Wohnraum zuerst für Deutsche? Werner Scholem und die „Ostjudendebatte“ von 1922

Vortrag
Di. 14. Jun. 2016

Hamburg

19:00 Uhr
Centro Sociale, Sternstrasse 2
1922 kam es im Preußischen Landtag zu einer hitzigen Einwanderungsdebatte. Die deutschnationale DNVP forderte eine Schließung der Grenze nach Polen, weil zuwandernde „Ostjuden“ die Wohnungsnot in Berlin und anderen Städten verschärfen würden. Konsequente Abschiebungen seien gefordert, Wohnraum solle zuerst an Deutsche vergeben werden. Redner anderer Parteien nahmen die Stichworte unkritisch bis dankbar auf.
Widerspruch kam dagegen aus den Arbeiterparteien. Eine besonders entschiedene Gegenposition nahm der Abgeordnete Werner Scholem ein. Der Kommunist, mit 26 Jahren jüngster Abgeordneter des Landtages, weigerte sich konsequent, über eine „Judenfrage“ zu diskutieren. Er beschrieb die Einwanderung stattdessen als Arbeitsmigration und forderte eine „arbeiterfreundliche und kapitalistenfeindliche Ausländerpolitik“.
Seine Strategie gegen Krisenrassismus und Antisemitismus war nicht das Eingehen auf vermeintlich „berechtigte Ängste“, sondern die offensive Thematisierung sozialer Ungleichheit.
Scholem, der aus dem jüdischen Bürgertum Berlins stammte, hatte zahllose Erfahrungen mit Antisemitismus hinter sich, ob als Soldat wider Willen im 1. Weltkrieg oder als Redner im Landtag. Schon als Jugendlicher debattierte er mit seinem Bruder Gershom Scholem darüber, ob Zionismus oder Sozialismus die richtige Reaktion seien. Er entschied sich gegen die Auswanderung und für den politischen Kampf in der ArbeiterInnenbewegung, zunächst in der SPD, ab 1919 in der USPD und KPD.
Als Kommunist brachte Scholem es bis zum Reichstagsabgeordneten und Organisationsleiter der Partei, wurde aber schon 1926 wegen seiner Kritik an Stalin aus der Partei ausgeschlossen. Im April 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet, im Sommer 1940 im KZ Buchenwald ermordet.

Scholems Lebensweg und seine Biographie sollen Thema des Abends sein. Den Einstieg macht der 20-minütige Kurzfilm „Zwischen Utopie und Gegenrevolution“ (Niels Bolbrinker, 2014) zum Leben Werner Scholems, danach folgt ein kurzer Vortrag zur „Ostjudendebatte“ von 1922 vom Scholem-Biographen Ralf Hoffrogge.

Eine Veranstaltung der Interventionistischen Linken (iL) Hamburg und des Jour fixe der Gewerkschaftslinken