015. Wir stecken also grade alle Energie in Blockupy. Ob es dieses Jahr mit dem Kongress noch was wird – mal sehen. Spätestens im Frühjahr 2016! Dementsprechend sind unsere Pläne nicht konkreter geworden.
Uns geht es bei der Strategiekonferenz oder dem Organisierungskongress vor allem darum, unsere offenen Fragen mit anderen linken und linksradikalen Strömungen zu diskutieren. In welcher gesellschaftlichen Lage befinden wir uns? Welche Formen des Widerstands braucht es angesichts dessen? Wie müssen wir uns  auf bundesdeutscher und europäischer Ebene organisieren, um noch handlungsfähiger werden? Solch grundsätzlich Fragen lassen sich nicht allein in der Diskussion mit sich selbst beantworten.

Die Hoffnung, die wir mit diesem Kongress verbinden, ist, dass sich eine gemeinsame Vorstellung entwickelt, wo es mit der radikalen Linken in naher Zukunft hingehen soll und wir neue Impulse für die Praxis gewinnen.

critica: Ihr lasst in eurem Papier die Möglichkeit offen, dass sich IL-Basisgruppen nicht nur lokal, sondern auch anhand spezifischer Lebenszusammenhänge bilden. Dürfen wir bald mit IL-Hochschulgruppen rechnen?

Christoph: In mehreren Städten sind die jeweiligen IL-Gruppen auch an den Hochschulen aktiv, oft im Rahmen von unabhängigen linken Listen für die studentischen Vertretungen, in mehreren Städten gibt es auch gezielte Info-Veranstaltungen für ErstsemesterInnen. Gruppen, die sich explizit als Hochschulgruppen verstehen, gibt es zurzeit noch nicht und es existieren auch keine konkreten Planungen dafür. Ansonsten ist das Zwischenstandpapier aber richtig interpretiert: Hochschulgruppen als IL-Basiseinheiten sind möglich. Ob es sie geben wird, hängt vor allem davon ab, ob es Studierende gibt, die so ein Projekt anschieben wollen. Das funktioniert bei uns ja nicht Top-Down, sondern gerade umgekehrt.

Tomas: In Ergänzung zu Christoph kann ich sagen, dass in Berlin viele von uns IL-Studierenden in Fachschaften, unabhängigen linken Listen oder in Uni-Bündnissen aktiv sind. Im Moment sind wir aber noch nicht an einem Punkt, der über die gemeinsame politische Reflexion unserer Arbeit hinausgeht und als Ziel die Gründung einer IL-Hochschulgruppe hätte. Wir sind noch in einem Orientierungs- und Diskussionsprozess, in dem wir für uns relevante Fragen klären wollen, z.B. wie überhaupt ein Gruppenmodell aussehen kann, das der Unirealität angemessen ist? Wollen wir eine IL-Hochschulgruppe mit all den Kriterien, Ansprüchen und politischen Inhalten, die diese als explizite IL-Gruppe mit sich bringen würde oder braucht es offenere Strukturen, in denen IL-Studierende aber auch Nicht-IL-Studierende aktiv sind.

critica: Ihr strebt eine kritische Reflexion eurer individuellen jeweiligen Position an. Nach allem, was man so hört, ist die IL wie viele linksradikale Zusammenschlüsse, stark von AkademikerInnen geprägt. Gibt es eine Diskussion in der IL wie eure Struktur attraktiver für Personen ohne akademischen Hintergrund werden kann?

Christoph: Aus unterschiedlichen Bildungshintergründen resultiert tatsächlich ein ganz wesentlicher Ausschlussmechanismus, der in vielen linken Zusammenhängen und eben auch in der IL wirksam ist. Der erste Ort, an dem dieser Ausschluss bekämpft werden muss, ist in den Basisgruppen vor Ort bzw. bereits in deren Umfeld. Oft sind unsere Gruppen gar nicht attraktiv für Menschen ohne Abitur oder es besteht von vornherein nur Kontakt in eine studentisch-akademisch geprägte Szene. Das Problem ist also erkannt, aber nicht so einfach mit zwei oder drei Maßnahmen zu lösen.

Tomas: Die Frage danach, wie man eine linksradikale Organisierung attraktiver für Personen ohne akademischen Hintergrund machen kann, ist nicht nur eine Frage der kritischen Reflexion unserer individuellen jeweiligen Positionen, sondern ein nicht unerhebliches politisches Problem. Radikal linke Positionen sind doch im allgemeinen, um es mal vorsichtig auszudrücken, nicht gerade beliebt in der Gesellschaft. Die Frage ist also, wie wir radikal linke Positionen auch in andere gesellschaftliche Zusammenhänge hineintragen und unser subkulturelles Milieu hinter uns lassen können. Attraktiver werden wir und unsere Inhalte eher durch unsere Haltung und unser konkretes praktisches Handeln. Zum Beispiel durch Verlässlichkeit, Kooperationsbereitschaft und ohne das tatsächlich milieubedingte Revolutionsgeschwafel oder die heilige reine Kritik.

critica: Der Bildungsbegriff taucht in eurem Zwischenstandspapier nicht auf. Spielt Bildung für euch keine Rolle bei der Erreichung von Hegemonie?

Christoph: Der Anspruch des Zwischenstandspapiers war nie, unsere komplette Praxis zu beschreiben. Deswegen fehlen eine Menge Begriffe und Aussagen zu politischen Kämpfen, das gilt nicht nur für Bildung, sondern ebenso für den Antifaschismus.

Der Kampf um den Zugang, die Bedingungen und die Inhalte von Bildung hat natürlich eine große Bedeutung. Es geht dabei sowohl darum, das noch immer bestehende Bildungsprivileg der oberen Klassen und Schichten zu brechen, als auch für eine Demokratisierung an Schulen und Hochschulen zu streiten. Insbesondere sollte aber die Zurichtung der Bildung auf kapitalistische Verwertbarkeit, die sich nicht nur durch äußeren Zwang, sondern auch durch Selbstzurichtung der Lernenden vollzieht, im Zentrum unserer Kritik und unseres Widerstandes stehen.

Falls mit der Frage allerdings gemeint ist, ob den Kämpfen um eine demokratische und selbstbestimmte Bildung gegenüber anderen sozialen Kämpfen eine herausgehobene Rolle zukommt, so würde ich dies verneinen. Eine Hierarchisierung führt uns da nicht weiter, sondern wir müssen überall den Rissen und Brüchen im kapitalistischen Alltag nachspüren, diese vertiefen und verbreitern.

Tomas: Für uns ist Bildung Teil der politische Praxis und weniger ein Teil der theoretischen Analyse, die man im Zwischenstandspapier ausführen müsste. Dadurch, dass wir eine Organisierung von AktivistInnen sind, bleibt das, was man unter klassischer Bildungsarbeit versteht, also Wochenendseminare zu Gramsci, Veranstaltungsreihen zu Imperialismus, was auch immer, eher auf der Strecke. Aber ich finde es gibt gute und viele linke Bildungsangebote, die das kompensieren. Uns geht es vor allem um die kollektive Selbstermächtigung und Selbstbildung, also wenn Menschen sich zusammenschließen und anfangen gemeinsam zu diskutieren und Aktionen zu planen. Auch unsere Aktionen massenhaften zivilen Ungehorsams begreifen wir als Aktionen, in denen kollektive Lernprozesse, also Bildung, stattfindet. Ebenso haben wir gute Kontakte zu Jugend- und Hochschulgruppen und bieten interne Bildungsveranstaltungen an. Ich glaube, das ist es, was wir in Bezug auf Bildung tun können, um im Hier und Jetzt zumindest im Kleinen um Hegemonie zu ringen.

critica: Ihr begreift euch als internationalistische Organisation. Wie spiegelt sich das in eurer Praxis wider und wie wollt ihr diesen Anspruch umsetzen?

Christoph: Die Überwindung des Kapitalismus und eine umfassende gesellschaftliche Befreiung sind heute weniger denn je im nationalstaatlichen Rahmen denkbar. Internationalismus ist deswegen notwendig für linksradikale Politik – sowohl im Sinne einer Haltung oder eines Bewusstseins als auch im Sinne einer grenzüberschreitenden Praxis.

Gemeinsam mit dem Verband der Studierenden aus Kurdistan YXK haben wir eine Spendenkampagne für die Selbstverteidigungskräfte in Rojava gestartet, bei der schon über 100.000 Euro zusammen gekommen sind. Im Jahr 2014 gab es eine Rundreise von AktivistInnen aus Kolumbien, bei der in mehreren Städten von der IL Veranstaltungen organisiert worden sind. Mit unseren GenossInnen in Europa, insbesondere in Italien,  gehen wir inzwischen deutlich über den Austausch und die gegenseitige Unterstützung des klassischen Internationalismus hinaus: Unter dem Titel der „Commune of Europe“ entwickeln wir eine gemeinsame strategische Bestimmung und Praxis, um Gegenmacht zum Europa des Kapitals und der Austerität aufzubauen.

Tomas: Unser Internationalismus spiegelt sich in der ganzen Bandbreite unserer politischen Traditionen wieder. Kontakte nach Lateinamerika sind genauso vorhanden wie nach Asien. Unsere Spendenkampagne für Rojava und die Zusammenarbeit mit kurdischen GenossInnen ist ebenso Teil unserer Praxis, wie die Beteiligung und Unterstützung der Refugeekämpfe. Für mich ist Blockupy tatsächlich gerade eines der spannendsten Projekte aus internationalistischer Perspektive. In diesem Prozess haben wir vor allem mit italienischen GenossInnen begonnen, unsere Praxis und unsere strategischen Diskussionen direkt gemeinsam zu entwickeln, also nicht mehr nur internationalistisch gedacht, sondern bereits unsere Diskussionen direkt und unvermittelt in einem transnationalen Rahmen begonnen. Internationalismus ist eine Einstellung im Handeln und ein Konzept, wie man die Welt versteht. Er zieht sich daher in all seinen Facetten, Themenfeldern, politischen und geographischen Ebenen durch unsere gesamte politische Praxis hindurch – offensichtlich bei Blockupy, versteckter bei den Zwangsräumungsverhindern-Bündnissen und ihrem Bezug auf die spanischen Bewegungen aber auch auf unserem Strategiekongress, anhand unserer Fragestellungen und der internationalen Gäste.

critica: Mit Castor Schottern, Blockupy und Dresden Nazifrei habt ihr bereits eine zentrale Rolle in Protestbewegungen gespielt. Was werden eure nächsten großen Projekte sein?

Christoph: Mit den Blockupy-Aktionen am 18. März wird die Bewegung gegen das europäische Krisenregime mit Sicherheit nicht beendet sein. Mit der viermonatigen Verlängerung des Kreditprogramms für Griechenland sind die nächsten Deadlines der maßgeblich von Deutschland ausgehenden Erpressungs- und Verarmungspolitik bereits vorprogrammiert.

Insgesamt versuchen wir dem Eindruck entgegen zu wirken, wir würden uns nur von einer Großkampagne zur nächsten hangeln. Spätestens im Frühjahr soll es den großen Strategiekongress geben, um nicht in der Atemlosigkeit der Mobilisierungen die Orientierung zu verlieren.
Im Zwischenstandspapier ist zudem der Anspruch formuliert, uns noch stärker lokal zu verankern und auch dort eine erkennbare, interventionistische Politik zu machen. Dazu gehören Aktivitäten im Antirassismus und Antifaschismus ebenso, wie Initiativen, die sich um Care-Arbeit und Geschlechterverhältnisse drehen. Über den Internationalismus haben wir bereits gesprochen, Recht-Auf-Stadt sowie Klimapolitik kommen noch dazu. Wir wollen uns ganz bewusst breit aufstellen und viele Möglichkeiten zum Kontakt und zum Mitmachen bieten. Die nächste Großkampagne wird und muss es natürlich dennoch geben, aber da ist noch nichts spruchreif.

Tomas: Dem gesagten kann ich mich nur anschließen und noch mal wiederholen was weiter oben schon gesagt wurde: Auch die „Europäische Kommune“ und die europaweite Vernetzung wird weiterhin ein „großes Projekt“ bleiben. Solange der Angriff der Herrschenden Europas auf die Menschen weitergeht – die sogenannte Krise –, solange lebt auch die Kommune. Deshalb hoffen wir, viele von euch am 18. März in Frankfurt zu sehen.