Angefangen und mittendrin

Fünf Kommentare zum Zwischenstandspapier der Interventionistischen Linken

Dokumentiert aus der Novemberausgabe 2014 der ak - analyse & kritik:

Auf acht Seiten und in 22 Punkten gab die Interventionistische Linke (IL) Anfang November 2014 Auskunft über den Stand ihres Organisierungsprozsses. Das sogenannte Zwischenstandspapier (1) ist nicht nur ein »Dokument der Selbstverständigung«, sondern soll auch eine Einladung zur Debatte sein, wie die IL schreibt. Ganz in diesem Sinne hat die ak-Redaktion fünf Stimmen für eine erste kurze Bewertung eingeholt. Die Ergebnisse fallen recht unterschiedlich aus und machen deutlich, dass es offensichtlich noch Redebedarf gibt.​

Das erledigt der Prozess
​»Wie viele ILer braucht man, um eine Glühbirne auszuwechseln? Keine - das erledigt der Prozess schon alleine«. Dieser launige Witz über die konzeptionelle Offenheit der IL macht sowohl ihre besondere Qualität wie auch ihr aktuelles Problem deutlich. Ihre Qualität wird darin klar, weil die IL zu Recht behaupten kann, dass sie bisher »keine Säulenheiligen hat und keiner abgrenzbaren theoretischen Lehre folgt«. Das ist mehr als eine pragmatische Begründung der »strategischen Bündnisorientierung«. Denn dahinter steht eine Einsicht in die veränderten Bedingungen linksradikaler Politik im neoliberalen Kapitalismus, in dem die fordistischen Gewissheiten und Alleinvertretungsansprüche nicht mehr ziehen. Deswegen ist »dauerhaft von einer Vielfalt linker Strömungen« auszugehen. Auf dieser Erkenntnis basieren die Kampagnenfähigkeit und die Verantwortung, die der IL inzwischen bundesweit als »verbindender Partei« der außerparlamentarischen Linken zukommt. Zugleich zeigt sich aber das Problem der IL, weil diese Funktion in Form wie Inhalt nicht Ergebnis einer geteilten Position, sondern häufig eher eines Kompromisses zu sein scheint. Ein Kompromiss, der bald durch falsche Vereindeutigungen abgelöst werden könnte. Anzeichen dafür ist, dass der eher traditionalistische Teil der IL gerne inhaltliche und organisatorische Klarheit herstellen würde, die aber nur auf Kosten der Offenheit gegenüber einer postfordistisch zerklüfteten Gesellschaft zu haben ist. Diese Gefahr zeigt sich auch in einem bürokratisch anmutenden Verständnis von Organisation, das zwar auf Transparenz und Mitbestimmung zielt, sich aber insgesamt ein wenig zu ernst zu nehmen scheint - anstatt die beschriebenen Ungleichzeitigkeiten und Unklarheiten auch organisatorisch abzubilden. Etwas mehr ironische Distanz gegenüber dem eigenen Mopsorden könnte da nicht schaden, es gibt ja noch etwas zwischen »Identitätspolitik« und »zynischer Kritik«. Doch da keiner alles kann, gilt: Gäbe es ein Projekt wie die IL nicht, man müsste es gründen. Dass man das nicht muss, ist gut - aber es wäre schön, wenn das auch so bleibt.
Jan Schlemermeyer ist aktiv bei Kritik & Praxis Frankfurt/UmsGanze.

Avanti! Kein Nachruf!

Man schreibt keinen Nachruf, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht. Und ob es sich beim sogenannten Aufheben von Avanti in die IL um einen Anfang oder ein Ende handelt, ist überhaupt nicht sicher. Das Zwischenstandspapier der IL macht mich allerdings, bei allen guten Wünschen, eher skeptisch. Vor allem überzeugt mich die am Ende des Papiers gepflegte Hoffnung nicht, durch eine Fusion stärker zu werden. Viel zu sehr scheint mir genau dieser Schritt letztlich nur auf eine Stärkung der Kampagnenfähigkeit und der bundesweiten Struktur hinauszulaufen. Sicher, die IL hat sich in dieser Hinsicht Verdienste erworben und ist insofern ein wichtiger Faktor innerhalb der Linken. Aber gerade etwa die erfolgreichen Versuche, für ein paar Stunden das europäische Bankenzentrum lahmzulegen, zeigen meines Erachtens ein ganz anderes Problem auf. Wie verbinden sich Massenblockade und Alltagsprotest? Was machen wir nach dem Feiertag, am 2. Mai? Sind wir da immer noch - um zwei der am häufigsten benutzten Wörter des Textes zu zitieren - »sichtbar« und »verabredet«? Novemberstimmung ruft bei mir vor allem hervor, wie das Subjekt gezeichnet wird, das diese Fragen beantworten soll. Es ist die Aktivistin/der Aktivist, die/der von der Revolution überzeugt ist, aber zur Minderheit gehört, während die Mehrheit auf die Regierenden hofft. Aber abgesehen davon, dass eine ernsthafte Analyse dieser vielleicht richtigen, vielleicht voreiligen Behauptung ausbleibt: Wer sind denn wir, dass wir außerhalb des Alltags in die Gesellschaft sprechen? Gehen wir nicht in die Schule, aufs Amt, auf die Arbeit? Und wenn soziale Kämpfe stattfinden, schweben wir dann wie die Engel darüber, um den Kämpfenden die richtige Lösung einzuflüstern und »ihre Kämpfe zu vernetzen«? Befremdlich ist auch - und vielleicht gibt es da einen Zusammenhang - die fehlende kritische Würdigung historischer »linker« autoritärer Politikformen. Insgesamt ist das Papier eine Enttäuschung: Ich hoffe, es ist nicht das letzte Wort.
Peter Birke ist Historiker.

Intervention und Horizont
Intervention in Mobilisierungen und - breiter verstanden - herrschaftskritische Kämpfe. Einverstanden. Ist aber mehr möglich? Ist nicht ein Modus der Intervention, sich über das eigene Spektrum hinaus an der Diskussion um Alternativen zu beteiligen, die oft notwendig singuläre Widerstände mit in einen umfassenderen Horizont zu stellen? Die entsprechenden Teile (Punkte 8 und 9) wirken formelhaft. »Bruch, Aufstand, Teil- und Zwischenziele« - was heißt das? Alternativen meine ich nicht als Blaupause oder Masterplan, aber als Aufspüren und Unterstützung von alternativen Ansätzen, Erfahrungen, die ja oft genug aus Widerständen heraus, aus anderen Begierden entstehen. Damit verbunden der Versuch, eben einen umfassenderen Horizont oder konkrete Utopien politisch zu skizzieren. Schwierig, klar, aber soll es deshalb als Verständigungsprozess für eine »IL im Aufbruch« unterbleiben? Diskussion von Alternativen ist Teil davon, dass »die immer nur relative Stabilität der herrschenden Verhältnisse aufbricht« (Punkt 3) - doch sie gehört in vielen Fällen radikalisiert und mit Organisierungsfragen versehen. Eine zweite und kurze Frage: Klar, die IL will nicht Teil des bürgerlichen Staatsapparates werden. Warum aber nicht GenossInnen ermuntern, gegebenenfalls in reflektierter und radikal-linker Position darin zu agieren? Was heißt radikal emanzipatorische Politik in solch einem System? Was sind Handlungsspielräume; inwieweit sind verschiedene Formen der Mobilisierung möglich; was wären strategische und Aktionsbündnisse? Zum Schluss: Mir liegt fern, der IL noch einen Punkt auf die Agenda zu setzen. Aber die Dethematisierung sozial-ökologischer Dimensionen von Herrschaft, Konflikten und Kämpfen fällt auf. Emanzipation kommt heute nicht an sozial-ökologischen Fragen und ihrer radikalen Thematisierung durch Bewegungen und andere kritische AkteurInnen vorbei. Antagonistische Interventionen ins Handgemenge sind hier genauso wichtig.
Ulrich Brand lehrt an der Universität Wien.

Gruß aus der vierten Phase

Ein individuelles Statement zu einem Papier abzugeben, das nicht nur dem Anspruch nach, sondern auch real aus einem kollektiven Prozess heraus entstanden ist, verbindet sich mit einem gewissen Unbehagen. Schließlich zeigt sich schon in der Anfrage an Einzelpersonen die Annahme, dass diejenigen, die nicht in Organisationen, sondern in offenen Netzwerken unterwegs sind, nur als Individuen angesprochen werden können. Der politische Alltag linker AktivistInnen ist heute nicht mehr nur von Mitgliedschaften geprägt, von Gruppen und Organisationen, denen man beitritt und aus denen auch ausgetreten werden kann. Dies erfordert eine Reflexion, die in dem Zwischenstandspapier der IL zwar begonnen, aber nicht fortgeführt wird. Die Suche nach dem großen Ganzen (»das Ganze der Kämpfe« in 1) und das Festhalten an Begriffen, mit denen sich vielleicht doch alles erklären lässt und die selbst unerklärt bleiben, da sie dringend aktualisiert werden müssten (»Klassenkampf«, »Imperialismus« in 2), durchziehen das Papier. Natürlich zeigt dies auch, dass es notwendig ist, sich in konkreten Kämpfen auf Schlüsselbegriffe festzulegen. Diese in einer intensiveren inhaltlichen Diskussion, die nicht handlungsunfähig machen muss, zu schärfen, würde die Linke stärken, und sie sollte hier keine Angst vor akademischem oder universitärem Dünkel haben, denn was soll dieser ihr eigentlich anhaben? Der letzte Teil des Papiers umschifft das eigentliche Problem, das die Linke heute hat: nicht, wie sie sich einen und organisieren (7, 11), sondern wie sie dann gerade in ihrer Unorganisiertheit Stärke zeigen kann. »Aufnahmekriterien« (19), »Basiseinheiten« (20), »Mitgliedschaften« (21) - auch das vermute ich eher auf dem Weg in die Mottenkiste. Es ist eigentlich, aus der Sicht einer BUKO-Aktiven, die in ihrem Netz gerade den Zug zum Aktivismus vermisst, die Stärke der IL, mit ihrer Orientierung auf reale Kämpfe Organisierung in politische Aktion und nicht in eine Organisation münden zu lassen. Hoffentlich bleibt es dabei.
Mickie R. Schleicher ist aktiv u.a. in der BUKO.

Das meint ihr doch jetzt nicht ernst - oder?
Wir brauchen eine IL, aber wir brauchen keine IL mit einer attac-Organisationsform oder als Partei. Wir brauchen eine IL, weil in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen sowohl Radikalität als auch die konsequente Verbindung von Aktion mit zivilem Ungehorsam - zumindest in Deutschland - reichlich unterentwickelt sind. In dieser Richtung der Radikalisierung arbeiten wir vertrauensvoll und verlässlich z.B. im Blockupybündnis zusammen. Hier - und nicht nur hier - ist die IL wichtig und wird auch in ihrer treibenden Rolle wahrgenommen. Deswegen bleibt der Drang, stärker als organisierter Akteur wahrgenommen zu werden, unverständlich. Außerdem ist eine solche Motivation für stärkere Strukturierung und verbindlichere Organisation wohl kaum ausreichend. Das ist leider nicht das einzige Unverständliche am Zwischenstandspapier. Sätze, denen zugestimmt werden kann, wechseln sich ab mit Sätzen, die nur Kopfschütteln bzw. Widerspruch hervorrufen. Man könnte auch sagen: Wo sind denn Analyse und Klassenstandpunkt? Ohne diese können die AutorInnen auch nicht verstehen und erklären, warum, wo auch immer, das eine klappt, stecken bleibt oder schiefläuft. Ich hoffe, dass wir mit der IL auch zukünftig eine Kraft haben, die gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Kämpfe vorantreibt, in Bewegungen und auch in der Partei. Verlässlichkeit in Bündnissen kann mit und ohne starrere Organisationsstrukturen hergestellt werden. Letztere sind aber auf keinen Fall ein Garant für Verlässlichkeit. Und ob die Genossin oder der Genosse neben mir auf der Straße von FelS, Avanti, Libertad!, der Antifaschistischen Linken oder der Interventionistischen Linken kommt, hat mich - ehrlich gesagt - noch nie wirklich interessiert. Es scheint, dass alle 20 bis 25 Jahre die Zeit reif ist, in der radikalen Linken eine »Parteigründung« zu diskutieren. Wir sollten gelernt haben, dass uns dies aufhält und nicht weiterbringt. »Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.« (Charly in der Kritik des Gothaer Programms)

Ulrich Wilken ist Landtagsabgeordneter der LINKEN in Hessen.

Anmerkung:

(1) Das Zwischenstandspapier ist auf der Website der IL zu finden: interventionistische-linke.org.