Antifaschismus oder Barbarei

Am 15.2. zu #unteilbar nach Erfurt!
Am 15.2. nach Erfurt!
Demokratie und Antifaschismus wird nicht in den Parlamenten verteidigt

Der 5. Februar 2020 wird in die Geschichtsbücher der »Berliner Republik« eingehen – so oder so. Die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen seiner eigenen Partei, von CDU und AfD markiert eine Zeitenwende: Nur mithilfe der AfD um den Faschisten Björn Höcke konnte der FDP-Politiker sich zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Das waren kein Zufall, keine Überraschung und auch kein Fehltritt. Es ist das Ergebnis einer politisch-kulturellen Nähe und teilweise geteilter Grundüberzeugungen. Es ist Ausdruck jener gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, die auch durch Bürgerlich-Konservative und Bürgerlich-Liberale vorangetrieben wird. Die Thüringer Höcke-AfD zwingt sie nun zur Klärung ihres Verhältnisses zur »liberalen Demokratie«. Daran ändert auch nichts, dass Thomas Kemmerich inzwischen von seinem Amt zurückgetreten ist. Sein Amtsverzicht und die gerade vonstattengehende parlamentarische Explosion sind ohnehin nur das Ergebnis massiven gesellschaftlichen Drucks. Und der Druck wächst, wie die anhaltende Diskussion in der CDU und der angekündigte Rücktritt Annegret Kramp-Karrenbauers vom Amt der Parteivorsitzenden zeigt.

Auf die Straße in Erfurt am 15. Februar

Das rechtskonservative Experiment in Erfurt ist für den Moment gescheitert. Endgültig eröffnet ist der polarisierende Streit zwischen denen, die ganz offen die Brücke nach rechts einschlagen, und denen, die eine antifaschistische Grundhaltung und soziale wie Menschenrechte verteidigen, also denen, die unteilbar sein wollen. Das ist längst keine Frage mehr, die alleine in Parlamenten und Parteien entschieden wird, sondern es ist eine gesellschaftliche Frage und so wollen wir sie auch beantworten.

Klar ist: Ohne eine schnell reagierende antifaschistische Zivilgesellschaft wird die Rechte nicht aufzuhalten sein, ohne ihren Aufschrei wäre Kemmerich nicht zurückgetreten, ohne ihre Proteste bliebe Höcke der strahlende Gewinner. Und ohne sie wären SPD, Grüne und Linke vielleicht nicht standfest geblieben. Dieser Erfolg ist nicht selbstverständlich, sondern Ergebnis eines gesellschaftlichen Misstrauensantrags gegenüber den politischen Verhältnissen. Deshalb rufen wir auf, am 15. Februar diesem antifaschistischen Handeln erneut Ausdruck zu verleihen. Es kommt jetzt darauf an, den Druck aufrechtzuerhalten. Denn dort, wo die AfD stark ist und die gesellschaftlichen Stimmungen maßgeblich mitbestimmen kann, ist die Bastion sturmreif geschossen.

Zur gesellschaftlichen Einordnung
Seit dem 5. Februar ist offensichtlich, wie sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren verändert haben: 75 Jahre nach dem Ende des deutschen Faschismus paktieren FDP und CDU mit einem Landesverband der AfD, der sich offen neofaschistisch und völkisch präsentiert. Das ist mehr als eine Verletzung der parlamentarischen Spielregeln. Es ist geschichtsvergessen und die Selbstentlarvung der vermeintlich Konservativen und Liberalen. Die Zusammenarbeit der vermeintlichen Mitte mit dem Faschismus ist eine tatsächliche Option. Das deutet sich schon seit Längerem an – ob auf kommunaler Ebene, wenn gegen missliebige Jugendprojekte oder kulturelle Einrichtungen vorgegangen wird, oder auf Landesebene, wo vonseiten eines Teils der CDU immer wieder eine Zusammenarbeit mit der AfD ins Spiel gebracht wird.

Dass diese Zusammenarbeit sich nun erstmals in Thüringen einstellte, ist kein Zufall: Der gemeinsame Nenner war die Abwahl eines Ministerpräsidenten, der der Partei Die Linke angehört. Fundament sind die im bürgerlichen Milieu weit verbreiteten antilinken und antidemokratischen Ressentiments. Und so kommt es, dass nicht nur die Thüringer CDU selbst nach dem Aufschrei der letzten Tage und dem massiven gesellschaftlichen Widerstand weiterhin lieber Rot-Rot-Grün verhindern will, als sich glaubhaft gegen rechts zu positionieren. Bestätigt wird dies auch durch den angekündigten Abgang Kramp-Karrenbauers.

Es geht auch um ein Einstehen für linke Gesellschaftsideen

Die inhaltslose Gleichsetzung von »braun« und »rot« und der Kampf gegen alle Formen des Extremismus feiert fröhliche Urstände: Eine schlüssige Begründung, warum das Eintreten für ein solidarisches, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen mit Weltanschauungen gleichzusetzen sei, die Hierarchien, Unterordnung und das Recht des Stärkeren und Kriege propagieren, bleiben die Vertreterinnen der »bürgerlichen Mitte« allerdings schuldig. Ihre Gleichsetzung bleibt allenfalls auf der Oberfläche angeblich ähnlicher Methoden und Erscheinungsformen verhaftet, nach der sich Extremistinnen in der Wahl der Mittel, der Ablehnung des Parlamentarismus und der Verneinung individueller Freiheiten in einem Kollektivismus ähneln würden.

Da wird ein Volksgemeinschaftskonzept allen Ernstes verglichen mit einer Gesellschaft, in der nicht nur politische Gleichheit, sondern die Aufhebung der Klassen angestrebt wird und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen unabhängig von Herkunft und Leistung gelten soll. Da wird die Ersetzung des Parlaments durch Führertum oder selbsternannte Elite auf eine Ebene mit der Forderung nach einer gesellschaftlichen Demokratie, nach Selbstverwaltung und Vergesellschaftung, gestellt. Da wird die grundsätzlich unterschiedliche Ideengeschichte von Faschismus und Sozialismus vergessen gemacht, weil es konservative Eliten waren, welche in Deutschland, Spanien und Italien dem Faschismus an die Macht verholfen. Ob Menschen nur aufgrund ihres Aussehens von Nazis verletzt und ermordet werden oder ob Antifaschist*innen diese daran entschlossen hindern – dieser grundlegende Unterschied soll hinter der Floskel »extremistische Gewalt« verschwinden.

Es geht in der sich jetzt verschärft abzeichnenden Polarisierung für uns als radikale Linke darum, dieses durch die <<bürgerliche Mitte>> und die AfD gemeinsam verteidigte Doktrin anzugreifen: Wir reagieren mit offenem Visier mit linken und antikapitalistischen Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen. Auf unserer Seite der Barrikade stehen wir – als radikale Linke – gleich vor mehreren Herausforderungen. Auch auf unserer Seite der Barrikade gibt es Kräfte, denen eine Stabilisierung der Mitte lieber wäre als gewagte Zukunftsvorstellungen. Auf unserer Seite der Barrikade gibt es mehr Fragen als Antworten, wie ein Aufbruch zu gestalten ist. Aber um es noch einmal zu sagen: Wir sind Teil einer aufgewachten, empörten Gesellschaft und unsere Rolle darin sollte sein, zu verdeutlichen, dass es uns niemals nur um die Einhaltung gesetzter demokratischer Spielregeln geht. Es geht darum, den gesellschaftlichen Rassismus zu benennen, es geht darum, deutlich zu machen, dass ein Ende sozialer Unsicherheit und die Verhinderung des Klimakollapses eben nicht durch das Wiederbeleben einer starken Mitte, sondern nur durch einen Aufbruch nach links zu erreichen sein wird, dass eben nicht alles bleiben kann, wie es ist. Gerade deshalb rufen wir als Klima- und Stadtaktivistinnen, als Feministinnen, als Jugendliche aus den Dörfern und Kommunen dazu auf, nach Erfurt zu kommen. Auch wenn uns auf viele Fragen Antworten fehlen, kann diese Polarisierung, die Empörung, das Zurückgewinnen einer Handlungsfähigkeit Anlass sein, gemeinsam zutiefst demokratisch um Antworten zu ringen.

Menschenverachtende Parolen sind aus Hinterzimmern in Talkshows und Parlamente eingezogen. Rechter Terror ist kein Einzelfall. Neofaschist*innen greifen auf den Straßen wieder an. Rassismus tötet. Es ist Zeit, dass unsere Seite der Barrikade antifaschistische Grundlinien verteidigt. Nicht rechts zu sein, reicht nicht mehr. Nötig ist, gegen rechts zu kämpfen. Antifaschismus oder Barbarei. Am 15. Februar in Dresden und Erfurt und an jedem anderen Tag an jedem Ort.

 

Interventionistische Linke, 11. Februar 2020