Die parlamentarische „Linke“ wurde durch die Wahlen (in Italien) abgeschafft.

Grußwort von Sandro Mezzadra an die iL Konferenz

Transparent auf der KonferenzDie iL-Konferenz begann am Freitag Abend (25.04.08) mit einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel "Radikal & links mit Anderen". Diskutiert werden sollten die Erfahrungen und Möglichkeiten der Bewegungen nach Genua (G8-01), Florenz (ESF-02), Athen (ESF-06) und Heiligendamm (G8-07). Es war der ambitionierte Versuch die Fragen und widersprüchlichen Entwicklungen zwischen Ereignis und Kontinuität, Autonomie und Organisierung, Radikalität und Bündnissen - und noch vieles andere mehr - zur Sprache zu bringen. Das ist nur äußert begrenzt gelungen bzw. eher nicht. Ein Grund mag auch darin gelegen haben, dass die Absicht, dies als gemeinsame internationale (europäische) Diskussion zu entwickeln, nicht umgesetzt werden konnte.
Kurz vor Beginn der iL-Konferenz sagte Sandro Mezzadra vom italienischen Frassanito-Netzwerk ab und so hatte Yannis Alpannis vom griechischen Netzwerk politische und soziale Rechte und dem Greek Social Forum alleine die Aufgabe andere Erfahrungen und Herangehensweisen in die Runde einzubringen.
Sandro Mezzadra schickte uns ein Grusswort. Das wurde auf der Veranstaltung verlesen und ist hier jetzt nachzulesen.

Grusswort von Sandro Mezzadra

Bologna, den 25. April 2008

Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Genossen und Genossinnen,

es wäre für mich wirklich wichtig gewesen, an eurer Konferenz teilzunehmen. Zusammen haben wir in Rostock diskutiert und gekämpft, mit vielen von euch habe ich schon viel früher zusammengearbeitet und solche Ereignisse wie Genua 2001, Florenz 2002, Frassanito 2003 (um mit drei symbolischen Orten einen ganzen Zyklus von Kämpfen in Europa zu erwähnen) miterlebt und mitgestaltet. Die Diskussion mit euch und mit vielen anderen GenossInnen in Europa und außerhalb von Europa ist für mich in den letzten zehn Jahren ein wesentlicher Teil des kollektiven Versuchs gewesen, neue Stile, neue politische Praktiken, sogar neue Räume für eine radikale Politik zu erfinden. Als ich zu der IL-Konferenz eingeladen wurde, sah ich darin eine neue, wichtige Station auf diesem Weg: kein bloß „nationales“ Treffen, sonder ein wichtiges Moment der transnationalen Diskussion über die Perspektiven linker Politik in Europa.

Es gibt eine gewisse Ironie darin, dass ich mit euch nicht sein kann, weil ein Treffen auf „nationaler“ Ebene, d.h. ein Redaktionstreffen der italienischen Zeitschrift „Posse“, für heute und morgen organisiert wurde. Dazwischen gab es Wahlen in Italien. Das Ergebnis war für viele ein Schock: Die parlamentarische „Linke“ wurde durch die Wahlen abgeschafft. Es war eine vernichtende Niederlage besonders für „Rifondazione comunista“ und Fausto Bertinotti, die das Projekt des „Regenbogens“ initiiert hatten. Ich gehöre zu denjenigen, die jenes Projekt schon vor den Wahlen grundlegend kritisiert hatten. Das Projekt des „Regenbogens“ war von Anfang an bloße „Koalitionspolitik“. Es gab keine ernsthafte Diskussion über die zwei Jahren (2006-2008), die durch die Teilnahme von „Rifondazione“ an der Regierung von Prodi geprägt wurden. Die ganze Wahlkampagne des „Regenbogens“ wurde im Zeichen einer Art „Identitätspolitik“ geführt: es galt, die „Linke“ zu retten, und die „Linke“ wurde auf einen Wert an sich reduziert. Innerhalb von Rifondazione, zwischen 1998 und 2003, gab es – parallel zu der Entwicklung von mächtigen Kämpfen und sozialen Bewegungen – zumindest den Versuch, die Krise der repräsentativen Demokratie theoretisch ernst zu nehmen, ein neues Verhältnis von sozialen Kämpfen und Institutionen zu erdenken, dieses Verhältnis in neuen transnationalen Räumen in Europa zu entwickeln, die militante Untersuchung über die Veränderungen der Klassenzusammensetzung als Methode der Teilnahme an den sozialen Kämpfen völlig zu verwerten. Dieser Weg wurde unterbrochen, als Rifondazione die Entscheidung traf, alles auf die Teilnahme an der Regierung zu setzen, und die Krise des historischen Kommunismus durch eine Art „linkssozialdemokratisches“ Projekt zu überwinden. Die Wahlen haben ein vernichtendes Urteil über dieses politische Projekt abgesprochen.

Es gibt viele Genossen und Genossinnen in Italien, die dieses Urteil feiern. Einige denken, dass die Niederlage von Bertinotti die Notwendigkeit einer traditionellen kommunistischen Identität zeigt, andere weisen auf die notwendige Autonomie von sozialen Kämpfen und Bewegungen hin. Während ich die erste Stellung als eine andere Version der „Identitätspolitik“ halte, fühle ich mich der zweiten sehr nah. Aber ich denke, dass es dringend ist, das Problem der Politik innerhalb sozialer Kämpfen und Bewegungen aufs neue zu stellen. Soziale Kämpfe und Bewegungen fehlen nicht in Italien. Ganz im Gegenteil! Aber die Wahlen reden nicht nur von der Niederlage von Bertinotti und von dem „Regenbogen“. Der Sieg von Berlusconi und Bossi ist durch eigentümliche Züge gekennzeichnet, die nicht genügend hervorgehoben worden sind.
Besonders die „Liga“ hat eine sehr aggressive Wahlkampagne im Zeichen der Krise der „neoliberalen“ Globalisierung geführt. Wir stehen sogar einer Besetzung von rechts der Kritik an der Globalisierung gegenüber.
In Anbetracht der Folgen einer sich abzeichenden internationalen Wirtschaftskrise wird die territoriale und/oder nationale Gemeinschaft defensiv als exklusives Bezugspunkt der Politik wiederentdeckt. Die Allgegenwärtigkeit der Rhetorik der „Sicherheit“ muss in diesem Zusammenhang interpretiert werden.

Soziale Kämpfe und Bewegungen laufen in dieser Lage Gefahr, auf eine bloße Stellung des Widerstands reduziert zu werden. Das Problem einer linken Politik besteht meines Erachtens gerade darin, neue Horizonte jenseits des bloßen Widerstands zu eröffnen. Seattle 1999 und Genua 2001 haben diese Frage mächtig hervorgerufen und die Krise der „neoliberalen“ Globalisierung antizipiert. Es gibt keine „nationale“ Antwort auf diese Frage: Deswegen ist für mich eure Diskussion in diesen Tagen so wichtig.
Der Versuch, den wir gleichzeitig machen werden, besteht darin, die italienische Lage in einem europäischen und globalen Rahmen zu interpretieren. Jenseits der Tradition der „Linke“ gibt es neue Räume und neue Möglichkeiten der radikalen Politik zu erfinden und aufzubauen.

Die Lage, in der wir uns diese riesige Aufgabe stellen, ist ganz anders als die Lage, in der die „globale Bewegung“ entstanden ist. Die Welt ist im Aufbruch, weder Imperium noch Imperialismus scheinen in der Lage zu sein, die „Weltordnung“ im kapitalistischen Sinne zu stabilisieren. Sowohl eure wie unsere Diskussion wird in diesen Tagen innerhalb dieser Situation stattfinden. Und ich bin sicher, dass wir bald die Gelegenheit haben werden, die Diskussion gemeinsam weiterzuführen.