Ende Gelände 2016

Eine Auswertung der iL Berlin
Ende Gelände 2016
Ende Gelände 2016 Grubenbesetzung

Vom 13.-16. Mai 2016 hieß es zum zweiten Mal Ende Gelände für die Kohle. Nachdem sich 2015 über 1000 Menschen an der Besetzung des Tagebaus Garzweiler II im Rheinland beteiligten, kamen dieses Jahr 4000 Menschen in die Lausitz, um den Tagebau Welzow Süd zu besetzen und das Kraftwerk Schwarze Pumpe von der Kohlezufuhr abzuschneiden. Wie auch letztes Jahr waren wir als Interventionistische Linke dabei und wollen hier als Berliner Ortsgruppe unsere Sicht der Dinge zur Diskussion stellen.

Ende Gelände 2016 war ein riesiger Erfolg.

Vorneweg gesagt, Ende Gelände war auf vielen Ebenen erfolgreich. Auf dem letzten Jahr aufbauend wurden sowohl der Aktionszeitraum als auch die Aktionsorte erweitert. An zwei Tagen brachen hunderte Aktivist*innen zu Fuß als auch mit Bussen und Fahrrädern zu ihren Aktionsorten auf. Der Betrieb des Tagebaus wurde lahmgelegt und die Gleise, über die das Kraftwerk Schwarze Pumpe mit Kohle beliefert wird, besetzt. Neben Massenblockaden gab es eine Betonpyramide und Lock-On Aktionen. Da die Blockaden an allen Seiten des Kraftwerks über Nacht gehalten wurden und damit die Kohlezufuhr komplett abgeschnitten wurde, erreichten wir eine Drosselung von 80% der Kraftwerksleistung.

Ende Gelände ist eine Erfolgsgeschichte, die es unter bestimmten Voraussetzungen möglich gemacht hat, dass aus den max. 300 Aktivist*innen, die sich vor 2015 bei den Klimacamps für direkte Aktionen begeistern konnten so viele mehr wurden – zum Großteil auch Menschen, die vorher nicht in politischen Bewegungen aktiv waren und mit den Aktionen einen Politisierungs- und Radikalisierungsschub erlebt haben.

(Bewegungs-)politische Voraussetzungen

Während ein Großteil der Bevölkerung für den Kohleausstieg und Klimaschutz ist, handelte die Regierung in den letzten Jahren mit besonderer Offenheit für die Interessen der fossilen Energiekonzerne. Daraus ist eine Vertretungslücke entstanden, die zu einer bundespolitischen Debatte geführt hat und die wir mit Ende Gelände nutzen und zuspitzen konnten.

Umweltverbände im Klimabereich waren mit ihrer Fokussierung auf Klimagipfel und ihrer Taktik, mit der Politik zu reden und zu appellieren, an ihre Grenzen gekommen. Offensichtlich wurde wenig erreicht. Deshalb war die Bereitschaft, radikalere Aktionsformen zu unterstützen oder sich sogar individuell daran zu beteiligen, enorm gestiegen. In Deutschland und weltweit. Ende Gelände 2015 im Vorfeld der Klimakonferenz in Paris war dafür eine sehr sinnvolle Intervention und hat nochmal sehr deutlich gemacht, dass Kohleausstieg Handarbeit ist.

Auch hat die erfolgreiche Aktion von Ende Gelände 2015 im Rheinland dazu beigetragen, nochmal mehr Menschen in die Lausitz zu mobilisieren, sowohl die radikale Linke als auch das gemäßigte Ökospektrum.

Die Klimacamps haben mit ihrer jahrelangen Vorarbeit die Grundlage dafür geschaffen, dass eine erfolgreiche Intervention vor Ort überhaupt möglich ist und Kontakt und Vertrauen zu Menschen vor Ort aufgebaut, die uns z.B. die Campflächen zur Verfügung stellen.

Zuletzt hat der angekündigte Verkauf der Lausitzer Braunkohlesparte von Vattenfall ein politisches Handlungsfenster eröffnet.

Der Prozess

Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen, das in der Vorbereitung viel Engagement und eine teilweise hohe Taktung abverlangt. Auch wenn der Prozess generell offen ist und wir für Ende Gelände 2016 immer wieder überlegt haben, wie wir neue Leute einbinden können, so ist der Prozess für Neue oder für Leute mit weniger Erfahrung und/oder Zeit teilweise überfordernd oder eine zu große Hürde, um einzusteigen. Eine Lösung könnte sein, mehr kollektive Strukturen zu schaffen, zum Beispiel durch lokale Bündnisse, die einzelne Aufgaben übernehmen. Im Vergleich zu Ende Gelände 2015 haben wir es geschafft, auch in den Vorbereitungsprozess mehr neue Leute zu integrieren, dennoch lagen viele Aufgaben auch wieder auf wenigen Schultern.

Verbreiterung

Erstmals in der Geschichte der Klimabewegung kamen so viele Menschen – mehr als 4000 Menschen aus mehr als 20 Ländern – aus verschiedenen Kontexten und Ländern in einer Aktion zivilen Ungehorsams in Deutschland zusammen. Neu war auch, dass die Proteste nicht national begrenzt waren, sondern dass im Rahmen von Breakfree an vielen Orten der Welt Aktionen gegen fossile Brennstoffe stattfanden.

Für viele der teilnehmenden Aktivist*innen war dies die erste Erfahrung mit zivilem Ungehorsam bzw. direkten Aktionen. Wir sind daher der Meinung, dass eine Radikalisierung der Bewegung stattgefunden hat, die massenhaft zivilen Ungehorsam endgültig im Aktionsrepertoire der Klimabewegung verankert hat. Aufgrund der Zuspitzung der Widersprüche des Klimawandels und des Kapitalismus sind viel mehr Menschen zu radikalen Aktionen bereit.

Ende Gelände als Massenaktion sollte unserer Meinung nach jedoch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Einige von uns stellen sich die Frage, ob eine derart gut organisierte Aktion dazu führt, dass Teilnehmer*innen weniger Eigenverantwortung übernehmen.

Wir sehen in der inspirierenden Erfahrung durch Ende Gelände vielmehr das Potential, einen Anstoß zu mehr Aktionen und Organisation auch auf lokaler Ebene zu geben und hoffen, dass die Aktion auch Menschen, die dadurch politisiert wurden, dazu ermutigt weiter zu machen, wie es an verschiedenen Orten bereits der Fall ist.

Wann ist eine Blockade erfolgreich?

Wir halten es für eine ungute Tendenz, dass eine Art von Auseinandersetzungsdruck vorherrscht, sodass es scheint, als wäre eine Aktion erst erfolgreich, wenn Widerstände überwunden wurden, um zum Ziel zu gelangen. Was vielleicht auch durch die Bilder von 2015 ausgelöst wurde, wo die Aktivist*innen – im Gegensatz zu diesem Jahr – Polizeiketten durchbrechen mussten, um in den Tagebau zu gelangen.

Radikalität heißt für uns auch manchmal, einfach zu bleiben! Was ja zum großen Teil bei den Blockaden auch passiert ist. Doch denken wir, dass der  Umgang mit solchen Situationen im Vorfeld besser vorbereitet und besprochen werden muss. Zum Beispiel sollte er in Zukunft auch Teil der Aktionstrainings sein.

Das passive Verhalten der Polizei und des Werkschutzes, die uns gewähren ließen, kann als Erfolg der Klimabewegung und als weiterer Schritt zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Aktionen des zivilen Ungehorsams gesehen werden!

Kraftwerk

Beim bereits oft thematisierten Gang aufs Kraftwerksgelände haben sich die oben angesprochenen Probleme der Aktionsform und des Verhältnisses von Eigenverantwortung zu Organisation  besonders deutlich gezeigt.

Das Problem sehen wir in der Eigendynamik, die in einem überhasteten Aufbruch geendet ist. Wir fragen uns im Nachhinein, warum wir uns in der Situation nicht die Zeit genommen haben, zu überlegen, was vor Ort zu tun wäre, zumal die Vorbereitungsstrukturen nicht die Verantwortung für die Aktion übernehmen konnten. Unsere (wenn auch nicht eindeutige, weil verschiedene Positionen umfassende) Kritik an dieser Aktion ist einerseits, dass wichtige Blockadepunkte angreifbar gemacht wurden (weniger Menschen) und die Aktion nicht wohl überlegt genug durchgeführt wurde, so dass es für manche eine unvorbereitete und unangenehme Situation wurde.

Das heißt für die Zukunft nicht, spontane Eigendynamiken zu stoppen – für uns ist es total wichtig, dass die Teilnehmer*innen in ihrer Aktion entscheiden, was sie machen - , sondern als Strukturen mehr darauf zu drängen, sich mehr Zeit für Vorbereitung und Bestimmung zu nehmen und noch klarer zu machen, dass es sich um Aktionen handelt, wo noch keine Strukturen  vorhanden sind.

Mit dieser Aktion wurde, unseren Wissens nach, zum ersten Mal ein Kohlekraftwerk in einer Aktion zivilen Ungehorsams gestürmt. Wir haben es in diesem Moment in die bundespolitische Medienberichterstattung geschafft, allerdings nicht nur positiv, vor allem vor Ort wurde die Erzählung sehr negativ.

Wir stimmen den kritischen Stimmen zu, dass die Durchführung schlecht war, dennoch finden wir die Aktion legitim, begrüßen spontane Dynamiken und sehen in der Kraftwerksbegehung und dem Abbau der Zäune keinen Bruch des Aktionskonsens.

Wahrnehmung von EG

Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Aktion sind natürlich schwer zu fassen. Generell war Ende Gelände in den Medien sehr präsent. Wir haben es geschafft, den Verkauf der Braunkohle in der Lausitz wieder zur politischen Debatte in Schweden und in Deutschland zu machen.

Wie auch letztes Jahr war es schwierig, nicht als reine Kohlegegner*innen sondern als kapitalismuskritische Aktion in Erscheinung zu treten. Dies funktionierte weder in der medialen Wahrnehmung, noch vor Ort in der Lausitz. Ein großer Erfolg war es jedoch, das Wohlfühl-Bild des Pariser Klimavertrags anzugreifen und deutlich zu machen, dass ein Vertrag für sich genommen nicht viel bewirkt, sondern dass die Auseinandersetzungen lokal geführt werden müssen.

Intern wurden zumindest auf dem Camp einige Workshops zu gesellschaftskritischen Themen angeboten. Dabei erschien uns erneut besonders die Wachstumskritik als anschlussfähiges Thema.
Die Workshops und Veranstaltungen kamen leider etwas kurz, was daran lag, dass die Aktion sehr viel Energie in Anspruch genommen hat.

Lokales

Vor Ort haben wir die Widersprüche zugespitzt. Inwiefern das den lokalen Widerstand gestärkt hat, dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Kritisch ist jedoch in jedem Fall zu sehen, dass wir den meisten Einwohner*innen in der Lausitz nicht klar machen konnten, dass sich unsere Aktion nicht gegen die Arbeiter*innen stellt. Hier sollten wir selbstkritisch überlegen, ob vorausgehend mehr Dialog und Informationsaustausch möglich ist, um einer Frontenbildung entgegen zu wirken.

In Zukunft müssen wir uns stärker und klar zur Perspektive der Arbeiter*innen positionieren, indem wir klar verständliche Forderungen für einen sozialen Wandel stärker betonen und die Verantwortungslosigkeit und Lügen der Konzerne demaskieren, die ihren Arbeiter*innen vormachen, dass es mit der Kohle ewig weitergeht – bis sie dann einfach verkaufen oder schließen. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass auch in Zukunft der realpolitische Widerspruch zwischen den Arbeiter*innen und uns nicht komplett aufzulösen ist.

Wir möchten nochmal lobend erwähnen, dass versucht wurde, mit Mahnwachen auf dem Marktplatz und Flugblättern lokal präsent zu sein. Doch dies war für eine gewisse lokale Akzeptanz nicht ausreichend.

Wir müssen im Nachhinein feststellen, dass wir nicht genügend auf die Gegebenheiten vor Ort vorbereitet waren. Die Situation bezüglich organisierter Neonazigruppen wurde massiv unterschätzt.Vermehrt kam es zu Angriffen auf Aktivist*innen, bei Blockadepunkten, der Mahnwache in Terpe und in der Nähe des Camps. Es gab intern einen Konflikt wie Schutzstrukturen aussehen sollen und es wurde darin von einigen Seiten auch aktiv gegen effektivere Schutzstrukturen gearbeitet. Es wäre mehr Vorbereitung und Bereitschaft zu offensiver Verteidigung notwendig gewesen.

Ausblick

Ende Gelände war für die Klimabewegung ein sehr stärkendes Ereignis. Wir haben nicht einfach das letzte Jahr wiederholt, sondern haben uns weiterentwickelt. Die notwendige Drosselung des Kraftwerks hat Bewegungsgeschichte geschrieben. Noch nie zuvor wurde dies durch die bloße Anwesenheit von Aktivist*innen erreicht.

Wir freuen uns riesig auf Ende Gelände 2017, wir möchten dabei aber nicht immer nur größer werden und in der Effektivität eine Schippe drauflegen, sondern die Eigenverantwortung und Organisierung stärken, sodass lokale Klimagruppen aktiv werden und Ende Gelände zu vielfältigen Aktionen gegen Klimaungerechtigkeit inspiriert. Schon alleine in den letzten Monaten haben viele weitere Blockaden und Demonstrationen stattgefunden.