Ende Gelände ist ein sehr großer Erfolg der Klimabewegung. Wir von der Interventionistischen Linken waren mit dabei und möchten nun eine vorläufige Bilanz der Kampagne ziehen. Wir sind gespannt auf eure Rückmeldungen und hoffen auch in Zukunft gemeinsam mit euch gegen Kohle, Klimawandel und Kapitalismus zu kämpfen.
Am 15. August 2015 sind wir mit weit über 1000 Menschen aus dem Klimacamp im rheinländischen Lützerath aufgebrochen, um ein unmissverständliches Zeichen gegen die verheerende Braunkohleindustrie zu setzen. Wir überwanden eine Autobahn und zahlreiche Polizeiketten, stiegen in die apokalyptische Kohlegrube Garzweiler hinab und blockierten dort schließlich Förderbänder und mehrere der gigantischen Kohlebagger. Die Klimaaktivist*innen überwanden entschlossen und mit viel Fantasie alle Hindernisse auf ihrem Weg. Beipielsweise den Kletter*innen, die vielen Leuten erst die Überquerung der Autobahn ermöglichten, indem sie mit einer Abseilaktion den Autoverkehr stoppten, möchten wir an dieser Stelle herzlich danken. Auch den grünen Finger,der in der Lage war, eine 4-reihige Polizeikette zu überwinden und so als erstes in die Grube kam, möchten wir hier erwähnen. Sicher sprengt es an dieser Stelle den Rahmen, alle gelungenen Aktivitäten zu beschreiben. Allen Fingern sei gedankt. Der vereinbarte Aktionskonsens wurde konsequent eingehalten und die Stimmung in den Fingern war durch eine starke Solidarität unter allen Beteiligten geprägt. Durch diesen Rahmen konnten vor allem viele aktionsunerfahrene Teilnehmer*innen eine starke Selbstermächtigung erleben. Nahezu allen Aktivist*innen gelang es, in die Grube zu kommen und das Aktionsziel zu erreichen, den Betrieb von Garzweiler für den ganzen Tag weitgehend lahmzulegen.
Dieser Erfolg wurde trotz der überraschend harten Polizeigewalt erreicht. An vielen Stellen griffen die Beamt*innen die Aktivist*innen massiv mit Schlagstöcken und Pfefferspray an. Sie nahmen über 300 Menschen bis tief in die Nacht in Gewahrsam und verletzten auch auf eklatante Weise die Rechte von mehreren Journalist*innen. Vor allem das Agieren des RWE-eigenen Werkschutzes stellt eine neue Stufe in der Kooperation von staatlichen Repressionsorganen und privatwirtschaftlichen Konzernen dar. Die Schläger*innentrupps von RWE umfassten fast tausend Securities und Mitarbeiter_Innen, die in unmittelbarer Zusammenarbeit mit der Polizei Kessel bildeten, Gefangene abtransportierten und Aktivist*innen angriffen. Selbstkritisch müssen wir festhalten, dass wir möglicherweise nicht alle Teilnehmer*innen ausreichend auf die drohenden Übergriffe durch Polizei und Werkschutz vorbereitet haben. Umso begeisterter waren wir, wie unbeirrt alle vorangeschritten sind, sich nicht von den Angriffen der Ordnungshüter*innen provozieren oder vom Aktionsziel abbringen ließen. Insbesondere, dass hunderte Blockierer*innen bewusst ihre Personalien verweigerten und der Polizei nichts anderes übrigblieb, als sie wieder auf freien Fuß zu setzen, macht uns Mut. Die Erfahrung sollte sorgfältig im Hinblick auf zukünftige Aktionen ausgewertet werden.Wir sind überzeugt, dass sich die Breite des Bündnisses trotz der latenten Spannungspotenziale letztlich als Erfolg erwiesen hat. Ende Gelände vereinte anarchistisch geprägte Klimaaktivist*innen um die Gruppe Ausgeco2hlt, die schon seit Jahren Klimacamps und Widerstand in der Region organisieren, Wachstumskritiker*innen, die durch die Degrowth-Kongresse und konkrete Alternativprojekte politisiert wurden, Postautonome, die die Erfahrungen mit massenhaftem Zivilem Ungehorsam einbrachten, und schließlich Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen, die sich von der Unterstützung der Kampagne Rückenwind für ihre Anti-Kohle-Arbeit erhofften. Zu einer gesellschaftlichen Verbreiterung unserer Anliegen hat auch die Solidaritätserklärung vieler namhafter entwicklungs- und umweltpolitischer Verbände einige Wochen vor der Aktion genauso beigetragen, wie uns die wiederholten Baggerbesetzungen aus dem Hambacher Forst vor und nach der Aktion Mut gemacht haben. Besonders gefreut hat uns nicht zuletzt, dass etwa dreihundert internationale Aktivist*innen aus Ländern innerhalb und jenseits von Europa mit uns diskutiert, gefeiert und gekämpft haben. Darin drückte sich eine tatsächlich transnationale Dimension der Klimabewegung aus. Unterschiedliche politische Hintergründe, Politikverständnisse, Organisierungsformen und Kulturen stellten das Bündnis immer wieder und auch während der Aktionstage vor Herausforderungen. Durch das gemeinsame Leben auf dem Camp und die inhaltlichen Diskussionen, durch die geteilten Erfahrungen und vor allem durch die beeindruckende Solidarität in der Aktion konnten die verschiedenen Teilnehmer*innen, Gruppen und Spektren ihre Unterschiedlichkeiten zurückstellen und sind in diesen Tagen zu einer organischen Klimabewegung zusammengewachsen. Zusammen haben sie die Aktion zum Erfolg gemacht.
Von Anfang an war die Kampagne Ende Gelände von einer intensiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Aber sie musste lange um die Aufmerksamkeit der Medien kämpfen. Erst mit dem Beginn des Camps fingen die Journalist*innen an, sich für uns zu interessieren. Spätestens durch die Aktion richtete sich dann der Fokus des öffentlichen Interesses für einige Tage auf unseren Kampf. Viele Vertreter*innen von Zeitungen, TV-Sendern und alternativen Medienformaten besuchten unser Camp und berichteten über unsere Ziele. Vor allem dass wir Journalist*innen direkt in die Aktion mitnahmen, erwies sich erneut als wichtiger Trumpf. In der Konsequenz berichteten die meisten Medien sehr wohlwollend über Ende Gelände, kritisierten zum Teil offen die Repression und gingen überraschend ausführlich auf unsere Inhalte ein.Sowohl die Medien als auch die Aktion selbst konzentrierten sich auf unsere Forderung nach einem sofortigen Kohleausstieg. Diese Zuspitzung war richtig, weil sie es erst ermöglicht hat, die vielen Aktivist*innen für ein Ziel zu vereinen und in die Mainstream-Öffentlichkeit durchzudringen. Unsere Verknüpfung von sozialer und ökologischer Frage, aber auch allgemein unsere Kritik am zerstörerischen Wachstumszwang des Kapitalismus blieben in der medialen Wahrnehmung randständig. Diese Verbindungslinien hatten allerdings ihren Platz auf dem Klimacamp und in der Aktion. Vor allem bei den zahlreichen Workshops und Podiumsdiskussionen der Sommerschule „Degrowth konkret“, die ebenfalls auf dem Camp stattfand, wurde über gerechte Perspektiven für die Kohlearbeiter*innen, die Zusammenhänge von Klimawandel und Flucht sowie den Zusammenhang von kapitalistischer Produktionsweise und globaler Erwärmung debattiert. In der Grube solidarisierten wir uns auf Transparenten mit den Kämpfen gegen den Goldabbau im griechischen Chalkidiki und luden die RWE-Kumpels zu Diskussionen über einen sozial-ökologischen Umbau ein. Wir sehen es als eine zentrale Aufgabe, die Reduzierung der Klimabewegung auf die Kohlefrage hinter sich zu lassen und sie stattdessen stärker mit verschiedenen Kämpfen zu verknüpfen. Es braucht antikaptalistische Kräfte, um einen lediglich „grünen“ Kapitalismus mit seinem Expansionszwang zu verhindern und eine global solidarische Perspektive zu entwickeln.
Die Aktion war ein entscheidender Kristallisationspunkt der Klimabewegung. Soll sie die Kämpfe der Klimaaktivist*innen nachhaltig stärken, darf Ende Gelände keine Eintagsfliege bleiben. Damit einem Ereignis wie in Garzweiler eine katalysatorische Rolle zukommt, müssen sich in ihr tatsächliche (Energie-)kämpfe vor Ort ausdrücken. Die gab es durchaus in den letzten Jahren: In Tübingen, Bremen, Hamburg und Berlin kämpf(t)en Initiativen für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, in Berlin und anderswo setzte sich ein breites Bündnis mithilfe eines Volksbegehrens für die Demokratisierung der städtischen Stromversorgung ein, in Hamburg wird der Protest gegen das Steinkohlekraftwerk Moorburg fortgeführt, in der Lausitz und im Rheinland wird mit den Klimacamps ein kontinuierlicher Widerstand gegen die Braunkohleindustrie organisiert. Insbesondere die direkten Aktionen im und um den Hambacher Forst machen RWE ganzjährig zu schaffen. Als sehr gelungen empfunden wurde die Aktion des Hambacher Forstes direkt im Anschluss an Ende Gelände: Wieder wurden Bagger besetzt und eine Kohlebahn blockiert.
Ende Gelände ist ein Erfolg. Er trägt dazu bei all, diesen Kämpfen Mut zu machen und sie zu multiplizieren. Die Kampagne im Rheinland muss eine Fortsetzung finden. Aber der Kampf um Klimagerechtigkeit muss auch in viele Orte und Städte getragen werden, um die Menschen für das Projekt einer radikalen sozial-ökologischen Transformation zu gewinnen. Um diesen Kampf gegen die fossile Industrie zu gewinnen, müssen wir uns organisieren. Vor Ort in unseren Städten, in Bezugsgruppen und auf Bundesweiter und transnationaler Ebene. Ein wichtiger Schritt dafür wird die Aktionskonferenz von Ende Gelände am 7./8. November in Leipzig sein.
Das war erst der Anfang: Wir sehen uns wieder – ob im Rheinland oder in deiner Stadt.Kohleausstieg jetzt – Energie für alle –Stromversorgung vergesellschaften – Kapitalismus überwinden!