Internationaler Safe Abortion Day - Weg mit

Am 28. September ist der International Safe Abortion Day – und weder in Deutschland, Europa oder sonst wo auf der Welt sind sichere Schwangerschaftsabbrüche gewährleistet.
In Nürnberg sind zum Safe Abortion Day Kleiderbügel an verschiedenen Stellen aufgetaucht

‚Aber Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland doch erlaubt‘ kann nur eine Aussage neoliberaler Menschen und Politiker*innen sein, die einerseits das Erhalten des Status quo zu rechtfertigen versucht und gleichzeitig die generelle Lage von Frauen(linta*) in gesellschaftlichen Zusammenhängen verkennt.
Ja, Abbrüche sind in Deutschland medizinisch einwandfrei durchführbar. Die Frage ist aber vielmehr die, warum es dann immer noch einen Paragrafen im Strafgesetzbuch (StGB) braucht? Warum werden Ärzt*innen die Abbrüche durchführen immer noch dafür gerichtlich verurteilt, dass sie die unterschiedlichen medizinischen Methoden nennen? Warum sind Schwangerschaftsabbrüche nicht in Krankenversicherungen mitinbegriffen, sondern müssen komplett selbst finanziert werden?
Das Strafgesetzbuch (StGB) befasst sich mit Schwangerschaftsabbrüchen in den Paragrafen §§ 218 und 219 – direkt nach § 211 Mord, § 212 Totschlag, § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags, (§§ 214 und 215 sind weggefallen), § 216 Tötung auf Verlangen und § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. §218 Absatz 1 Satz 1 StGB besagt: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (218 Abs. 1 Satz 1 StGB). Sowohl die Stelle im StGB, als auch die Art der Formulierung unter Androhung von Strafe impliziert, dass ein Schwangerschaftsabbruch eine generell falsche Handlung sei. Damit scheint sowohl das juristische als auch das moralische Urteil bereits gefällt und Frauen(linta*), die einen Abbruch machen wollen, werden kriminalisiert.
Doch Abbrüche sind in Deutschland straffrei – unter Einhaltung bestimmter Bedingungen (§218a), die sicher stellen sollen, dass die Entscheidung auch wohl überlegt gefällt würde. Problematisch an der Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen ist jedoch, dass eine Straffreiheit letztlich an der juristischen Bewertung des Tatbestandes nichts ändert – sondern vielmehr ein Trugbild für die Öffentlichkeit darstellt, die darin eine vermeintlich legale Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch erkennt. Die moralische Verurteilung bleibt allerdings bestehen. Denn mit den Bedingungen für eine Straffreiheit schwingt auch ein Bild von Frauen(linta*) mit, die im Umstand einer ungewollten Schwangerschaft nicht selbstbestimmt eine rationale und verantwortungsbewusste Entscheidung fällen könnten und das auch nicht sollten.
Besonders paradox ist §219a Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, welcher es Ärzt*innen untersagt, öffentlich bekannt zu machen, ob sie einen medikamentösen oder chirurgischen Abbruch durchführen. Dabei geht es der Gesetzgebung nicht um ein bildliches, klassisches Verständnis von Werbung, sondern allein um die Nennung und Beschreibung der Methoden in Schriftform. Zum einen wird hier die Einschränkung des Informationsrechts und zum anderen wieder einmal die Unterstellung deutlich, als ungewollt schwangere Person keine selbstständig vernünftige Entscheidung treffen zu können. Mit dem Verbot dieser Nennung von Informationen wird ein Bild von Frauen(linta*) gezeichnet, die sich aus einer spontanen Impulshandlung schlagartig für einen Abbruch entscheiden – als würden die Beschreibungen bspw. wie lange der Eingriff dauert oder was für Nebenwirkungen auftreten können sich traumhaft anhören. (siehe auch: Fall Kristina Hänel)
Äußerst beunruhigend ist auch, dass seit Jahren die Zahl der Ärzt*innen und Kliniken die Abbrüche durchführen sinkt – „zwischen 2003 und 2018 um rund 40 Prozent.“ (Tagesschau.de: 2019) Weniger Ärzt*innen, die Abbrüche vornehmen bedeutet auch, dass Abbrüche weniger sicher vorgenommen werden können. Es wäre daher sehr zu begrüßen, künftig nur noch Ärzt*innen einzustellen, die auch Abbrüche vornehmen können und wollen, anstatt weiter als Ärzt*in Abbrüche aufgrund moralisch-persönlicher Gewissensentscheidungen ablehnen zu können. Das würde allerdings auch voraussetzen, dass Schwangerschaftsabbrüche ein verpflichtender Lehrinhalt im Medizinstudium wäre – was bis heute nicht der Fall ist. (siehe auch: Medical Students for Choice)
Fakt ist, solange Menschen heterosexuellen, penetrativen Sex haben, können auch (un)gewollte Schwangerschaften entstehen und daher muss die Möglichkeit sicherer Abbrüche überall gewährleistet sein. Denn auch wenn die Pille eines der sichersten Verhütungsmittel ist – einen 100%igen Schutz kann weder sie, noch ein anderes Verhütungsmittel bieten. Enthaltsamkeit ist ebenfalls kein Garant dafür, eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern, da Frauen(linta*) auch ohne deren (un-)bewusstes Handeln durch eine Vergewaltigung schwanger werden können. Daher darf die Frage nach der Verantwortung für Verhütung nicht erst bei einer Schwangerschaft beginnen, sondern generell bei der Verantwortung für Verhütung, Konsens und Struktur. Der Diskurs um Schwangerschaftsabbrüche beginnt also eigentlich viel früher als er in der Regel ausagiert wird. Die Diskriminierung von Frauen(linta*) durch die Rückbindung an ihren Körper beginnt nicht erst mit einer Empfängnis, sondern bereits mit deren Verhinderung. Ihr kommt in der Regel die Verantwortung zu, die Empfängnis zu verhindern, bzw. sie trägt im gesellschaftlichen Diskurs die Schuld, wenn die Empfängnisverhütung fehlschlägt. Diese Sicht ist nur konsequent, bedenkt man die Bindung des ‚Weiblichen‘ an Körperlichkeit – ihr*ihm scheint diese Aufgabe ganz natürlich zuzufallen.
Es ist wichtig, hier ‚für die Frau(linta*)‘ zu betonen, da es sich um ihren*seinen Körper handelt. Männer sind bei einer (möglichen) Schwangerschaft nicht unmittelbar betroffen, da es nicht um ihre eigenen Körper geht. Ihre Situation unterscheidet sich von der der Frau(linta*) dahingehend, dass sie sich jederzeit aus der Schwangerschaft zurückziehen können und schlimmstenfalls eine finanzielle Belastung befürchten müssen. Eine direkte Verantwortung für die Schwangerschaft ist für den Mann also vermeidbar. Da Verhütung und Verantwortung in Notsituationen wie der einer ungewollten Schwangerschaft demzufolge nach wie vor ‚Frauensache‘ zu sein scheinen, sollten Frauen(linta*) dann nicht auch selbst über ihre Körper entscheiden dürfen?
Nicht zuletzt ist die Frage nach einem Abbruch auch immer eine Kosten- und damit Klassenfrage. Wenn ausreichend finanzielle Mittel und/oder Rücklagen vorhanden sind, spielen „200 bis 570€“ ungeplante Ausgaben (pro familia Bundesverband: 2020) keine Rolle und schaffen daher auch die Möglichkeit für einen Schwangerschaftsabbruch in ein anderes Land mit legalen Regelungen zu reisen zu können (vgl. Zeisler: 2017, S. 211). Damit ist die Handlungsfähigkeit und daher die Selbstbestimmung in auf Ungleichheit aufbauenden Wirtschaftssystemen, wie dem Kapitalismus, immer auch eine Klassenfrage.
Die Entscheidung für einen Abbruch ist zwar stets eine private und individuelle – der erschwerte Zugang zu Informationen und medizinischer Hilfe ist jedoch ganz klar ein strukturelles und damit politisches Problem. Sichere, legale Abbrüche würden einen Schritt zur Befreiung der Frau(linta*) bedeuten. Das ist jedoch nicht von kapitalistischen Systemen gewollt, da diese auf die kostenfreie Care-Arbeit zur Reproduktion der Arbeiter*innenschaft angewiesen sind. Daher ist der Zugang zu sicheren Abbrüchen auch ein Mittel dazu, bestehende Systeme aufrecht zu erhalten und Frauen(linta*) in konservativen Rollenbildern festzuhalten und/oder zurückzdrängen.
„Wenn wir Gender als Disziplinierungsinstrument und Ausbeutungsmittel hinter uns lassen wollen, müssen wir die Kontrolle über unser Leben und unsere Reproduktion wiedererlangen.“ (Federici: 2020, S. 58–59) Federicis Zitat kann auch folgendermaßen aufgefasst werden: Die Kontrolle über das eigene Leben beginnt mit der Kontrolle über den eigenen Körper. Solange §§ 218 und 219 nicht ersatzlos gestrichen werden; solange es zu wenig Ärzt*innen gibt, die Abbrüche durchführen (können); solange Abbrüche Geld kosten und als ‚Frauensache‘ gesehen werden – haben Frauen(linta*) nicht die Kontrolle über ihre eigenen Körper.
Der Safe Abortion Day ist auch ein wichtiger Tag zur Sichtbarmachung – für die Selbstbestimmung und Befreiung der Frau(linta*).
Denn Frauen(linta*) die kämpfen, sind Frauen(linta*) die leben! Lasst uns das System aus den Angeln heben!
My body – my choice!

 

Erklärung zur Schreibweise:
Im Diskurs um Schwangerschaftsabbrüche wird meist nur von Frauen gesprochen, doch die Kategorie Frau wird erst mit Rollenbildern und -erwartungen hergestellt. Judith Butler forschte schon in den 1990er Jahren dazu, dass sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht gesellschaftlich produziert und reproduziert wird (vgl. Butler: 1991). Potenziell schwanger werden können Menschen mit den dafür notwendigen Organen – also nicht nur zwangsläufig Frauen. Doch nicht alle Frauen haben einen Uterus und sind damit gebärfähig – und nicht alle Menschen mit Uterus sind Frauen, sondern ordnen sich einer anderen Geschlechtsidentität zu. Damit stellt sich die Frage nach der Bezeichnung und einem Überbegriff für diejenigen Menschen, die der Diskurs um Schwangerschaftsabbrüche direkt körperlich betrifft. Der Begriff ‚Frau‘ steht jedoch meist für eine bestimmte Frau: „weiß, heterosexuell, ohne Migrationshintergrund, cis, bürgerlich. […] Eine Schwarze, lesbische Frau wird nicht nur als PoC, als Frau oder als Lesbe diskriminiert, sondern spezifisch als Schwarze Frau, oder als Lesbe of Color.“ (Klugbauer: 2018, S. 9) Auch um aus dem Fehler der akademisch weißen Frauenbewegung zu lernen, kann daher die Gruppe der betroffenen Menschen unter dem Begriff ‚Flinta*‘gefasst werden. Flinta*steht für Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Transgender, Agender und auch für alle weiteren nicht cis-männlichen Geschlechtsidentitäten, die sich unter dem Gendersternchen wiederfinden können. Lesben sind Frauen und werden auch oft als solche gelesen. Inter, Nichtbinäre, Transgender oder Agender Personen werden jedoch oft misgenderd oder wederweiblich noch männlich gelesen. Aufgrund bestehender gesellschaftlicher Körpernormen und einer binären Zuordnung, besteht eine Diskriminierung aller vom cis-männlich abweichenden Körpern und damit aller Flinta*. Kann beispielweise eine Zuordnung in entweder weiblich oder männlich nicht erfolgen, entsteht meist eine Irritation, worauf eine unschöne Konfrontation für und/oder mit der betroffenen Person resultieren kann. Ein sich Entziehen aus dieser Kategorie scheint in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht möglich. Ersichtlich wird damit die Konfrontation aller mit der Kategorie Geschlecht, da wir diese Zuordnung tagtäglich re- und produzieren. In Bezug auf Mutterschaft werden weiblich gelesene Menschen, die Frauen sein können, aber nicht zwangsläufig sind, meist ungefragt darauf angesprochen, ob, wann und wie viele Kinder sie*er* habe möchte – eine Frage, die Männern vergleichsweise selten gestellt wird. Heute nur von Frauen zu sprechen wäre gleichermaßen falsch und geschichtsverfälschend wie an historische Beschreibungen von Frauen ein ‚linta*‘ hinzuzufügen. Da aber im(historischen) Diskurs meist von Frauen gesprochen wird, hat sich für diese Arbeit die Schreibweise‚ Frauen(linta*)‘ als praktikabel erwiesen. Es ist ein Versuch, sowohl den historischen als auch aktuell immer noch binären Sprachgebrauch des Diskurses sichtbar zu machen und gleichzeitig alle potenziell direktkörperlich von einer(ungewollten) Schwangerschaft betroffenen Menschen miteinzubeziehen.

Quellen:
• Butler, J. (1991). Das Unbehagen der Geschlechter. Gender studies: 1722 = N.F., 722. Suhrkamp.
• Federici, S. (2020). Jenseits unserer Haut: Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus (1. Auflage). Unrast Verlag.
• Klugbauer, C. (2018). Zur Krisis der Kategorie ›Frauen‹. In D. Meier-Arendt, C. Schmitt, J. Heß, J. Schäfer & M [. Beisswanger (Hrsg.), Geschlecht, Differenz und Identität (S. 6–13). TU PRINTS.
• pro familia Bundesverband. (2020). Schwangerschaftsabbruch: Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Online abrufbar unter: https://www.profamilia.de/themen/schwangerschaftsabbruch; zuletzt aufgerufen am: 27.09.2021
• Tagesschau (2019): Immer weniger Abtreibungsärzte. Online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/kontraste-abtreibung-103.html; zuletzt aufgerufen am: 27.09.2021
• Zeisler, A. (2017). Wir waren doch mal Feministinnen: Vom Riot Grrrl zum Covergirl: Der Ausverkauf einer politischen Bewegung (1. Auflage). Rotpunktverlag.

Siehe auch:
• msfcberlin.com
• kristinahaenel.de/page_kristina_haenel.php

weitere Links, online-Ausstellungen & Buchempfehlungen:
• Hänel, Kristina (2019): Das Politische ist Persönlich: Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“. Argument Verlag: Hamburg.
• Krolzik-Matthei, K. (2015). § 218: Feministische Perspektiven auf die Abtreibungsdebatte in Deutschland (1. Aufl.). Unrast transparent Geschlechterdschungel: Bd. 5. Unrast.
• mariaundderparagraph.de
• mehralsdudenkst.org
• muvs.org
• sexuelle-selbstbestimmung.de
• wegmit218.de
• womenonwaves.org
• Womenonweb.org