Streik im Krankenhaus und der Wert der Sorge

Auseinandersetzungen um die Organisation der Gesundheitsversorgung

Am Montag und Dienstag (25. + 26.04.2016) wird im Rahmen der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst in verschiedenen Krankenhäusern und auch an verschiedenen Standorten der Vivantes Kliniken in Berlin gestreikt. Auch wenn die Streiks im Rahmen der TVÖD-Runde stattfinden, geht es um sehr viel mehr als Lohnerhöhungen: Mit ihrer Kampagne 'Zusammen stehen' sowie im Krankenhausalltag streiten die Beschäftigten für bessere Bedingungen. Sie fordern die Wiedereingliederung der outgesourcten Bereiche, eine Bezahlung nach TVÖD aller Beschäftigten sowie mehr Personal im Krankenhaus. Dass letzteres erfolgreich erstreikt werden kann, haben die Streiks an der Charité deutlich gezeigt. Sie leuchten daher den Weg auch für die Beschäftigten bei Vivantes.

Wir sind solidarisch mit den Streikenden und sehen die absolute Notwendigkeit für diesen Schritt in einem Gesundheitssystem, das für die Beschäftigten wie auch für die Versorgten längst unhaltbar geworden ist.
Mit der Forderung nach mehr Personal geht es aber auch um die Frage, welcher Wert der Sorge um uns und andere gesellschaftlich zugemessen wird und welche Wertschätzung dieser Sorgearbeit entgegengebracht wird. Wo die Inwertsetzung von Sorge zu kapitalistischer Profitlogik führt, wie im Krankenhaus insbesondere in den letzten Jahrzehnten, setzt sie Sorgearbeit Rationalisierungsprozessen aus – meistens in Form von Personalabbau und Arbeitsverdichtung. Das führt zu Zeitmangel, schlechter Versorgung und Unzufriedenheit bei Beschäftigten, Patient*innen oder Angehörigen. Die Forderungen nach mehr Personal, der Wiedereingliederung der Tochtergesellschaften und einer gleichwertigen und höheren Bezahlung für alle setzen diesen Entwicklungen einen Riegel vor.

Obwohl viele Menschen irgendwann in ihrem Leben auf Pflege angewiesen sind und dieser Sorgearbeit in guter Qualität dann einen sehr hohen Wert zumessen, wird sie durch die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen abgewertet und schlecht bezahlt. Aufgewertet werden hingegen Zusatzqualifikationen im medizinisch-technischen Bereich, während die zwischenmenschlich hohe Qualität der Pflege unbeachtet bleibt. Denn Zwischenmenschlichkeit gilt nicht als erlernbare Qualifikation, sondern als 'natürliche' Eigenschaft, die wiederum vor allem Frauen* zugewiesen wird. Der Großteil der unbezahlten Arbeit – sei es die Kompensation des Personalmangels im Krankenhaus durch pflegende Angehörige oder Freund*innen oder die zusätzliche Arbeit der Pflegenden über die bezahlten Stunden ihrer Arbeit hinaus – wird weiterhin 'natürlich' an Frauen delegiert.

Zwar finden die Streiks in den Krankenhäusern noch im Rahmen der TVÖD-Runde und somit offiziell um Lohnforderungen statt; aber schon jetzt weisen sie längst darüber hinaus: Mit ihrer Forderung nach mehr Personal stehen sie nicht nur für eine Verbesserung der Bedingungen und der Versorgung, sie heben auch erneut die Auseinandersetzung um die Organisation der Gesundheitsversorgung aufs Tableau. Wollen wir nicht, dass Profit und Sparzwang die Grenzen guter Versorgung setzt, müssen wir die beginnenden Auseinandersetzungen unterstützen und zum Ausgangspunkt für weitere Kämpfe nehmen. Und diese werden kommen, denn die Charité war nur der ersten Stein eines Dominos.