Die Kiez-AG?

Warum wir mit städtischen Wohnungsunternehmen wie Degewo & Co Kreuzberg nicht zurückkaufen können
"Mehr Stadt - Mehr Leben" verspricht die degewo - Hier im Bild die Schlangenbader Straße.

Am gestrigen Dienstag (7.3.2017) hatte die "Helle Panke" in den Kreuzberger Konzertsaal SO36 eingeladen und stellte die Frage "Kaufen, um den Kiez zu erhalten?" Die Veranstaltung war mit etwa 500 Leuten mehr als gut besucht, neben von Verdrängung bedrohten Hausgemeinschaften und Initiativen stellten sich auch der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) und die Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) kritischen Fragen. Stadtsoziologe Andrej Holm hatte als Moderator gut zu tun, denn ging es hoch her im Saal - während Senatorin und Stadtrat hauptsächlich über das Vorkaufsrecht der Berliner Bezirke als Instrument diskutieren wollten, preschte das Publikum vor mit zahlreichen anderen Anliegen der spekulationsgeschüttelten Stadt - von den skandalösen Mieterhöhungen der landeseigenen Wohnungsgesellschaft "degewo" bis hin zur Frage "Wann wird endlich enteignet?"

Diese Frage bewegt auch uns als Interventionistische Linke - auch deshalb, weil der degewo-Mieterhöhungsskandal leider zeigt, dass die öffentlichen Wohnungsunternehmen Berlins als potentielle Partner bei Rückkauf und Enteignung kein Interesse an einer "mietpreisdämpfenden" Wohnungspolitik haben. Sie sabotieren diese vielmer aktiv. Unser gestern verteilter Flyer thematisiert diesen Konflikt:

***

Die Kiez-AG?
Warum wir mit städtischen Wohnungsunternehmen wie Degewo & Co Kreuzberg nicht zurückkaufen können

Diese Veranstaltung stellt die richtige Frage. Denn wir Mieterinnen und Mieter haben gesehen, das der private Wohnungsmarkt und die Profiterwartungen von Investoren zu Mietenwahnsinn und Verdrängung führen. Ist also der Aufkauf der Immobilien im Kiez durch die öffentliche Hand nicht die beste Lösung?

Nein, denn ein Beispiel aus dem Kiez zeigt warum. Bevor ein sinnvoller Rückkauf beginnt, dürfen die städtischen Wohnungsunternehmen keine undemokratischen und unsozialen Aktiengesellschaften und GmbHs mehr sein.

Mieterhöhung als Neujahrsgruß
Die städtischen Wohnungsunternehmen verschickten um die Jahreswende über 26.000 Mieterhöhungen.Der neue Senat hatte aber bereits Ende 2016 im Koalitionsvertrag verkündet, es werde im sozialen Wohnungsbau keine Mieterhöhungen geben und in den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften würden die Erhöhungen auf maximal 2% pro Jahr gedeckelt werden. Die Vorstände der städtischen Wohnungsunternehmen reagierten mit Mieterhöhungen bis zu 13%.
Besonders dreist ging die degewo vor: nicht nur eine, sondern gleich vier Mieterhöhungen schickte sie den Bewohnern zusammengepackt als Neujahrsgruß. Denn im alten System des „sozialen Wohnungsbau“ darf jährlich erhöht werden. Seit 2012 wurden die Erhöhungen ausgesetzt, vermutlich auch weil die Häuser bereits frühzeitig abbezahlt waren. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte sich Degewo-Vorstand Christoph Beck und langte noch einmal kräftig zu, bevor der Rot-Rot-Grüne Senat seine schönen Ankündigungen rechtskräftig gemacht hatte.

Sabotage statt Mietpreisdämpfung
Die Antwort von Senatorin Lompscher war bisher hinhaltend. Die Mieterhöhungen gefielen ihr nicht, seien aber „rechtlich zulässig“ ließ sie sich zitieren und rief die Mieterinnen und Mieter auf, bei den Kundenzentren anzurufen. In Verhandlungen mit den landeseigenen Unternehmen soll es zu Korrekturen kommen. Diese sind zwar Aktiengesellschaften, gehören jedoch zu 100% der Stadt Berlin. Dennoch geht der Senat den Weg von „Verhandlungen“ und setzt damit die lauwarme Politik von Michael Müller aus dem Jahr 2012 fort. Damals schloss der Senat ein „Mietenbündnis“ mit seinen eigenen Wohnungsgesellschaften, anstatt diesen als Eigentümer klare Anweisungen zu geben – etwa in Form von Mietobergrenzen. Unternehmen wie die degewo in Kreuzberg oder die Gewobag in Schöneberg hielten sich vier Jahre an das Bündnis. Doch kaum musste die SPD den Senatsposten räumen, wurden die Mieterhöhungen der letzten vier Jahre in einem Rutsch nachgeholt. Statt mietpreisdämpfend wirken hier die landeseigenen Wohnungsunternehmen als Saboteure einer sozialen Wohnungspolitik.
Eine Retourkutsche des zu SPD-Zeiten eingesetzten Vorstands gegen die LINKE in der Regierung? Eine größere Bloßstellung wäre kaum denkbar – nimmt die Senatorin diese Ohrfeige einfach hin? Was sagt die Parteibasis?

Schluss mit Kuscheln
Beim Müllerschen „Verhandlungs-Kuschelkurs“ darf es jedenfalls nicht stehen bleiben. Denn die Senatorin hat klare Alternativen zu Verhandlungen mit den eigenen Wohnungsunternehmen. Als Alleineigentümerin könnte Sie eine Hauptversammlung einberufen, die Mehrheit der Aufsichtsratmitglieder der städtischen Wohnungsunternehmen entlassen und Satzungsänderungen vornehmen. Der neue Aufsichtsrat könnte dann einen Vorstand neu wählen. Mietenerhöhervorstände müssten gehen – wenn die Senatorin wollte.

Auch die Sozialmieten steigen
Und auch bei den Sozialmieten läßt sich der Stadtentwicklungssenat von einer SPD-loyalen Verwaltung gerade eine Entwurf für eine unsoziale Richtsatzmiete rüberreichen, der starke Mietsteigerungen zur Folge hätte. Hier sind landeseigene, aber auch private Wohnungen betroffen. Im Koalitionsvertrag wurde noch versprochen, dass die Mieten sinken sollen: je weniger man hat, desto niedriger. Doch der jetzt vorgelegte Gesetzesentwurf bedeutet für viele Sozialmieterinnen und -mieter sogar eine Mietsteigerung! Anstatt Umverteilung von oben nach unten wird aus der "einkommensorientierten Richtsatzmiete" eine Umverteilung zwischen Geringst- und Geringverdienenden. Die Senatorin Lompscher, verantwortlich für diesen Vorgang, der als "Lösung für die Probleme im alten Sozialen Wohnungsbau" angekündigt wurde, ist gefragt. Stellt sie sich auch hier lieber mit ihrer bockigen Verwaltung gut, anstatt die Interessen der Mieterinnen und Mieter zu vertreten?

Schluss mit dem Aktienrecht für städtische Wohnungsunternehmen
Schon 2015 verlangte der Mietenvolksentscheid, die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr als GmbHs und AGs zu führen, sondern wie die BVG in „Anstalten öffentlichen Rechts“ (AöR) umzuwandeln – mit direkter politischer Kontrolle durch den Senat, aber auch mit einem großen Maß an Mitbestimmung durch Mieterinnen und Mieter. Dies wurde von der SPD und den landeseigenen Unternehmen mit Zähnen und Klauen abgewehrt.
In einer solchen Rechtsform wäre der Vorstand der Wohnungsunternehmen wesentlich abhängiger von politischen Weisungen und nicht mehr in erster Linie dem Profitinteresse verpflichtet. Vierfach gebündelte Mietsteigerungen, Rauskaufen aus dem Sozialen Wohnungsbau und andere oben erwähnte Skandale würden so hoffentlich der Vergangenheit angehören.
Bei starker MieterInnenmitbestimmung würde aber auch die Regierung nicht je nach facon mal  soziale und mal neoliberale Politik machen können. Die Mieterinnen und Mieter wären hier eine Korrektur. Postenzugeschiebe für altgediente SPD- und CDU-Recken wären schwieriger möglich.

Wie Kaufen wir den Kiez zurück?
Die LINKE macht einen Unterschied! Zehntausende Mietsteigerungen bei Degewo und Co., ein entlassener Staatssekretär und ein verschlimmbessertes Sozialmietensystem hat es mit der SPD nicht gegeben. Gewiss, die Staatspartei SPD hat sich tief in die Apparate verankert, was eine neue Politik schwer macht. Aber wer es - aus welchen Gründen auch immer - nicht besser hinkriegt als Müller oder Geisel, kann es halt auch lassen.

Wer Kreuzberg zurückkaufen will, kann es nicht in die Hände einer Aktiengesellschaft geben. Eine Re-Kommunalisierung ist nur möglich, wenn die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sich nicht genauso elend verhalten wie der Rest des Immobilienkapitals. Dazu brauchen sie politische Kontrolle – nicht nur von oben, sondern vor allem von unten, durch die Mieterinnen und Mieter. Das durchzusetzen erwarten wir von einer Senatorin, die für die „Wohnungspolitische Wende“ steht, sonst braucht es einen Mietenvolksentscheid 2.0!

Wir fordern:
- Kontrolle über Landesunternehmen und Verwaltung zurückgewinnen!
- Transparenz und Demokratisierung der Landesunternehmen bis hin zur MieterInnenselbstverwaltung!
- Nachhaltig die Sozialmieten senken – für alle!
- Den landeseigenen Wohnungsbestand massiv vergrößern und ausschließlich gemeinwohlorientiert verwalten!

Interventionistische Linke Berlin

***

Als Nachtrag ist zu sagen, dass die Senatorin den anwesenden Mieterinnen und Mietern der degewo mündlich versicherte, die "Verhandlungen" dauerten an und ein Ergebnis sei spruchreif - wenn denn die Aufsichtsräte zustimmen. Es liefe darauf hinaus, dass bei den Landeseigenen Unternehmen nur 8% erhöht wird - also 2% für jedes der letzten vier Jahre ohne Mieterhöhung. Sollte die so errechnete Mieterhöhung 30 Euro pro Monat übersteigen, würde hier gekappt.

Aus den zugesagten höchstens 2% Mieterhöhung, mit denen sich Rot-Rot-Grün noch im November in der Bild-Zeitung feiern ließ, werden nun also 8%. Viermal mehr als geplant - gut verhandelt?